Claudio Casula / 20.08.2022 / 14:00 / Foto: Olaf Kosinsky / 16 / Seite ausdrucken

Ein Tag im Leben des Friedrich M.

Noch vor Sonnenaufgang hatte Friedrich das allmorgendliche Bad im Geldspeicher genommen. Rundum erfrischt, setzte er sich an den Frühstückstisch, ging noch einmal seinen Terminkalender durch.

Und die Rede, die er heute noch im Bundestag halten würde, bevor es in die Sommerpause ging. Den Bastarden von der Ampel mal so richtig heimleuchten. Die fahren den Laden mit Karacho gegen die Wand, dachte Friedrich. Ich muss mich als Hoffnungsträger ins Spiel bringen. Für gemäßigt Konservative. Sehr gemäßigt. Eher so Mitte. Mitte-links. Ein bisschen was gegen das Aus für Verbrenner sagen. Für die Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke plädieren. Oder zumindest für Streckbetrieb. Und an den geplanten Corona-Maßnahmen herummosern. Aber so, dass man ihm nicht sofort das Umfaller-Etikett umhängen würde, wenn er dann im Herbst umfiele. Die würden eh nicht auf ihn hören. Uns alle voll in die Grütze reiten.

Vielleicht schlägt dann doch noch meine Stunde, dachte Friedrich. Er war jetzt 66, Adenauer war mit 73 Kanzler geworden. Zwei Legislaturperioden würde er noch locker aussitzen. Vielleicht würde dann sein Churchill-Moment kommen, der war ja auch erst spät zu großer Form aufgelaufen. Nachdem er so manchen Misserfolg hatte verdauen müssen. Wie er, Joachim-Friedrich Martin Josef. Er hatte nicht vergessen, wie ihn die Hexe 2004 abserviert hatte. Und ihm zweimal sein Comeback versaute. Gegen „AKK“ und Flaschet den Kürzeren zu ziehen, das musste man auch erst einmal schaffen. Friedrichs Miene verfinsterte sich. Die Hexe vom Kupfergraben hatte alles hintertrieben. Wie oft hatte er am Lenneufer gesessen und darauf gewartet, dass ihr leckes Boot ruderlos vorbeitreiben würde.

Aber nichts. Die Partei hatte sich widerstandslos auf links ziehen lassen, und die Presse jubelte die Alte durch 16 Jahre. Während sie auf ihm immer nur herumhackten. Die hielten ihn tatsächlich für konservativ. Klar, wenn du aus dem schwerstkatholischen Hochsauerland kommst, deine Hobbys Wandern und Radfahren sind und du Funkamateur und seit über 40 Jahren mit derselben Frau verheiratet bist. Um dieses biedere Image loszuwerden, hatte er den Journos erzählt, in seiner Teenagerzeit ein ganz Wilder gewesen zu sein. Rebellisch. Dass er schulterlange Haare getragen und ein Moped besessen, an der Pommesbude Zigaretten geraucht und Bier getrunken habe. Und immerhin spielte er ja Klarinette! Im Grunde war er, Fiete, eine total coole Socke, gefangen im Körper eines Sparkassenfilialleiters.

Gehobene Mittelschicht eben

Wie auch immer. Er hatte es zu was gebracht, dachte Friedrich auf dem Weg zum Bundestag. Jahresverdienst eine Million brutto, ein Vermögen von einigen Fantastilliarden, Feriendomizil am Tegernsee, Privatflugzeug. Gehobene Mittelschicht eben. Aber noch war er nicht ganz am Ziel. Da ging noch was! Rasch scrollte er auf seinem Tablet die Nachrichten durch. Was?! Eine Mehrheit der Bürger sollte laut Umfrage für eine Maskenpflicht sein? Dann musste er an seiner Rede noch etwas ändern…

Immer taktisch denken, dachte Friedrich. Er hatte seine Überzeugungen, aber wenn er damit nicht gut ankam, hatte er noch andere. Erst war er gegen Mitgliederbefragungen, später dafür. Und so war er schließlich doch noch Parteivorsitzender geworden. Gut, er hatte auch Fehler begangen. Sich gleich zweimal anheischig gemacht, ein Ministerium im Kabinett der Hexe zu übernehmen, er traue sich das zu, wenn man ihn denn riefe. Und dann rief ihn niemand. Wegen der Hexe, klar. Er hätte sich in den Hintern beißen können. Und dann diese Einladung zum Abendessen, ein Versöhnungsangebot seinerseits. Hatte sie natürlich auch ausgeschlagen, wie den Ehrenvorsitz der von ihr so gehassten Partei. Warum hatte er sie nicht auf einem der Parteitage herausgefordert? Weil er sich doch nur wieder eine blutige Nase geholt hätte, wie er sich zerknirscht eingestand.

Ach, das war doch eine schöne Zeit gewesen bei BlackRock. Wenigstens da konnte ihm die Hexe nicht in die Suppe spucken. Sie war wohl ganz zufrieden damit, ihn von der Politik fernzuhalten. Hielt ihn bestimmt auch für schlimm rechts. Dabei umfuhr er schon Liberal-Konservative stets weiträumig. Verzichtete auf einen Preis der Ludwig-Erhard-Stiftung, weil er nicht mit deren Vorsitzenden Roland Tichy auf einer Bühne stehen wolle. Sagte seine Teilnahme an einer Veranstaltung mit Broder und Steinhöfel ab.

Die große weiße Hoffnung der Partei, mit 1,98 Meter

Gedankt wurde es ihm nicht, die Medienfritzen waren immer noch gegen ihn. Dabei hatte er doch oft genug links geblinkt, er hatte ja eh nur eine Chance, wenn er jemals Kanzler werden wollte: Er musste mit den verdammten Grünen ins Bett. Einen konservativen Roll-Back würde es mit ihm nicht geben, selbst wenn er es gewollt hätte. Dabei hielt er die Energiewende für den reinen Wahnsinn, hasste ihr Weltverbesserergehabe und das Gender-Gequatsche. Den Fall dieser Intendantin hatte er kürzlich genutzt, um dem ÖRR eins reinzuwürgen, hatte Reformen gefordert und gedroht, ihm den Stecker zu ziehen, wenn er sich nicht ändere – „vielleicht eine der letzten Gelegenheiten“. EINE der letzten… Ein Schritt vor und zwei zurück, er musste warten, bis die Ampel im von ihr angerichteten Chaos versank, um sich dann als Retter erbötig zu machen.

Brav geklatscht hatten sie immerhin, vermerkte Friedrich über seine Leute, als er die Rede im Plenarsaal beendet hatte. Zehn Minuten Standing Ovations konnte er nicht erwarten, das war der Staatsratsvorsitzenden vorbehalten. Sie liebten ihn nicht, das war klar, aber zum Glück war die Personaldecke der Partei so fadenscheinig, dass einer wie er schon als große weiße Hoffnung galt. Jedenfalls was seine 1,98 Meter Körperlänge betraf.

Jetzt noch zum Flughafen, wo seine Diamond DA62 schon auf dem Rollfeld bereitstand. „Privatjet“, hatten die neidischen Presselümmel nach seinem Sylt-Trip alle geschrieben, weil sie den Unterschied zwischen einer Propellermaschine und einem Strahlflugzeug nicht kannten. Friedrich grinste. Journos! Da fiel ihm immer dieser eine Witz ein: Warum haben die stern-Reporter Barschel damals in der Badewanne gefunden? Weil sie nicht wussten, wie man Chaiselongue schreibt! Die konnten ihn nicht leiden, schon seit er damals den Begriff Leitkultur in die Debatte geworfen hatte. Jetzt sahen sie wenigstens, was sie davon hatten.

Behende kletterte Friedrich der Lange ins Cockpit der Zweimotorigen und gab das Ziel ein. Flugplatz Arnsberg-Menden. Heim zu Charlotte. Und am Wochenende die Kinder und Enkel zum Grillen treffen. Gott, was war er rückwärtsgewandt. Hoffentlich würde das keiner mitkriegen, dass er dieses alternative Lebensmodell einer intakten heterosexuellen Familie pflegte. 

 

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Leserpost

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Wilhelm Rommel / 20.08.2022

„Und immerhin spielte er ja Klarinette!“. Mir schwebt da eine kleine Bildgeschichte à la W. Busch vor mit dem Titel: „Wie sich die kraftvoll geblasene Klarinette des kleinen Friedrich auf geheimnisvolle Weise in eine kläglich fiepende Blockflöte verwandelte…“.

Bernd Fischer / 20.08.2022

Etwas zu gewollt lustig!

Fred Burig / 20.08.2022

Alle Gegner, die ihn damals auf dem Weg ins Kanzleramt “ausgemerzt” hatten, wird sich Herr Merz - wenn er versehentlich doch noch mal irgendwie der “rettende Kanzler” werden sollte - mit Verachtung strafen! Und jegliche Zusammenkünfte würde er absagen, bei denen die AfD anwesend ist! Das schließt selbstverständlich auch den Bundestag ein! MfG

Jürgen Fischer / 20.08.2022

Hüte dich vor den Iden des Merz!

sybille eden / 20.08.2022

Der Friedrich ist halt ein bedauernswerter ” MERZGEFALLENER”.

A. Ostrovsky / 20.08.2022

Ein Kunstwerk, ein Fanal!  artroyal.de/Dagobert-Duck-im-Tresor/SW10009 Versandkosten: 1.800,00 €  Limitierte Auflage.

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