Ein ideologisiertes Weltbild macht die Wissenschaft bei vielen Fragen zwar nicht gleich blind, aber eben doch einäugig und erlaubt es ihr nur noch eingeschränkt, bestimmte Phänomene aufzuklären. Ein Beispiel.
Ausnahmsweise mal nicht im Rahmen einer Internetrecherche, sondern ganz konventionell in der wöchentlichen WamS-Kolumne des Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Dr. Thomas Mayer, stieß ich auf eine recht bemerkenswerte Studie. Es geht darin um die Frage, wie sich die globale Erwärmung auf die wirtschaftliche Entwicklung der Länder dieser Erde auswirken wird – präziser formuliert: wie sich die erwarteten Temperaturveränderungen in den nächsten Jahrzehnten auf das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf auswirken werden. Es handelt sich also um eine sog. Modellierungsstudie.
Im Kern geht es bei Modellierungen darum, ein realistisches, komplexes Problem mithilfe von Mathematik zu lösen. Im Einzelnen hat das folglich viel zu tun mit Gleichungen, Beschreibung von Wachstumsvorgängen oder geometrischen Zusammenhängen mithilfe von Funktionen und natürlich auch mit der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten. Eigentlich ist es gerade nicht des Menschen Stärke, komplexe, vernetzte und dynamische Situationen in all ihren Strängen und Verästelungen gedanklich zu durchdringen. Durch den Einsatz von immer leistungsfähigeren Computern und ausgefeilteren mathematischen Prozeduren hat sich dieses Grundproblem sicherlich abgeschwächt, aber mitnichten aufgelöst. So ist der Prognostiker immer gut beraten, seinen Prognose-Horizont möglichst weit in die Zukunft zu verlagern. Auch deshalb dürfte die kommende Jahrhundertwende als Prognose-Endpunkt so beliebt sein. Wie es um die Güte oder Treffgenauigkeit von wirtschaftswissenschaftlichen Prognosen zu komplexeren Sachverhalten über einen mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte umfassenden Zeitraum grundsätzlich bestellt ist, sei dahingestellt.
Klima und Wohlstand
In der hier interessierenden US-Studie wird angenommen, dass es sich bei der Beziehung zwischen Temperatur und wirtschaftlicher Produktivität nicht um eine lineare, sondern eine nicht-lineare handelt: Die Produktivität nimmt also nicht einfach mit steigender Temperatur ab und mit sinkender zu, oder umgekehrt, sondern es existiert eine Grenztemperatur, die bei etwa 13 Grad Celsius liegt. Bis zu einer durchschnittlichen Jahrestemperatur in dieser Höhe steigt die Produktivität mit jedem Grad, das es wärmer wird. Eine durchschnittliche Jahrestemperatur von über 13 Grad Celsius wirkt sich dagegen mit jedem Grad ungünstiger auf die Produktivität aus. Das sind für nord- und mitteleuropäische Länder natürlich positive Nachrichten. Lag doch die jährliche Durchschnittstemperatur nach Daten der Weltbank für 2021 z.B. in Schweden bei 3,0, in Deutschland bei 9,5 und selbst in Frankreich nur bei 11,6 Grad C. Auch die USA dürften mit 10,0 gut gerüstet sein, weniger allerdings Länder wie Indien mit 25,0, Singapur mit 27,7 oder z.B. Togo mit 28,1 Grad Celsius.
Damit sind die guten Nachrichten für Deutschland aber noch nicht beendet. Selbst unter Annahme des völlig irrealen Worst-Case-Szenarios RCP 8,5 – mit einem weiteren Temperaturanstieg von knapp 4 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 – könnte Deutschland immer noch mit einem temperaturbedingten Produktivitätszuwachs von insgesamt 1,7 Prozent rechnen, Schweden gar mit 4,3 Prozent. Würde in Deutschland eine vernunftbasierte statt eine ideologiegetriebene Wirtschaftspolitik gemacht, könnte man der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung – dem Klimawandel zum Trotz – ausgesprochen entspannt entgegenblicken, ihn vielleicht gar teils als Standortvorteil betrachten.
Singapur und Togo
Für Länder des sog. „globalen Südens“ sähe es dagegen nicht so rosig aus. Indien z.B. müsste mit einem Verlust von 8,5 Prozent rechnen, die noch wärmeren Tropenstaaten wie Singapur oder auch das afrikanische Togo mit einem noch größeren Aderlass ihres BSP. Aber, und jetzt nähern wir uns dem Schwachpunkt der hier interessierenden Modellierungsstudie: Ist es wirklich gut begründet, Länder wie z.B. Singapur und Togo in Bezug auf die wirtschaftlichen Folgen weiterer Erwärmung in einen Topf zu werfen? Weist die bisherige reale Entwicklung Singapurs und Togos – zweifelsohne ein Extremgruppenvergleich – nicht vielleicht exemplarisch auf ein gravierendes Problem dieser Modellierung hin, dass nämlich bestimmte Parameter, die wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg eines Landes beitragen, nicht berücksichtigt wurden? Was ggf. die Frage nach dem warum nicht? nach sich zöge.
Als Singapur und Togo in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in die Unabhängigkeit entlassen wurden, betrug ihr BIP-Verhältnis etwa 6:1. Mittlerweile steht es bei 49:1 und Singapur im BIP-Ranking (kaufkraftbereinigt) weltweit auf Platz 2, Togo auf Platz 175. Die einen haben offenbar – trotz einer ebenfalls vermeintlich produktivitätshemmenden Durchschnittstemperatur – eine Menge besser gemacht als die anderen. Was waren und sind die Ursachen dafür?
Kognitiver Kapitalismus
Wesentliche Antworten auf diese Frage bietet ein Forschungszweig, der unter der Überschrift „Kognitiver Kapitalismus“ firmiert. Einer der Protagonisten auf diesem Feld ist der Professor für Pädagogische und Entwicklungspsychologie an der TU Chemnitz, Heiner Rindermann. Er hat zu diesem Thema unter anderem diesen Artikel und im Jahr 2018 eine umfangreiche Monographie vorgelegt. Zudem liegt noch ein interessantes, auf deutsch geführtes Interview mit ihm vor.
Für den ideologisch ungebundenen Wissenschaftler oder auch interessierten Zeitgenossen keineswegs überraschend, gelang Rindermann und Kollegen – u.a. auf Grundlage einer 90 Länder umfassenden Stichprobe – der überzeugende Nachweis, dass das psychische Merkmal Intelligenz eng mit dem Wohlstand bzw. dem BSP von Nationen zusammenhängt. Dabei ist es unwesentlich, ob der IQ auf Grundlage von Intelligenz- oder standardisierten Schulleistungstests berechnet wird, denn beide Messverfahren korrelieren sehr hoch miteinander und erfassen letztlich dasselbe Konstrukt.
Stärker noch als das durchschnittliche kognitive Niveau bestimmt der relative Anteil der kognitiv besonders Leistungsfähigen den Wohlstand von Nationen. Darüber hinaus gilt: je höher das kognitive Niveau, desto größer auch die wirtschaftliche Freiheit einer Nation, was wiederum positiv zum Wohlstand beiträgt. Der kognitive Kreis schließt sich dann, indem wohlhabende Nationen mehr Geld in Bildung investieren können als arme.
„Intelligenz und Wissen“, so erläutert Rindermann, „tragen dazu bei, dass Menschen fehlerärmer arbeiten, anspruchsvollere Aufgaben im Beruf und Alltag bewältigen und neue, technisch und wissenschaftlich an der Spitze der Entwicklung stehende Produkte entwicklen können.“ Der Unterschied im durchschnittlichen nationalen IQ zwischen Togo und Singapur beispielsweise beträgt mehr als 30 Punkte, also gut zwei Standardabweichungen. Diese ganz erhebliche Differenz dürfte einen oder auch den wesentlichen Teil der zwischen Singapur und Togo sehr unterschiedlich verlaufenen Wohlstandsentwicklung erklären, stellvertretend auch für zahlreiche andere Ländervergleiche.
Vor diesem wissenschaftlichen Hintergrund fällt es schwer, zu glauben, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen einer weiteren Erwärmung unabhängig sein sollen von der kognitiven Verfasstheit der einzelnen Nationen. Länder mit einem höheren kognitiven Potenzial werden die mit einer Erwärmung evtl. verbundenen ökonomischen Herausforderungen doch sehr wahrscheinlich besser meistern als die diesbezüglich schlechter gestellten Nationen. Wie uns derzeit die Ampel-Koalition lehrt, handelt es sich dabei aber keineswegs um einen Automatismus, zumal auch noch – im Folgenden nicht weiter berücksichtigte – unterschiedliche kulturelle Faktoren von Bedeutung sind.
Eine dominante Weltsicht
Es stellt sich also die Frage, warum denn die eingangs diskutierte Modellierungsstudie nicht auch problemlos verfügbare kognitive Parameter der einzelnen Nationen in ihre Analyse mit eingeschlossen hat. Die Antwort fällt in heutigen Zeiten nicht schwer, denn solche Forschungen, um noch einmal Prof. Rindermann zu zitieren, „verstoßen gegen eine an Universitäten, in Medien und auch Wikipedia dominante Weltsicht des empirischen Universalismus, das heißt, alle Menschen und Menschengruppen seien in ihren wesentlichen Merkmalen gleich.“ Ein solch ideologisiertes Weltbild macht die Wissenschaft bei vielen Fragen zwar nicht gleich blind, aber eben doch einäugig und erlaubt es ihr nur noch eingeschränkt, bestimmte Phänomene aufzuklären. Wesentliche ursächliche Mechanismen oder Risikofaktoren werden einfach nicht mehr berücksichtigt oder auch aktiv beschwiegen, um schließlich, flankiert von Zensur und personeller Austrocknung, mehr oder weniger dem Vergessen anheimzufallen.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im zivilrechtlichen Bereich.