Henryk M. Broder / 16.05.2022 / 16:00 / Foto: Pixabay / 59 / Seite ausdrucken

Eine Diktatur ist kein Ein-Mann-Betrieb

Man soll die Russen nicht für ihre Führung in Sippenhaft nehmen. Aber ohne  Mitläufer kann sich keine Diktatur entfalten. Der Apparat muss bespielt und jeder Platz besetzt werden, vom Chef im Kreml bis zum letzten Schließer in einem sibirischen Erziehungslager.

Vor einigen Tagen erschien hier Thilo Schneiders Text „Russenhass? Nicht mit mir!“ und er verdient einige Anmerkungen. Auf Achgut hat niemand jemals zum Russenhass aufgerufen. Ich persönlich hasse und verachte einige Menschen, aber keine Völker, Nationen, Rassen, Ethnien, nicht einmal Radfahrer. Egal, wer es ist, der verlangt, dass man Russen hassen soll, man muss es ja nicht tun.

Der Autor beschreibt, wie er die Russen als herzliche, neugierige und freundliche Menschen erlebt hat, damals vor 35 Jahren, noch zu Zeiten der Sowjetunion. Inzwischen hat sich einiges getan. 

Manche Ukrainer machen derzeit ganz andere Erfahrungen mit Russen. Sie ähneln den Erfahrungen der Polen mit den Besuchern aus Deutschland, die am 1. September 1939 „rübergemacht“ haben. Auch die Polen haben die Deutschen „provoziert“, so wie die Ukrainer heute die Russen provozieren. Ich denke da z.B. an den Fahrer eines Kleinwagens, der einem russischen Panzer in die Quere kam, worauf der Panzer den Kleinwagen überrollte. Natürlich könnte es sich um eine Szene handeln, die von einem ukrainischen Team gedreht wurde, für einen Propagandafilm über die Brutalität der russischen Besucher.

Man solle „diese Russen für die Grausamkeiten ihrer Armee oder die Dummheit ihres Führers“ nicht in Sippenhaft nehmen, heißt es in dem Text gegen den Russenhass. Die „Grausamkeiten“ der russischen Armee sind hier unbestritten. Doch es gilt gerade hier eine wichtige ergänzende Anmerkung zu machen:

Eine Diktatur ist kein Ein-Mann-Betrieb, obwohl es oft so dargestellt wird. Ohne Mitläufer und Nutznießer kann sich keine Diktatur entfalten. Der Apparat muss bespielt, jeder Platz besetzt werden. Vom Chef im Kreml bis zum letzten Schließer in einem sibirischen Erziehungslager. Ja, auch das können herzliche, neugierige und freundliche Menschen sein, vor Dienstbeginn und nach Feierabend. Und dazwischen sorgen sie eben dafür, dass die „Klassenfeinde“ daheim eliminiert und die „Faschisten“ im Nachbarland entmachtet werden. Da verstehen sie keinen Spaß.

Großzügig sind viele hierzulande bereit, hinzunehmen, dass Putin Oppositionelle killt, Journalisten verhaften lässt und Kritiker kaltstellt, dass er sich in sämtliche Konflikte in seinen Grenzstaaten einmischt und unabhängige Staaten überfällt – und vieles mehr, denn es betrifft sie nicht. Die Russen, die der Autor kennt und schätzt, sind hingegen herzliche, neugierige und freundliche Menschen. Die bringen niemanden um, und sie wollen ihre Eltern, Söhne, Töchter und Geschwister nicht als geschändete oder verkohlte Leichen am Straßenrand sehen. Das glaube ich sofort. Aber dann müssen diese braven Russen etwas unternehmen, damit ihre Angehörigen nicht als geschändete oder verkohlte Leichen am Straßenrand enden. Und einige tun es auch. Es sind die Soldaten, die ihre Panzer stehen lassen und einfach abhauen, die keine Helden sein und nicht sterben wollen. Denen man nicht einmal gesagt hat, dass sie in den Krieg geschickt werden. Und die Putin ebenso wurscht sind wie die Matrosen der „Kursk“, die er lieber ersaufen ließ, als westliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Seitdem wissen wir, wer Putin ist und wozu er imstande ist. Und ich befürchte, viele Russen lieben ihn nicht trotzdem, sondern deswegen.

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rolf schwarz / 16.05.2022

Irgendwie auffällig, wie vehement sich Herr Broder gegen Putin und seine -warum auch immer - scheinbar recht folgsamen Russen ins Zeug legt. Mit der Kanzlerin, und den von ihr initiierten Begräbnisveranstaltungen der Persönlichkeits- und Grundrechte durch den deutschen Staats- und Medienapparat ging er dagegen sehr entspannt um. Sogar beim Impfen hat er sich vorbildlich angestellt. Den Mut zum Widerstand immer von anderen zu erwarten ist billig Herr Broder. Darin braucht man die Deutschen gerade nicht auch noch zu bestärken.

T. Schmidt-Eichhorn / 16.05.2022

Henryk M. Broder, den ich sonst sehr schätze,  schreibt vorwurfsvoll: “Großzügig sind viele hierzulande bereit, hinzunehmen, dass Putin Oppositionelle killt, Journalisten verhaften lässt und Kritiker kaltstellt, dass er sich in sämtliche Konflikte in seinen Grenzstaaten einmischt und unabhängige Staaten überfällt – und vieles mehr, denn es betrifft sie nicht.” Nein Herr Broder, ich bin nicht “bereit”, das hinzunehmen. Nur - was soll ich dagegen tun ? Ich bin auch nicht “bereit hinzunehmen”, wenn Fahrgäste im Zug mit einem Messer angegriffen und verletzt oder sogar getötet werden. Nur kann ich, wenn ich davon lese oder höre, nichts dagegen machen . Der von Herrn Broder implizit erhobene Vorwurf, man sei “bereit” etwas “hinzunehmen”, kann doch nur berechtigt an diejenigen gerichtet werden, die die Pflicht und vor allem die tatsächliche Möglichkeit haben, etwas dagegen zu unternehmen, das effektiv Erfolg verspricht,  Soll ich jetzt eine Fahne ins Fenster hängen ? Oder soll ich, analog zum Hüpfen gegen den Klimawandel, jetzt auf der Straße “hüpfen gegen Putin” ? Das wird die russische Armee nicht beeindrucken.

A. Ostrovsky / 16.05.2022

“Eine Diktatur ist kein Ein-Mann-Betrieb”. Nein, selbstverständlich nicht. Die Ein-Männer sind ja alle bei uns, aber die Diktaturen dort, wo sie her kommen. Und in Russland, da auch, Ungarn, Polen, alles Diktaturen. Seien wir froh, dass wir die Ein-Männer alle haben. Das schützt uns vor einer afrikanisch-russischen Orban-Diktatur. Wir haben hier nur Kuddel-Muddel-Weiber-Wirtschaft, seit Mutti. Dass die *Innen das Innen-Ministerium besetzen, ist nur konsequent. Aber wieso auch das *Aussen-Mysterium, die Kommission, das Verteidigung*Innen-Ministerium und das Wahrheitsministerium? Krieg ist Frieden! Peathe Brother*Innen!!

Frank Holdergrün / 16.05.2022

Achgut ist auch kein Einmann-Betrieb, aber auffallend ist schon, wie hier des Master’s Voice durchgepeitscht wird. Nach dem wenig gelungenen Quehl-Artikel greift der Chef mal wieder selbst ein. Mit einer weiteren Binse! Wenigstens einen Artikel zur Vorgeschichte dieses unnötigen Krieges hätte ich mir hier gewünscht - aus russischer Sicht. Obwohl ich das bisher dachte, aber ach, gut ist: auch Sie, Herr Broder, sind nicht perfekt.

T. Weidner / 16.05.2022

Und jetzt wäre es für uns Leser ein echter Gewinn, wenn Sie, Herr Broder uns ausführlich erläutern würden, worin nun die Unterschiede zwischen der russischen Diktatur und der deutschen bzw. EU-Diktatur liegen. Die Unterschiede im sozio-kulturellen Umfeld (z.B. russischer vs. deutscher Knast) natürlich relativierend mitberücksichtigt. Worin liegen z.B. die Unterschiede im Informationsgehalt der Massenmedien oder bei den Wahlen? Mit Spannung erwarte ich Ihren Artikel!

H. Krautner / 16.05.2022

Es gibt weder „die“ Russen und noch „die“ Deutschen. Es sind deshalb auch nicht „die“ Russen, die die Ukraine angegriffen haben, sondern das russische Militär.          Es ist auch typisch für deutsche Medien, da sind übrigens alle gleich (wie auch hier bei achgut.de), dass sie die eine Seite („die“ Russen) verteufeln und einen Selenskij als Heiligen hochjubeln.    PS: Ich bin weder Putinfreund noch Putinversteher, versuche allerdings die Sache objektiv zu betrachten, was ich bisher bei Medien ausschließlich in der schweizerischen Weltwoche beobachten kann.        Es ist einfach erschreckend zu hören und zu lesen, dass hier in Deutschland niemand aus dem Bereich der journalistisch Tätigen, anstatt weiteren Krieg Waffenstillstand und Friedensgespräche in der Ukraine fordert.

Gerhard Hotz / 16.05.2022

Vielleicht war auch Rudolf Höss “vor Dienstbeginn und nach Feierabend ein herzlicher, neugieriger und freundlicher Mensch”. Weil seine Dienstvilla gleich neben dem Lager stand, konnte er mit seinen Kindern zu Mittag essen. Da gab es dann sicher auch noch Kaffee und Kuchen. Vielleicht sprach er sogar ein Tischgebet. Ja, man muss sich das durchaus so vorstellen, dass die Nazi-Massenmörder im Urlaub den Hund streichelten und mit den Kindern Weihnachtslieder sangen.

Ludwig Luhmann / 16.05.2022

- - - - Für eine handvoll Rubel! - - - - “(...) Es sind die Soldaten, die ihre Panzer stehen lassen und einfach abhauen, die keine Helden sein und nicht sterben wollen. Denen man nicht einmal gesagt hat, dass sie in den Krieg geschickt werden. Und die Putin ebenso wurscht sind wie die Matrosen der „Kursk“, die er lieber ersaufen ließ, als westliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Seitdem wissen wir, wer Putin ist und wozu er imstande ist. Und ich befürchte, viele Russen lieben ihn nicht trotzdem, sondern deswegen.”—- Dass Putin Tschetschenen gegen die Ungläubigen in der Ukraine geschickt hat, ist ein unübersehbarer Akt extremer Verachtung gegenüber dem von Putin so genannten “Brudervolk” der Ukrainer. “Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schieß’ ich in dein Hirn hinein!” Wer die Tsche. z.B. im Syrienkrieg hat foltern und töten sehen, der weiß, dass sie von klein auf, auf genussvolle Vernichtung des Gegners trainiert wurden. Es wurden teilweise tatsächlich stumpfe Messer benutzt, um das zu tun, was ich nicht beschreiben werde. Was aber immer wieder zu beobachten war und auch jetzt immer wieder zu beobachten ist, ist die echt gelebte und präsentierte Freude am tödlichen Kampf. Diese Tsch. blühen während des Kampfes richtig auf. Es könnte die schönste Zeit in ihrem Leben werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis allergrausamste Kriegsverbrechen berichtet werden. Man wird dann wissen, welche Truppen wo waren. Ich wette, dass die Tschetschenen relativ oft angeklagt werden, falls man bis dahin überhaupt noch die Wahrheit über die Friedens- und Glaubenskriger wird erzählen dürfen. - Atombomben eignen sich sicher gut, um Spuren zu beseitigen.

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