Annette Heinisch / 19.01.2019 / 15:00 / 44 / Seite ausdrucken

Eine deutsch-britische Korrespondenz

Annegret Kramp-Karrenbauer und mehr als zwei Dutzend Prominente haben einen offenen Brief an die Times geschrieben und darin die Briten gebeten, ihre Entscheidung zum Brexit noch einmal zu überdenken. Spät – vielleicht zu spät – scheint man sich in Berlin daran zu erinnern, dass die Briten unsere Freunde und Verbündeten sind. Den richtigen Ton scheint der Brief aber nicht getroffen zu haben, jedenfalls nicht nach den Worten eines meiner britischen Freunde.

Er ist Londoner, ein scharfer Kritiker der britischen Politik und der Lügen, die den Bürgern vor dem Referendum aufgetischt wurden, hat für „remain“ gestimmt, aber ist wie so viele remainer nunmehr absolut empört über das Verhalten der EU und der „vassalage“, dem Vasallentum, welches die EU dem Vereinigten Königreich auferlege. Er meint, dass der Brief sentimental sei, am Thema vorbei ginge und fragt, ob die deutschen Meinungsmacher nicht verstünden, dass die Briten keinen Superstaat wollen, in dem niemand wirklich Verantwortung übernimmt. Nach seiner Meinung widersprächen die politischen Institutionen der EU dem britischen Sinn für Freiheit (das englische Original steht zusätzlich ganz am Ende dieses Beitrags):

"Er (der Brief) ist rührend und sentimental, trifft aber nicht den richtigen Ton. Er ist vollgepackt mit klassischen Klischees über die Briten (Pubs nach der Arbeit etc.). Wir mögen euch. Wir würden euch wieder willkommen heißen.. 

Aber er spricht nicht das grundlegende Problem an, welches nicht ist, dass wir uns alle als Miteuropäer alle mögen (die klassische Remain-Position), sondern, dass zu viele Briten (Engländer) nicht Teil eines niemandem verantwortlichen (unaccountable) Superstaates sein wollen. 

Verstehen die Meinungsbildner und führenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik in Deutschland (und anderen europäischen Ländern) das nicht?

Es sind die politischen Institutionen der EU, die GEGEN unser Verständnis von FREIHEIT arbeiten. 

Das ist der Kern des Problems.

Wenn wir der asiatisch-pazifischen Handelsgruppe beitreten würden, würden wir uns keiner politischen Einheit anschließen.

Der Grund, warum der Times-Brief naiv ist, ist, dass er bei dem Versuch, Großbritannien und seine Liebe zur Freiheit zu loben, nicht anerkennt, dass es genau das ist, was so viele Menschen dazu bringt, sich für das Verlassen zu entscheiden. Freiheit von niemandem verantwortlichen Bürokraten.

In dem Schreiben hätte gesagt werden sollen: Wir wollen Euch zurück und wissen, dass die EU reformiert werden muss. Helft uns, sie zu reformieren!!!!

Was soll ich ihm nur antworten? 

Unter Verdun macht die Politik es ja nicht

Dass unsere Politiker uns erzählen, in Europa müsse es zwingend eine EU als Friedensprojekt geben, weil sonst ein furchtbarer Krieg ausbräche? Mit weniger als bestürzenden Bildern von Verdun macht die Politik es ja nicht. 

Oder soll ich ihm erzählen, dass sich Sigmar Gabriel neulich im Interview im Tagesspiegel und nachfolgend im Morning Briefing mit Gabor Steingart verplappert hat und ganz offen erzählte, dass das Hauptmotiv für die EU sei, mit den ganz Großen mitspielen zu wollen? Hat leider nicht geklappt, die EU und speziell die Eurozone haben sich seit der Finanzkrise nicht erholt, allen teuren Rettungsversuchen zum Trotz. Ganz groß zu sein ist ein Wunsch, den in Europa viele Länder hatten, es klappte nie. Nun versucht man es zusammen, aber es klappt wieder nicht. Dennoch, wer verabschiedet sich schon so einfach von einem verführerischen Traum…

Und dieselben Politiker, welche die verschiedenen Kulturen innerhalb der EU versuchten immer gleicher zu machen, erzählten uns dann etwas davon, wie schön bunte Vielfalt ist. Deshalb sind Leute aus ganz fremden Kulturen gut und wertvoll. Dabei reicht die Kultursensibilität unserer Politiker nicht einmal aus, den Freiheitswillen der uns nahestehenden Briten zu verstehen. Das ist schon eigenartig. 

Bei all dem Kopfschütteln über die komischen Briten und dem Klopfen auf die eigene Schulter, wie toll und klug wir doch sind: Hat irgendjemand eigentlich mal überlegt, dass die EU sich durch den Brexit mehr verändern wird als durch Reformen, die einen Verbleib der Briten möglich machen würden?  Den Status quo werden wir nämlich auf keinen Fall behalten.

Hier das englischen Original des oben im Beitrag übersetzen Briefes meines Freundes:

“It’s touching and sentimental, but doesn’t hit the right note. It is packed with classic clichés about the British (pubs after work etc). We like you. We would welcome you back….

But it doesn’t address the fundamental problem which is that it is not a matter of us all liking each other as fellow Europeans (the classic Remain position), it does not address the problem that too many British (English) people do not want to be part of an unaccountable Super-state.

Do the opinion-formers and leading industrial and politics figure in Germany (and in other European countries) not understand that?

It’s the political institutions of the EU which work AGAINST our sense of FREEDOM. 

That is the nub of the issue.

If we joined the Asian Pacific trading group we would not be joining a political entity.

The reason why the Times letter is naive is that while trying to praise Britain and its love of Freedom, it fails to acknowledge that it is precisely THAT what makes so many adamant for Leaving. Freedom from unaccountable bureaucrats.

What the letter should have said is: We want you back and we realise that he EU needs to be reformed. Help us reform it!!!!!!”

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Karsten Dörre / 19.01.2019

Das Problem ist und bleibt die Globalisierung. Auf Globalisierung ist Mensch nicht vorbereitet - außer diejenigen die an Globalisierung wie an eine Religion glauben und die, die wie Schafherden von hier nach da traumwandeln. Die Briten haben sich für den EU-Ausstieg entschieden, um der Globalisierung über die EU zu entgehen. Veränderung ist Merkmal der vielfältigen, menschlichen Gesellschaften. Veränderungen schaffen Innovationen, neue Herausforderungen zu meistern. Die Jahre ab 2019 werden nicht langweilig, weder für die Briten noch für die anderen europäischen Staaten. Und das ist eine gute Nachricht.

Ralf Tewes / 19.01.2019

Wie peinlich diese offensichtliche Schleimerei! So etwas mögen die Briten doch überhaupt nicht. Das Klischee von Churchill stimmt leider: “Man hat die Deutschen entweder an der Gurgel oder zu Füßen.”

Marcel Seiler / 19.01.2019

Die so “weltoffenen” und “kultursensiblen” Protagonisten der deutschen Politik und der deutschen Kultur haben von anderen Kulturen KEINE AHNUNG, und sie interessieren sie auch nicht besonders. Das sieht man am Umgang mit dem Islam, dessen Fremdheit sie nicht verstehen können, weil sie ihnen am Ende egal ist. Und jetzt sieht man es im Umgang mit Großbritannien, das man nicht wirklich respektiert, sondern dass man behandelt, als entspräche es dem eigenen Wunsch- und Trugbild von “den Engländern”. – In Wirklichkeit ist dieser Brief vermutlich sowieso fürs eigene Publikum, die dummen Deutschen, geschrieben, deren Umgang mit anderen Völkern sich aus dem Freundschaftskitsch speist, den dieser Brief zeigt.

P. F. Hilker / 19.01.2019

Die deutschen Politiker dürften doch eigentlich nichts gegen die Empfehlungen des US-Botschafters haben. Oder?

Nina Herten / 19.01.2019

Bitte, liebe Briten, lasst Euch nicht von den EUrokraten beirren! Seid das Licht, welches benötigt wird, um den Europäern den Weg in die Freiheit zu weisen: zurück zum Europa der souveränen Staaten - weg vom Bürokratenstadl EU!

E.W.U.Putzer / 19.01.2019

Ich glaube eher, dass das ein (billiger) PR-Gag ist, bei beiden ‘Parteien’ (GB und Rumpf-Europa) geht es um knallharte Geschäfte. Das wissen die Verhandler, für Campino und Consorten wird sich sowieso nichts ändern und die Briten sind durch die Masseneinwanderung von Menschen aus den ‘Kolonien’, die von ihrem bescheidenen Wohlstand partizipieren wollen,  genug geschwächt (zusätzlich durch die Kriegsschuldenrückzahlungen an die USA). Wir hätten jeden Grund gegenüber den Briten in jeder Beziehung in Vorleistung zu gehen, statt sie nun auch noch mit solchem lauen blablah zu vera…. Meine Verwandschaft in Wales ist sauer über die schäbige und herablassende Art der Merkel - aber man sieht sich im Leben ja meist zweimal…wie es so schön heißt. (don’t worry, we’ll meet again oder so ähnlich)

J.Dannenberg / 19.01.2019

Berlin hat die Gründe für den Brexit sehr wohl verstanden. Aber dann müssten sie eingestehen, dass die AfD doch in der Thematik Recht hatte mit ihren Unkenrufen. Dass, das werden sie natürlich niemals zugegen. Dann doch lieber ein wirtschaftlicher Kollaps. Wie gross ist der Import noch einmal nach GB? 50 Mrd? , Naja, vielleicht DDR Alu Chips!

Michael Jansen / 19.01.2019

Seien wir doch mal ehrlich! Wer von den Funktionsträgern in Brüssel, Straßburg oder Luxemburg möchte denn, dass sich an und in der EU etwas ändert? Von den meisten “Errungenschaften” der letzten Jahre hat der Bürger zwar nichts, außer dass er sich mit immer mehr Bürokratie und Verordnungen rumschlagen darf und sein gutes Steuergeld in Höhe etlicher Milliarden für sinnlose Aktionen verpulvert wird, aber das ist den Eurokraten vollkommen schnurz. Für sie ist die EU eine Einrichtung, die man erfinden müsste, wenn es sie denn nicht schon gäbe, so viele Vorteile haben sie davon, die ihnen sonst entgehen würden. Da kann jeder Politikversager aus den einzelnen Ländern immer noch auf einen gut bezahlten Posten hoffen, im Extremfall als EU-Kommissar. Zehntausende von Bürokraten können sich beim Ausdenken immer neuer Verordnungen ausleben. Niemals gewählte Kommissare und Spitzenbeamte können ihre Profilneurosen ausleben und die absonderlichsten und weltfremdesten Grenzwerte, Gesetze, Vorschriften usw. auf den Markt werfen und Politiker Marke Macron und Merkel profilieren sich mit ihren Großmachtträumen als Herrscher über ein Großeuropa, das die alten Nationalstaaten ablösen soll. Alles Dinge, von denen der Normalbürger außer Bevormundung, Bürokratie und Kosten nichts hat.  Wenn nun der Bürger eben dies merkt und droht, dieser Art von EU den Rücken zuzuwenden, dann holt man folglich gleich den ganz großen Knüppel raus und malt zur Abschreckung ein Europa nach dem Muster von mindestens 1914 oder gleich 1939 an die Wand, als würde Deutschland sofort in Frankreich einfallen um das Elsass zu erobern, Österreich sich Südtirol einverleiben oder Polen sich die verlorenen Gebiete östlich des Bug zurückholen, wenn man die EU nicht genau so weiterführt wie bisher. Dann muss man natürlich auch den Brexit so unangenehm wie möglich gestalten, schließlich ist es der größte Alptraum der Eurokraten, dass ein Großbritannien außerhalb der EU nicht verelendet sondern auch so gut zurechtkommt.

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