Peter Grimm / 13.12.2024 / 13:58 / Foto: Imago / 25 / Seite ausdrucken

Ein überparteilicher Ministerpräsident für Sachsen?

Matthias Berger, fraktionsloser Abgeordneter im Landtag, kandidiert gegen den CDU-Amtsinhaber zur Wahl des Ministerpräsidenten. Er hat Chancen, könnte die Brandmauer-Politik durchbrechen. Und keiner kann diese Wahl rückgängig machen.

Während in Thüringen jetzt die Tollkirschen-Koalition aus CDU, Wagenknecht-Bündnis und SPD mit Hilfe der Linken regiert und damit die erste Allparteien-Kooperation mit der AfD als einziger parlamentarischer Oppositionspartei zusammengezimmert hat, könnte es in Sachsen eine andere Premiere geben.

Am 18. Dezember stehen im Landtag gleich drei Ministerpräsidenten-Kandidaten zur Wahl. Natürlich der amtierende CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, der zusammen mit der SPD eine Minderheitsregierung bilden will. Das aber sorgt in der eigenen Partei für Unmut. Viele Parteifreunde fragen sich, warum die Partei nicht allein zu regieren versucht, wenn es ohnehin um eine Minderheitsregierung geht, die sich Mehrheiten suchen muss. Stattdessen bindet sie sich im Koalitionsvertrag mit der SPD wieder nur nach links, weil sich die Koalition dazu verpflichtet hat, Mehrheitsbeschaffer niemals rechts, sondern nur bei Grünen und linksaußen bei den SED-Erben und deren Wagenknecht-Abspaltung zu suchen. Die Stimmen der zweitstärksten Partei im Landtag sollen möglichst keine Rolle spielen. Ein nicht gerade demokratisches Ansinnen, aber wenn es um die Ausgrenzung der AfD aus der politischen Entscheidungsfindung geht, scheint heutzutage fast alles erlaubt. 

Die AfD, die bei der Landtagswahl nur knapp hinter der CDU einlief, wird ihren Landes- und Fraktionsvorsitzenden Jörg Urban zur Wahl stellen. Zumindest im ersten Wahlgang. Die Partei hatte zuvor signalisiert, sie würde auf einen eigenen Kandidaten verzichten, wenn Kretschmer für eine CDU-Alleinregierung ins Rennen ginge, aber das tut er ja bekanntlich nicht.

Heute vormittag nun erklärte auch der Landtagsabgeordnete Matthias Berger offiziell seine Kandidatur. Er ist ein fraktionsloser Abgeordneter, der als Kandidat der Freien Wähler direkt in den Landtag gewählt wurde. Im früheren politischen Normalbetrieb hätten die Berichterstatter wahrscheinlich nur spöttisch darüber gesprochen und geschrieben, dass ein Einzelabgeordneter sich anmaßt, Ministerpräsident werden zu wollen. Aber die Zeiten sind nicht normal, und Berger hat Chancen.

Er ist mit Abgeordneten aller Fraktionen im Gespräch. Irgendeine Brandmauer kennt er da nicht. Der langjährige Oberbürgermeister von Grimma kennt auch viele der Herausforderungen für den nächsten sächsischen Ministerpräsidenten recht genau. Da sieht er lieber einen parteilosen Pragmatiker am Werk als einen Parteipolitiker. Und wenn es keinen Anderen gibt, der an dieser Stelle seinen Hut in den Ring wirft, dann macht er das eben selbst. Seine Idee von einer überparteilichen Expertenregierung hatte er schon vor einer Weile in den Medien platziert. Nun will er sie selbst zusammenstellen, wenn er gewählt wird. Und Vorschläge für die Besetzung der Regierungsämter sind aus allen Parteien willkommen. 

Kein spendabler Landesherr

Dass er angesichts von fehlenden Milliarden im Haushalt nicht den spendablen Landesherrn geben kann, weiß Berger genau. Er will beispielsweise mit der Reduzierung von Stellen in der Landesverwaltung Geld sparen, kündigt er an. Schon kurz nach seiner Wahl in den Landtag hatte er bereits versprochen, sich einer Aufweichung der sächsischen Schuldenbremse konsequent in den Weg zu stellen. 

Er erscheint als ein Mann, der bereit ist, auch dann Verantwortung zu übernehmen, wenn es vor allem Probleme zu lösen gilt, Krisen zu managen und kaum Dankes-Lorbeeren zu erwarten sind. Wären manche Parteipolitiker nicht insgeheim froh, wenn ihnen jemand die unangenehmen Aufgaben abnimmt, vielleicht in einer Art Übergangsregierung, die man dann beerben kann, wenn sie die Karre aus dem Dreck geholt hat?

Ungeachtet der Frage, ob Berger solche Erwartungen tatsächlich erfüllen kann, glauben wahrscheinlich immer weniger Sachsen, dass es der gegenwärtige Ministerpräsident könnte. Das wissen auch die Abgeordneten seiner CDU. Kretschmer und seine Anhänger müssen vor allem in den eigenen Reihen heftig werben und motivieren, damit nicht zu viele christdemokratische Mandatsträger dem Ministerpräsidenten ihre Stimme verweigern.

Vielleicht schaffen sie es mit Zuckerbrot und Peitsche wirklich in den nächsten Tagen noch, fast alle CDU-Mandatsträger zur Kretschmer-Wahl zu bewegen. Nach heutigem Stand aber dürfte keiner der drei Kandidaten, die am 18. Dezember zum ersten Wahlgang antreten, die notwendige absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommen.

Was passiert dann im zweiten Wahlgang? AfD-Kandidat Jörg Urban könnte seine Kandidatur zurückziehen. Wenn Bergers Ergebnis im ersten Wahlgang nicht allzu niederschmetternd war, dann blieben er und Kretschmer im Rennen. Und dann wird es wirklich spannend. Wenn AfD, BSW und einige CDU-Abtrünnige für Berger stimmen, könnte es reichen. Immerhin ist es eine geheime Wahl, und 2020 hatte auch kaum jemand damit gerechnet, dass in Erfurt Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt wird. Doch zum Fall Kemmerich gibt es zwei Unterschiede. Kemmerich hatte sich darauf, dass er tatsächlich gewählt werden könnte, nicht vorbereitet. Und dieses Mal gibt es keine Kanzlerin, die erklärt, dass die Wahl rückgängig gemacht werden müsse und eine überparteiliche Gefolgschaft findet, die dies umsetzt.

Es gibt Kritiker, die dem Konzept einer sogenannten Experten-Regierung äußerst skeptisch gegenüberstehen, weil sich letztlich jede Regierung im von Parteien beherrschten Parlament behaupten muss und deshalb auch nicht losgelöst von der ungeliebten Parteipolitik agieren kann. Das ist ein berechtigter Einwand, aber wäre dieser sächsische Regierungsversuch nicht dennoch vielversprechender für den Freistaat als eine linkslastige Weiter-so-Minderheitsregierung in einem Land, dessen Bürger mehrheitlich mitte-rechts gewählt haben? Besser als die Aussicht auf eine neue Kretschmer-Regierung erscheint das allemal.

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

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F. Michael / 13.12.2024

Mal sehen, ob man in Berlin das durchgehen lassen wird oder vorher noch Kinderpornos bei ihm gefunden werden.

Andreas Donath / 13.12.2024

@ Arthur Sonnenschein / 13.12.2024 “Man wird diesen Mann und sein Umfeld im Fall der Fälle genauso angehen wie Kemmerich vor vier Jahren. Und wie vor vier Jahren würde er zurückziehen und daraus nichts folgen. Niemand wagt die linken Seilschaften ins Licht zu zerren, weil fast alle dazu gehören.” Sie beurteilen Berger falsch. Das ist kein Einknicker. Der Mann hat seinen tollen Posten in Grimma, wo er viel Anerkennung hatte, eigens aufgegeben, um Gerechtigkeit obwalten zu lassen und der AfD im Zweifel zur Sperrminorität zu verhelfen, die man ihr nachträglich geklaut hat. Er wurde im Kontrafunk damals sehr gut portraitiert. Ein echter Hoffnungsträger. Und einer mit A…. in der Hose.

Andreas Donath / 13.12.2024

@ Stefan Riedel: Berger ist ein sehr guter, anständiger Mann und wäre ein Segen für Sachsen als Ministerpräsident.  Das sage ich als einer, der seit 2013 nie etwas anderes als die AfD gewählt hat und auch nicht vorhat, dies zu ändern. Berger und die AfD - das würde vorzüglich harmonieren. Der ehemalige OB von Grimma ist ausgesprochener Freund einer Politik des gesunden Menschenverstandes, was ihn dem politischen und medialen Mainstream schon verdächtig macht. Wer sich sowas traut, ist ja potenziell “rechts” im Faeser-Habeck-Merz-Staat. Deshalb hat Berger natürlich sämtliche Altparteien gegen sich, da eben jener gesunde Menschenverstand deren Todfeind ist.

Martin Schau / 13.12.2024

Auf Twitter (X) schrieb heute die AfD-Fraktion Sachsen: “Der Einzelabgeordnete Matthias Berger (Freie Wähler) will nächster sächsischer Ministerpräsident werden und eine „Expertenregierung“ mit allen Fraktionen anführen. Die AfD hat sich die Ideen von Herrn Berger angehört und geprüft. Letztendlich hat sich die AfD-Fraktion einstimmig dagegen entschieden. Denn: Eine „Expertenregierung“ ohne vorher benannte Experten ist keine Expertenregierung. Das Berger-Modell sieht zudem die Einbindung selbst der Linken (4,5 %) und der Grünen (5,1 %) vor. Bei einer fairen Vergabe der Ministerien an alle Parteien nach dem D’Hondt-Verfahren würden die linken Kleinparteien hingegen leer ausgehen. Die Bevorzugung dieser linken Kleinparteien lehnt die AfD-Fraktion ab. Wir werden deshalb weder Herrn Berger noch eine #CDU-#SPD-Minderheitsregierung unter Michael #Kretschmer wählen. Die AfD-Fraktion hat ihren Vorsitzenden Jörg Urban dafür nominiert, in einem oder mehreren Wahlgängen gegen Herrn Kretschmer und Herrn Berger anzutreten.”

Barbara Strauch / 13.12.2024

Berger als MP, das hat was. Ich drücke ihm die Daumen (und auch die CDU wäre eine Klemme zwischen Brandmauer und Linksgrün los). Die Sachsen sind immer für eine Überraschung gut!

Oliver Hoch / 13.12.2024

Nächste Woche wird es spannend. Auch wenn sowohl die Kandidaten (nein, nicht des Politbüros) Kretschmer und Urban persönliche Stärken aufweisen, halte ich dennoch Herrn Berger für den klar besten Bewerber für das Amt unseres Ministerpräsidenten. Herrn Kretschmer ist vor allem (sein unerträgliches Agieren zu “Corona”- Zeiten mal außer Acht gelassen) anzulasten, dass er in den vergangenen 5 Jahren bei seiner Koalition mit den korrupten Grünen (und einer anderen Splitterpartei) dem Land rückgratlos geschadet hat. Herr Urban steht eher ohne Erfolgschancen gegen die Merzsche Brandmauer, so dass eine Regierung unter seiner Führung zu sehr unter ritueller Bekämpfung durch die “diversen” Linksparteien zu leiden hätte. Herr Becker hingegen könnte eine solide Regierung unter Einbeziehung von CDU und AfD (sowie einem oder zwei Regierungsmitgliedern aus den Reihen der SED- Nachfolger) bilden. Wir Sachsen hoffen darauf - wir wollen nie, nie nie wieder unter Sozen oder Grünen leiden.

T. Schneegaß / 13.12.2024

Die CDU in Sachsen benötigt jetzt zwei Brandmauern, um die Demokratie zu sichern: eine gegen eine Partei und eine gegen eine Person.

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