Erinnern Sie sich noch an den letzten großen politischen Aufreger, bevor im März das Corona-Virus, nebst aller Maßnahmen, die mit seiner Verbreitung begründet wurden, die thematische Herrschaft über die deutsche Medienlandschaft übernahm? Richtig! Da gab es im Februar diese Wahl eines Thüringer Ministerpräsidenten. Eigentlich ein ganz normaler demokratischer Vorgang, und auch der Gewählte war zweifellos ein Demokrat. Aber die Mehrheit, die ihn wählte, die sollte es doch bitte nirgends geben, auch nicht in Thüringen. So befanden die meisten Spitzenpolitiker und Medien aus der Bundeshauptstadt. Die Kanzlerin weilte bekanntlich in Südafrika und dekretierte von dort aus öffentlich, dass diese Wahl rückgängig gemacht werden müsse. Seinerzeit gab es einige Aufregung über solcherlei autoritäres Demokratieverständnis. Heutzutage, nach Monaten des Corona-Ausnahmezustands, wirkt dieses Gebaren schon nicht mehr so ungewöhnlich, aber um das Corona-Virus soll es hier gar nicht gehen.
Damals im Februar war der große Aufreger, dass der Kurzzeit-Ministerpräsident mit den Stimmen der AfD gewählt worden war. Spitzen-Politik und Medien folgten dem Motto: Die Stimmen der Falschen müssen falsch sein, auch wenn sie keinen Falschen gewählt haben. Solche Formen der ungelenkten Demokratie sollten hierzulande gar nicht erst einreißen. Den Ausgang kennen Sie. Der gerade Gewählte wurde zum Rücktritt gedrängt, und die CDU ebnete den SED-Nachfolgern den Weg zur Landesherrschaft. Über das Problem, dass die demokratischen Parteien der alten Bundesrepublik im Thüringer Landtag keine Mehrheit hatten, wurde nicht mehr gesprochen. Die CDU erklärte eine bis dato als unappetitlich geltende Kooperation mit den Linken einfach für stubenrein und gemeinsames Stimmverhalten mit der AfD für ausgeschlossen.
In Magdeburg, im Landtag von Sachsen-Anhalt steht nun die dortige CDU vor einem ähnlichen Problem wie seinerzeit die Thüringer Parteifreunde. Stimmen die dortigen Christdemokraten in einer für ganz Deutschland wichtigen Frage so, wie sie es inhaltlich für geboten halten, dann würden sie mit den Stimmen der AfD eine aufsehenerregende Mehrheitsentscheidung herbeiführen. Voraussichtlich Mitte Dezember sollen die Abgeordneten über die Erhöhung jener Gebühren entscheiden, die die Bürger ab nächstem Jahr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zahlen sollen. Die Landesministerpräsidenten hatten sich schon vor Monaten darauf verständigt, allerdings müssen die Landtage überall zustimmen. Aber nur in Sachsen-Anhalt müssen ARD und ZDF ernsthaft fürchten, dass eine Landtagsmehrheit gegen die Gebührenerhöhung stimmt und diese damit in ganz Deutschland zu Fall bringt.
Missfallen über Volkserziehung statt Information
In Magdeburg hatte sich die CDU-Fraktion schon frühzeitig entschieden, wahrscheinlich gegen eine Gebührenerhöhung zu votieren. Die Oppositionsparteien AfD und Linke hatten sich auch gegen die Mehrzahlung positioniert. Die größte Regierungspartei wollte mit der Opposition jede Mehrbelastung der Bürger verhindern. Im Osten ist das ziemlich populär – werden doch die gebührenfinanzierten Gehälter und Honorare, die in den Chefetagen gezahlt werden, gerade in den ärmeren Regionen als unanständig empfunden. Gleichzeitig missfällt vielen Sendegebietsbewohnern der immer stärker werdende volkserzieherische Ton auf Sendeplätzen, die einst der Information dienten. Die Christdemokraten hätten gern etwas mehr Popularität, da liegt die Positionierung gegen eine Gebührenerhöhung nahe. Gegenwärtig muss ihr nicht unbeliebter Ministerpräsident Reiner Haseloff in einer ungeliebten Koalition mit SPD und Grünen regieren. Eine andere Mehrheit hätte es unter Ausschluss von AfD und Linken nicht gegeben. Doch in der Gebührenfrage hätte man mit den beiden Parteien stimmen können, ohne dass das gemeinsame Stimmverhalten mit der AfD ein dominierendes Problem gewesen wäre. Eher der Unmut aus Berlin.
Nun sind es die Spitzenfunktionäre der abgabenalimentierten Sendeanstalten gewohnt, den politischen Widerstand mit Geld und noch mehr schönem Schein aufzuweichen. Der MDR, zu dessen Sendegebiet Sachsen-Anhalt zählt, kümmerte sich darum, dass in den letzten Monaten vor allem Produktionen mit einem Bezug zu Sachsen-Anhalt auf den Weg gebracht wurden. Man versprach, auch weiterhin ein wenig mehr vom guten Gebührengeld ins Land fließen zu lassen und den Produktionsstandort zu stärken. Und als ein Joker gegenüber Medien-Politikern der etablierten Parteien wurde eine gemeinsame ARD-Kulturplattform am Standort Halle geplant. Welche Rolle die genau spielen soll, wissen zwar die Mitarbeiter in den Kulturredaktionen der ARD-Anstalten nicht so genau und fragen sich, was denn diese Kulturplattform dem Zuschauer und Hörer Neues bringt. Wird der Kulturbereich an Mitteln und Sendeplätzen reicher oder geht es nur um eine neue Struktureinheit, für die funktionierende Arbeitsbeziehungen zerschlagen und neu geordnet werden. Letzteres kennen viele Kollegen in den Anstalten. Das schafft erfahrungsgemäß zumeist zusätzliche Verwaltungsarbeit, aber keinen Zugewinn an produzierendem Personal, Technik oder Verbreitungswegen.
Solche Einzelheiten sind im politischen Betrieb natürlich unwichtig. Die Ansiedlung einer wichtig klingenden Struktureinheit im eigenen Land klang bislang immer gut in der politischen Bilanz. Doch irgendwie lassen sich die christdemokratischen Abgeordneten im Magdeburger Landtag damit offenbar nicht ködern.
Überzeugungskraft der früheren SED-Juristin?
Die wichtigsten ARD-Intendanten reisten an, um für eine Mehrheit zu werben. Immerhin stehen deutschlandweit schätzungsweise 1,5 Milliarden Euro auf dem Spiel. Einen kleinen Erfolg haben sie auch erzielt, zwar nicht bei der CDU, aber dafür bei den Linken. Vielleicht wirkte hier die MDR-Intendantin Karola Wille als einstige SED-Juristin besonders überzeugend. Möglicherweise erkannten die linken Abgeordneten in Magdeburg die frühere Genossin in ihr, weshalb sie sogleich die alte Parteischul-Dialektik nutzten, um ihr Umschwenken als konsequenten Kurs zu verkaufen. Jetzt ging es plötzlich nicht mehr darum, ganz sozial jeden Groschen der ärmeren Bürger zu verteidigen, sondern ebendiese in die Taschen armer Fernsehschaffender umzuleiten. Plötzlich war das zuvor favorisierte Stimmverhalten gar nicht mehr sozial: „Wirtschaftspolitisch wäre das eine Katastrophe für das Filmland Sachsen-Anhalt. Es bedeutet Millionenverluste für die Filmbranche, die durch Corona bereits jetzt massiv unter Druck steht“, sagte beispielsweise der medienpolitische Sprecher der Linkspartei, Stefan Gebhardt, der taz. „Die Anstalten sind uns bei unseren Forderungen entgegengekommen.“ Das reicht als Grund zum Umschwenken.
Für die genannten Anstalten ist dieser Erfolg aber nicht hinreichend. CDU und AfD haben im Magdeburger Landtag eine Mehrheit. Die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt hat sich von den Sirenengesängen der Intendantinnen und Intendanten nebst ARD-Kulturplattform bislang nicht einwickeln lassen. Auch nach dem hohen Besuch aus den Sendern sagte der medienpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Markus Kurze, der taz, er gehe „weiter davon aus, dass die CDU-Fraktion gegen die Erhöhung des Rundfunkbeitrages stimmt“. Es gehe hier darum, dass man Beitragsstabilität versprochen habe und „beim Bürger im Wort“ stehe.
Inhaltlich scheinen die Christdemokraten im Magdeburger Landtag also fest entschlossen zu sein, die Gebührenerhöhung zu Fall zu bringen. Deshalb helfen auch keine sachlichen Argumente, sie umzustimmen. Also versuchen es die Befürworter einer Gebührenerhöhung mit moralischem Druck nach dem Motto: Es darf nicht sein, dass die CDU in einer so wichtigen Frage mit der AfD stimmt und dieser Partei damit zu einem politischen Erfolg verhilft. Verfängt das? Immerhin dürfte auch entsprechender Druck aus Berlin kommen, denn in der Bundes-CDU mag man eine möglicherweise aufkommende Diskussion über die inhaltliche Aufstellung öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten ganz sicher nicht. Statt des „Das muss rückgängig gemacht werden“ im Falle von Thüringen dürfte es jetzt heißen: „Das darf nicht geschehen“. Bis Mitte Dezember könnte deshalb großer Druck auf den CDU-Abgeordneten in Sachsen-Anhalt lasten. Werden sie ihm standhalten, überhaupt standhalten wollen?
Nazi-Keule vom Generalsekretär
Auch die Koalitionspartner in Magdeburg, SPD und Grüne, machen Druck. Holger Hövelmann, Medienexperte der SPD-Fraktion, sieht in der Abstimmung einen „Sprengsatz für die Koalition“: „Wir sind in diese Keniakoalition gestartet, um Mehrheiten jenseits der AfD zu bilden. Und wenn jetzt die CDU mit der AfD zusammen abstimmt in einer Entscheidung, die für die Bundesrepublik nicht unwesentlich ist, hat das Konsequenzen“, wird Hövelmann von spiegel.de zitiert.
Und in Berlin holt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gleich die große Nazi-Keule raus: „Nazis reicht man nicht die Hand. Egal, wie man zu einem Thema steht“. Unabhängig davon, was es für eine Verharmlosung des Nationalsozialismus und der Nationalsozialisten ist, wenn man die AfD mit ihnen gleichsetzt – verunglückte Nazi-Vergleiche pflastern den Weg von Politikern aller deutschen Parteien – ist es doch irre, was Genosse Klingbeil da sagt. Soll man sich wirklich verleugnen und seine Wahlversprechen brechen, weil vielleicht auch die AfD mit einem stimmt? Wem wird das wohl nützen, und wieviel Macht verschenkt man damit eigentlich an die Ausgegrenzten?