Es lief einfach nicht rund. In der Regierung nicht, und auch nicht in seinem Ressort. Diese Bauern nervten total. Cem beschloss, sich einen Tag Auszeit zu nehmen. Zeit zum Nachdenken, wie das alles weitergehen sollte.
Nach einer fast schlaflosen Nacht wälzte sich Cem aus dem Bett. Scheiße, Scheiße. Diese Bauern-Demo neulich hatte ihm richtig zugesetzt. Sollten sie doch zur Hölle fahren mit ihren verschissenen Traktoren, dafür hätte er sie sogar gern persönlich mit Agrardiesel aufgetankt. Verdammte Wutbürger. Keine Schnitte hatte er gekriegt auf der Bühne, geradezu hilflos die Rassismuskarte gezogen wegen des „türkischen Bazars“. Hatte ihnen auch noch versprochen, im Kabinett für sie zu kämpfen. Und was hatte er dafür erhalten? Pfiffe, Sprechchöre: „Die Ampel muss weg!“.
Das dachte er selbst inzwischen auch schon häufiger. Er war ja nicht blöd, jedenfalls nicht so blöd wie seine Parteifreunde, dachte Cem grimmig, als er sich nach der Morgentoilette einen Mokka aufbrühte und den ersten Bubatz des noch jungen Tages baute. Diese Regierung gab wirklich ein jämmerliches Bild ab. Andererseits: Er musste kämpfen. Nicht umsonst bedeutete sein Nachname wörtlich „echtes Eisen“. Er konnte auch anders. Auch mal klare Ansagen machen („Halten Sie bitte die Fresse… Maul halten!“). Schließlich hatte er so manche fehlgeschlagene Kandidatur verarbeiten müssen, auch die Jahre als Parteivorsitzender waren beinhart gewesen. Mit Claudia als Ko-Vorsitzender! Alter. Noch früher diese mistige Hunzinger-Affäre mit dem Privatkredit in fünfstelliger Höhe.
Andererseits: Hatte es ihm geschadet? Immerhin war er Bundesminister! Hatte sich gegen den Choleriker mit der unmöglichen Frisur durchgesetzt, ohne seinen Migrationshintergrund zu sehr in den Vordergrund zu rücken. Der Toni war einfach nicht ministrabel, auch wenn er mehr Ahnung von Landwirtschaft hatte. Und nun war er, Cem Ö., nicht nur der erste Diplom-Sozialpädagoge in ganz Baden-Württemberg, der nicht als Taxifahrer endete, sondern auch der erste Bundesminister mit türkischen Eltern. Prospektiver Nachfolger des Spätzle-Mao sogar, falls ihn das Pommesgrab nicht aus der Spur drängte. Die ließ sich ja auch schon für den Posten im Ländle ins Spiel bringen. Aber die würde ihn noch kennenlernen!
Nichts angebaut außer der Hanfplantage
Cem löffelte tapfer sein Müsli, während er auf dem Tablet durch die Nachrichten scrollte. Mist, jetzt stand das mit seinem Versprechen an die Bauern schon überall, dabei wusste er, dass er im Kabinett keine Chance hatte. Haben würde, um genau zu sein, denn Cem hatte nicht vor, sich mit Olaf und Christian anzulegen. Nicht für diese Tierquäler in ihren Funktionsjacken und Gummistiefeln. Ernährungsminister, das hatte er sich ohnehin nicht ausgesucht. Landwirtschaft und Ernährung, das war die Resterampe, eines der Ressorts, die keine Sau haben wollte und die zuletzt vergeben wurden. Er selbst hatte im Leben nichts angebaut außer seiner Hanfplantage. Nein, Außenpolitik war sein Ding, und schlechter als Plapperlena Trampolina hätte er es gewiss nicht gemacht. Vielleicht ging da ja noch was, falls es doch noch zu Schwarz-Grün kommen sollte.
Der VfB hatte auch mal wieder verkackt. Das war nicht Cems Tag. Er rief das Büro an und sagte alle Termine für den Tag ab. „Ich fühl‘ mich nicht, ist vielleicht Corona. Mache heute Homeoffice.“ Dann Telefonat mit dem Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, schließlich war er stellvertretender Vorstand. Er erinnerte sich noch, dass Olaf ihn damals deswegen misstrauisch angeschaut hatte. Dann noch Zoom-Konferenzen mit den Kuratorien des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart und der Theodor-Heuss-Stiftung und zwei Solidaritäts-E-Mails an die beiden weißrussischen politischen Gefangenen, für die er eine Patenschaft übernommen hatte.
*Ping*. Eine WhatsApp-Nachricht. Sein alter Kumpel A. schickte mal wieder ein Witzchen: „Ricarda steht vor dem Spiegel und sagt: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Und der Spiegel sagt: Geh‘ mal ein Stück zur Seite, ich kann nix seh’n!“ Cem grinste kurz, dann verfinsterte sich seine Miene wieder.
Diese vermaledeiten Bauern gingen ihm nicht aus dem Kopf. Natürlich ging es denen nicht nur um den Agrar-Diesel. Die hatten sooo einen Hals, weil sie merkten, wohin die Reise ging. Flächenstilllegungen, Düngemittelverbote (er sagte lieber „Pestizide“), tausend Verordnungen zum Tierwohl – die verloren total den Überblick. Oder konnten den ganzen Scheiß nicht mehr bezahlen. Immer mehr gaben auf. Höfesterben von seiner schönsten Seite. Mission accomplished, dachte Cem. Bald würde kein Tier mehr leiden müssen. Dann würden die Leut‘ bald Industriefutter fressen müssen, Stichwort Tricatel, oder Soylent Green, oder eben teures Importfleisch aus Argentinien. Das hatte zwar einen ökologischen Fußabdruck von der Größe Zyperns, aber man kann nicht alles haben. Ich habe nicht umsonst zuerst Erzieher gelernt, dachte Cem, die politische Karriere bei den Grünen war ja gewissermaßen zwangsläufig gewesen. Die Leut‘ an die Hand nehmen, ihnen sagen, was man darf und was nicht.
Peinliche Nummer im Regenwald
Aber dabei nicht zu paternalistisch rüberkommen. Die peinliche Nummer, die Robert mit ihm im Regenwald abgezogen hatte, war nicht Cems Stil. Gar nicht. Man musste die Leut‘ langsam überzeugen. Ihnen schonend beibringen, dass Versorgungssicherheit heute ein vorgestriger Begriff ist. Das mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, maximaler Fleischkonsum von 70 Gramm pro Woche, hatte die Öffentlichkeit natürlich aufgeschreckt, die Populisten hatten gleich gekräht: gerade mal eine Bratwurst pro Woche! Na und? Er ernährte sich seit seinem 17. Lebensjahr vegetarisch, obwohl seine Eltern dagegen gewesen waren, entsetzt geradezu, von wegen, er äße den Tieren das Futter weg. Und auch die Pia war eine Karnivore vor dem Herrn gewesen. Aber das hatte sich ja nun erledigt.
Das mit den 10 Gramm Fleisch hatte sich dank des publizistischen Arms seiner Partei zum Glück noch einfangen lassen. Ein Anruf genügte, und schon meldeten die dpa-Faktenchecker: „Auch bei neuen DGE-Ernährungsempfehlungen handelt es sich um keine verbindlichen Vorgaben. Das Bundesministerium für Ernährung bestätigt zudem, dass jeder nach Belieben Fleisch kaufen und essen könne.“ Vorausgesetzt, sie können es sich noch leisten, dachte Cem. Das würde sich alles von selbst regeln. Am Ende würden sie alle Beilagenesser, wie er. Die Besucher im Ministerium bekamen ja schon einen Vorgeschmack auf diese Zeiten.
So hielt er sich auch das Pommesgrab vom Leibe. Die grüne Tonne, wie man sie bisweilen nannte. Heute Abend lief sie wieder in der Talkshow auf, um so roboterhaft wie fehlerlos ihre Phrasen abzusondern, aber das war seine eigene Schuld, eigentlich sollte ja er beim ARD-Talk „Fünf Stühle, eine Meinung“ auftreten – und hatte abgesagt. Wie glaubwürdig sie wohl seine Sprüche („Alles, was gezielt Kinder anspricht und zu viel Zucker, Fett oder Salz enthält, soll nicht mehr beworben werden“ oder „Wenn wir alle zusammen weniger Fleisch essen, leisten wir einen Beitrag für den Planeten“) rüberbringen würde? Tierschutz und Klimaschutz, das würde sie schon irgendwie hindengeln. Aber beliebter würde sie das auch nicht machen.
Cem beschloss, diesen gebrauchten Tag mehr oder weniger zu beenden. Die Talkshow würde er sich sicher nicht reinziehen, eher noch einen Bubatz. Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen, rezitierte Cem aus dem Werk des guten alten Wolfgang Neuss. Abendessen beim Lauchkönig, dem Veggie-Lieferanten seines Vertrauens, bestellen. Und dann entspannt sein neues, altes Junggesellendasein genießen. Das eine oder andere Gläschen Ayran verklappen, auch wenn er 2014/2015 „Botschafter des Bieres“ gewesen war. Das eine sagen und das andere tun, das war ja das Markenzeichen seiner Partei. Und morgen, an seinem freien Tag, würde er sich einen falschen Oberlippenbart ankleben und mit dem Diesel von Freund A. zum Dynamitfischen nach Brandenburg fahren. Güle güle! Aber das würden die blöden Bauern auch wieder missverstehen.
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.
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Jetzt krieg ich das Bild mit dem Dynamitfischen nicht mehr ausm Kopp. Köstlich. Wobei: Kriegen sollte ich im Kontext Grüne nicht schreiben, denn die verstehen das Mist bzw. annalenisch und schicken noch mehr Waffen. Mann, alter weißer, muss aber auch höllisch aufpassen. Obwohl es ja in der Hölle recht warm sein soll. Rief Merkel.
In diesen bewegten Zeiten ist es extrem wichtig ein waches Auge auf die täglichen Cem-Trails zu werfen!
Huahuaaaahua... Ihr Humor ist großartig!
Eine gewisse Cora Schumacher hat beim Aufpimpen fürs Dschungelcamp zwei unterschiedliche Augenbrauen verpasst bekommen. Ist das nicht eher eine Würdigung wert? // Zu Cem fällt mir nur ein, dass ich heute Nachmittag den Turkey meines Vertrauens beim Händler abhole. 100 Prozent veganfrei.