Sigmar Gabriel hat gewonnen. In seinem Amt als Außenminister, mit dem er dafür entschädigt wurde, dass er den Platz als SPD-Chef räumen musste, darf er sich öffentlich über den Sieg von Emmanuel Macron freuen, ohne den Absturz seiner Partei bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein vertreten zu müssen. Und er scheint es am Wahlsonntagabend genossen zu haben, auf der Seite des Siegers zu stehen und sich nicht mehr vor seine trauernden Genossen stellen zu müssen.
„Emmanuel Macron steht für Europa, steht für Aufbruch, für Reformen. Er möchte Europa besser machen. Dieses Ziel teilen wir! Er wird aber auch Deutschland herausfordern. Die Wahl Macrons ist auch ein Auftrag an uns Deutsche“, jubelte der Genosse Außenminister. Wieso französische Wähler einen „Auftrag an uns Deutsche“ erteilen können, hielt Gabriel nicht für weiter erklärungsbedürftig. Dafür verschwieg er nicht, worum es in dem Auftrag geht. Die deutschen Steuerzahler sollen in Anspruch genommen werden, um Macrons Wahlversprechen zu finanzieren.
„Wir sollten jetzt gemeinsam mit den Franzosen an einem deutsch-französischen Investitionsfonds arbeiten. […] Nur wenn es unseren Nachbarn gut geht, werden sie unsere Autos, unseren Maschinenbau und unsere Elektrotechnik kaufen“, formuliert es der frühere Bundeswirtschaftsminister. Der letzte Satz ist zwar grundsätzlich richtig, nur ist das vordringlich die Aufgabe der französischen Verantwortungsträger und Genosse Gabriel sollte sich vielleicht abseits aller guten Zahlen einmal im Lande umsehen, wie lange schon hierzulande vielerorts die Infrastruktur auf Investitionen wartet. Das wiederum fällt in die Verantwortung einer deutschen Regierung. Die Frage sei noch erlaubt, was eigentlich der „Auftrag an uns Deutsche“ gewesen wäre, wenn sich der französische Wähler mehrheitlich für Marine Le Pen entschieden hätte?
Gut, das ist vielleicht eine etwas abseitige Frage, denn sie hat ja klar verloren und das hatte schließlich jeder erwarten können. Allerdings ist der Sieg Macrons so glänzend nicht, wie er auf den ersten Blick aussieht.
8,9 Prozent haben bewusst ungültig gestimmt
Nur 75 Prozent der Wahlberechtigten sind überhaupt zur Abstimmung gegangen und 8,9 Prozent der Wahlberechtigten haben bewusst ungültig gestimmt. Das ist ein Rekordwert. Mehr französische Wähler als je zuvor wollten demonstrieren, dass sie zwar gern gewählt hätten, aber keinen der Kandidaten für wählbar hielten. Das ist eine grundsätzliche Absage an die politische Klasse, die selbige nicht nur in Frankreich bedenklich stimmen sollte, sondern vielleicht auch all jene, die Macrons großen Sieg so bejubeln, wie unser Bundesaußenminister: „Ich bin froh, dass Emmanuel Macron der Sieg gelungen ist. Sein Wahlkampf zeigt: Es lohnt sich, auf Europa zu setzen. Das hat auch Signalwirkung für uns in Deutschland.“
Vielleicht sollte Genosse Gabriel an dieser Stelle doch noch einmal einen Blick auf die Signale aus seiner eigenen Partei werfen. Die hat bereits auf Europa gesetzt, in dem sie mit dem früheren EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz einen "kraftvollen und durchsetzungsstarken Europäer" als Hoffnungsträger an die Spitze setzte. Nach einem kurzen Umfrage-Gipfelsturm muss nun auch der vermeintliche Heilsbringer nur peinliche Niederlagen rechtfertigen.
Immerhin ist der Sündenbock schon ausgemacht: Ministerpräsident Torsten Albig ist schuld. Rechnerisch hat der Wahlverlierer noch die Chance, eine Landesregierung zu bilden. Gelingt ihm das nicht, dürfte seine politische Karriere vorerst beendet sein. Irgendwer muss nun einmal die Verantwortung übernehmen und den Kanzlerkandidaten Schulz möchte man mit den Spuren einer solch dramatischen Niederlage natürlich nicht beschmutzen.
Lustig wirken da die Erklärungen des schleswig-holsteinischen SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner, obwohl der Mann sonst eigentlich eher nicht für selbstironischen Humor bekannt ist. Der Genosse aus Bordesholm twittert ebenso gern, wie der dafür oft gescholtene US-Präsident.
Pathetische Sprechblasen, die nach hinten zünden
Kurz wärmte er sich noch an der Nachricht: „Die meisten Erstwähler haben sich in Schleswig-Holstein für die SPD entschieden.“ Doch er sagte auch klar: „Alle Wahlziele wurden verfehlt.“ Jetzt wüssten wir gern, woran es gelegen hat: „Der Gerechtigkeitskurs war richtig, am Bundestrend hat es nicht gelegen, am Einsatz unserer Leute wirklich auch nicht - Wahlanalyse folgt.“ Wer nun gespannt darauf gewartet hat, las sieben Stunden später: „Partei im Norden hat bravourös gekämpft, am Bundestrend lag es auch nicht - im Gegenteil. Ursachenforschung notwendig!“
Also es lag nicht an der Landespartei und nicht am Bundestrend. Vielleicht ereilt den Genossen Landesvorsitzenden im Laufe des Tages noch die Erkenntnis, dass es an den Wählern gelegen haben könnte, die weder der Schulz-Zug noch das von Stegner einen Monat vor der Wahl verkündete „Sofortprogramm des Landes für Sanierung von Sanitärräumen in Schulen“ zu einer Stimme für die SPD motivieren konnte.
Aber auch Genosse Stegner findet Trost: „Zumindest Präsidentschaftswahlen in Frankreich mit erfreulichem Ergebnis.“ Wahrscheinlich hätte er lieber mit Sigmar Gabriel gejubelt und uns erklärt was der „Auftrag an uns Deutsche“ ist.
Eine Frage bleibt. Erteile ich mit meiner Stimme zur Bundestagswahl eigentlich auch einen Auftrag an die Franzosen oder die Polen, die Tschechen und die Dänen? Oder doch vielleicht nur an die gewählten Mandatsträger? Vielleicht sollten deutsche Spitzenpolitiker etwas weniger pathetische Sprechblasen in ihren Textbausteinkasten packen.
Der Beitrag erschien auch auf Peter Grimms Blog Sichtplatz.