Von Jan Henrik Holst.
Ein schwedischer Politiker äußert sich über Flüchtlinge und Intelligenz, wird zweimal verurteilt und von seiner Partei ausgeschlossen. In allerhöchster Instanz aber wurde er jetzt freigesprochen.
In Schweden fällte Ende März das in Stockholm ansässige Oberste Gericht des Landes, Högsta domstolen, ein interessantes Urteil. Es beschloss, Bertil Malmberg vom Vorwurf der „Hetze gegen Volksgruppen“ (hets mot folkgrupp) freizusprechen. Es befand damit anders als die zwei Instanzen davor, die Malmberg nämlich donnernd verurteilt hatten, und hob somit deren Entscheidungen auf.
Was war geschehen? Bertil Malmberg ist in Deutschland praktisch unbekannt, aber in Schweden ist das anders. Er sieht nicht böse aus. Der ältere Herr war nur vielleicht etwas zu naiv für die woke neue Welt. Er sprach frei von der Leber weg, so wie man das in den 1970er oder 80er Jahren, zum Teil auch noch später, in einem westlichen Industrieland immer getan hätte – und wie es einer Demokratie normalerweise auch guttut.
Umstrittene Aussage über Intelligenz von Flüchtlingen
Aber die Zeiten hatten sich in Schweden erheblich geändert: Ähnlich wie in Deutschland gab es eine lange Reihe gesetzlicher Einschränkungen, die die Meinungsfreiheit beschneiden, und es gibt Gerichte, die auf dieser Grundlage Menschen zu Geldstrafen und mitunter auch zu Strafen anderer Art verurteilen. Damit schuf man den Tatbestand der „Gesinnungsverbrechen“ (åsiktsbrott), wie es oft genannt wird. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen des nordeuropäischen Landes in den letzten Jahren kann der Freispruch als kleine Sensation gewertet werden.
Ende April 2021 sagte nämlich Malmberg, zu diesem Zeitpunkt noch aktiver Politiker, in größerer Runde in einem politischen Gremium Sörmlands, südsudanesische Quotenflüchtlinge würden den Staat auf die Dauer größtenteils nur Geld kosten, und zwar wegen durchschnittlich geringerer Intelligenz und schlechterer Ausbildung. Für die Aussage zur Intelligenz berief er sich auf Forschungsarbeiten. (Aus Deutschland waren die sicher nicht.) Ein anwesendes (weibliches) sozialdemokratisches Mitglied des Gremiums meldete diese Aussagen bei der Polizei. Die erste Instanz verurteilte Malmberg zu 24.000 Kronen Geldstrafe (ca. 2.100–2.200 Euro).
Gigantisches Wokistan der westlichen Welt
Zwei Dinge werden bei Fällen wie diesem immer wieder verwechselt. Ob die betreffende Person eigentlich recht hat mit ihrer Aussage oder nicht – das ist die eine Frage. Die andere – und zwar völlig andere – Frage ist, ob es in einer Demokratie möglich sein muss, die betreffende Aussage zu tätigen. Bei letzterem gilt nun mal, dass die „Statik“ einer Demokratie am besten dann funktioniert, wenn ein möglichst großes Spektrum an Aussagen möglich ist. Vieles wird sich dann von selbst regulieren. Denn die Freiheit einer Meinung geht normalerweise damit einher, dass auch die Freiheit besteht, ihr zu widersprechen und eine Diskussion zu beginnen. Das Abschneiden von Meinungen an allen Ecken und Kanten tut der Demokratie keinen Dienst, sondern beschädigt sie. Im gigantischen Wokistan der westlichen Welt herrscht aber weitgehender Konsens in gewissen Kreisen, dass abweichende Meinungen mit Füßen getreten und juristisch verfolgt werden sollten.
Nun also ein überraschender Freispruch. Na, wenn da mal nicht die EU einschreitet. Wenn da mal nicht aus Schweden ein neues Ungarn wird, wo auf den Tischen getanzt wird. Die Regierung ist ja seit letztem Jahr auch schon eine andere – nämlich „bürgerlich“, gestützt von den Schwedendemokraten. Wenn da mal kein Anruf aus Südafrika notwendig ist, dass das Urteil rückgängig gemacht werden müsse…
Der hier behandelte Bertil Malmberg ist übrigens nicht zu verwechseln mit einem gleichnamigen Dichter und auch nicht mit einem ebenfalls gleichnamigen Sprachwissenschaftler (genauer: Phonetiker), die beide schon verstorben sind. Das deutsche Google spuckt bei Angabe des Namens zahlreiche Treffer zu diesen zwei Namensvettern aus, jedoch auch nach vielem Klicken keinen einzigen zur aktuellen Angelegenheit (Test 31. März 2023, abends). Zum Westfernsehen gelangt man mit Google anscheinend nicht.
Ein Unglück kommt selten allein: Parteiausschluss
Interessant ist nun noch, dass Malmberg keineswegs nur Ärger mit den politisch Korrekten hatte, aus deren Reihen er verklagt wurde. Er war zum Zeitpunkt seiner Äußerungen, also vor zwei Jahren, Mitglied der Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna) und für diese in Sörmland tätig. Aber aus genau dieser Partei wurde er daraufhin wegen seiner Aussagen ausgeschlossen – also von einer sogenannten „rechtspopulistischen“ Partei, die auf deutsche Verhältnisse übertragen (bei allen Unterschieden) grob mit der AfD vergleichbar ist. Es zeigt sich also das höchste Gericht Schwedens toleranter als seine frühere Partei.
Die alternativen Medien Schwedens – es gibt solche auch dort – griffen das Urteil selbstverständlich am Freitag, 31. März, sofort auf. Sie nahmen – trotz distanzierter und sachlicher Berichterstattung – das Ereignis zwischen den Zeilen mit Erleichterung und einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis. Das zeigt sich bei den Internetplattformen Samnytt (kurz für Samhällsnytt, wörtlich: „Gesellschaftsneues“) und Fria tider (wörtlich: „Freie Zeiten“):
Das Nachrichtenportal Samnytt veröffentlichte zwei Begleitbilder über seinem Text: Eines ist ein Foto von Malmberg, das andere ein Ausschnitt einer Weltkarte mit den IQ-Unterschieden auf der Welt, die laut der Forschung, auf die er sich beruft, bestehen sollen.
Höchstes Gericht: Gesellschaft muss Malmbergs Aussagen aushalten
Der heute 83-jährige Malmberg zeigte sich erleichtert über die Wendung. Zweimal war er in Berufung gegangen. Er erklärte, das Urteil in seiner Sache sei „gut für die Meinungsfreiheit“. Er sei jetzt nicht nur in Hinblick auf sich selbst froh, äußerte er im staatlichen Fernsehen SVT, sondern auch hinsichtlich der Meinungsfreiheit in Schweden insgesamt. Laut der schriftlichen Stellungnahme des Högsta domstolen muss die Gesellschaft Malmbergs Aussagen akzeptieren. Die Bedeutung einer freien und offenen Debatte wiege schwer, so das Gericht.
Samnytt schob sogar gleich ein kurzes Interview mit Malmberg hinterher: Darin sagt Malmberg, er sei enttäuscht von den Schwedendemokraten. Diese hätten ihn stützen sollen. Er habe aber noch viele Freunde in der Partei, und von einigen habe er per Kurztextmitteilung (SMS) Glückwünsche zum Freispruch erhalten. Malmberg sagte, er strebe jedoch keine Rückkehr in die Partei an, sondern habe seine Pflicht getan und setze sich bezüglich der Parteipolitik jetzt zur Ruhe. Er sei aber weiterhin beispielsweise mit Lesungen aktiv. Bertil Malmberg ist auch Autor eines Buchs mit dem Titel „Islam under slöjan“ (Der Islam unter dem Schleier), das er unter dem Pseudonym Nils Dacke veröffentlichte. Um einen Bestseller scheint es sich bislang zwar nicht zu handeln, aber die jetzige Publicity könnte das ja noch ändern.
Großes Medieninteresse in Schweden
Samnytt sprach auch mit Anton Berglund, demjenigen Schwedendemokraten-Politiker, der sich für den Ausschluss Malmbergs starkgemacht hatte. Berglund sieht keine Fehler bei sich. Der die Interviews führende Journalist Mattias Albinsson klassifiziert das Urteil des höchsten schwedischen Gerichts als „oväntad“, das heißt „unerwartet“. Das ist möglicherweise schwedisches Understatement – es kann eher als bemerkenswert oder sogar sensationell eingeordnet werden. (Vor gar nicht so langer Zeit musste man von ganz anderen Urteilen aus Schweden berichten.)
Der Fall war von schwedischen Medien verschiedenster Ausrichtung und Couleur zwei Jahre lang mit großer Aufmerksamkeit verfolgt worden; beispielsweise erschien eine große Zahl an Online-Artikeln. Der größere Kontext der Ereignisse ist natürlich der, dass wir in einer Zeit leben, in der Auseinandersetzungen rund um die Meinungsfreiheit hart geführt werden.
Jan Henrik Holst ist Sprachwissenschaftler und interessiert sich für Politik, Gesellschaft und den philosophischen Rahmen von Demokratie und Meinungsfreiheit. Er lebt in Norddeutschland und arbeitet unter anderem als Dozent für Sprachen Nordeuropas.