Während der letzten 2 Tage bin ich auf der Leipziger Buchmesse gewesen. Es sind neben den geschäftlichen und privaten Gesprächen vor allem die Sachbuchbesprechungen, die sehr interessant sind und auch eine politische Stimmungslage der intellektuellen Elite spiegeln. Oftmals sind viele Kameras dabei, teilweise hört man noch im Deutschlandfunk auf der Rückfahrt, worüber diskutiert wird. Schwerpunktmäßig geht es in diesem Jahr um die „Welt in der Nussschale“, wie viele der Pressebesprechungen - auch im MDR Radio – zusammenfassen: also eine modellhafte Darstellung von Zusammenhängen auf kleiner Ebene, hierzu passend auch die Themen Heimat und Flucht.
So im Roman Frohburg des beinahe 75jährigen Guntram Vesper mit seinem über Jahrzehnte gehenden Blick auf seine Heimatstadt bei Leipzig – eine kleine Stadt als Modell für große Zusammenhänge. Das ebenfalls für den Leipziger Buchpreis nominierte Buch „Im Restaurant“ von Christoph Ribbat wird hauptsächlich dahingehend diskutiert, dass das Restaurant ein Ort der Klassentrennung sei – hüben die gutsituierten zahlenden Gäste, drüben, jenseits der Tür das schlecht bezahlte Personal, das sich abrackert. Ein interessanter Ansatz, hat er sowohl die zeitgemäße Kapitalismuskritik und die Welt in der Nussschale vereint.
Mich persönlich nervt bei den Sachbuchdiskussionen der ewige Abgesang auf den Kapitalismus, man hört ihn seit Jahren. Überhaupt fällt auf, dass das Wort Kapitalismus eher eine Kampfvokabel ist, die meist von Autoren verwendet wird, welche eher fachfremd sind.
Bei Heinz Bude, der mit „Das Gefühl der Welt – über die Macht von Stimmungen“ ein sehr interessantes Sachbuch über kollektive Gefühlsumschwünge schrieb, war es das einzig Störende, nämlich auch der Anti-Kapitalismus-Reflex. Sein Befund, dass Gefühle nicht rein subjektiv oder gar eingebildet sind, sondern objektiv, kollektiv, mit Tendenz zur Verstärkung und Launen, trifft zu.
Unfreiwillig bekommt man auf der Messe bisweilen eine Tüte in die Hand gedrückt von einer netten Dame, die für einen esoterischen Verlag arbeitet. Apropos: Christian Anders („es fährt ein Zug nach nirgendwo“) ist das meist plakatierte Gesicht der Buchmesse. Ähnlich wie bei Wahlen sieht man an teilweise riesigen schwarzen Brettern Ankündigungen für Lesungen. Anders Verlag machte wohl ganz ausgiebig Gebrauch davon – viel nützt viel ist hier die Devise. Parallel läuft eine Comicmesse – Unmengen an Trollen und Zombies laufen umher.
Jörg Armbruster moderiert eine Diskussion über die Grenzen Europas und die Flüchtlinge. Merkwürdig dabei Ulrike Guérots Einwurf, man möge doch bitte die Nationalstaaten in Europa endlich überwinden, die EU führe ja zu nichts, vielmehr sofort eine Republik Europa einführen. Sehr eigentümlich der Auftritt der Zeitschrift Compact, die ein wenig wie eine Festung von vielen jungen Männern bewacht, einen beinahe monströs großen Stand unterhielt.
Eigentümlich auch eine Diskussionsrunde mit Katharina Schenk, der Juso-Vorsitzenden Sachsens, nicht, weil sie in einem offenen Brief Compact ausgeladen sehen wollte, sondern, weil sie mit Josef Haslinger und anderen eine Diskussion führt, die eigentlich keine war, da alle Diskutanten grundsätzlich einer Meinung waren. Auch hier ging es um eine Republik Europa, eine Abschaffung einzelner Staaten, allerdings unter Betonung regionaler Identitäten. Und natürlich um die kollektive Angst, die dem europäischen Traum im Wege stehe.
Die Vision Europa, die in der Institution EU vor die Hunde ginge, weil diese – so war Tenor – zu sehr auf nationale Belange Rücksicht nehme, welche den Träumen von Europa eher schadeten, könne im Rahmen einer Republik Europa besser vorankommen, so die Meinung. Überhaupt war von Visionen und Träumen häufig die Rede. Es fiel ein wenig auf, dass bei den Vorträgen einige Themen doch bisweilen sehr einseitig diskutiert worden sind und die gleichen Redner in verschiedenen Kombinationen im Rotationsprinzip zeitversetzt miteinander kombiniert wurden. Ein bisschen Welt in der Nussschale allenthalben.