Tamara Wernli / 16.06.2017 / 17:00 / 0 / Seite ausdrucken

Ein “Shit” zu viel

"Dieses Stück Scheisse ist nicht nur eine Peinlichkeit für Amerika und ein Fleck auf der Präsidentschaft. Er ist eine Peinlichkeit für die ganze Menschheit." Anfangs Juni gestattete der prominente CNN-Moderator Reza Aslan seinem Unmut digitale Aufmerksamkeit, als er bei Twitter über Donald Trump herzog.

Trump's Tweet nach den Londoner Terroranschlägen – "Wir brauchen das Reiseverbot als einen zusätzlichen Level der Sicherheit!" – löste bei dem 45-jährigen iranisch-amerikanischen Religionswissenschaftler, der häufig bei öffentlichen Debatten als Verfechter des Islam auftritt, offensichtlich einen derartigen Schockmoment aus, dass ihm das rhetorische Gleichgewicht abhandenkam. Als dann republikanische Stimmen die Absetzung seiner CNN-Doku-Serie "Believer" forderten, bedauerte er seinen Tweet so reumütig wie vorhersehbar: "Ich hätte den Präsidenten nicht mit Obszönitäten beschreiben sollen", twitterte er. Er habe seine Coolness verloren. So sei er normalerweise nicht.

Dass Moderatoren oder Journalisten als Vorbilder für Tugend und Vollkommenheit herhalten sollten, ist natürlich Quatsch. Sie dürfen Fehler machen, dürfen abseits der Redaktion dummes Zeug tun, dummes Zeug reden. Und wenn sie dafür eben Kloaken-Rhetorik verwenden, demaskieren sie sich damit ja nur selbst. Denn solche Wortmeldungen ereignen sich nicht einfach. Sie erfordern ein Übermass an schlechter Kinderstube, an Arroganz, an Selbstgefälligkeit. An Feindseligkeit.

Meinungs- und Redefreiheit, für die ich ausdrücklich einstehe, schliesst Geschmacklosigkeit mit ein, geistige Beschränktheit auch. Wenn also die US-Komikerin Kathy Griffin, wie neulich geschehen, mit dem blutigen, abgetrennten Kopf von Donald Trump à là IS-Style posiert, mag es zwar keine Gürtellinie geben, die tief genug ist für die Einordnung der weder lustigen noch satirischen Aktion, unter das Recht auf künstlerische Freiheit fällt sie dennoch. Auch wer Politiker verbal zerpflückt, Religionen kritisiert, Frauen- oder sonstige Bewegungen in Frage stellt, sollte das tun dürfen, ohne rechtlich belangt zu werden. Jedem seine Meinungsfreiheit – Konsequenzen wie etwa Jobverlust trägt freilich jeder selbst.

Natürlich fördert Trump mit gewissen seiner Aussagen heftige Reaktionen – nur hat alles sein Mass. Aslans frühere Tweets, die er mittlerweile gelöscht hat, dokumentieren seine angebliche "Coolness" gegenüber politisch Andersdenkenden nur zu präzise. Im August 2012 schrieb er: "Um es klarzustellen, ich hatte mir in der Tat gewünscht, jemand würde den Kongressabgeordneten Todd Akin vergewaltigen. Ich möchte da nicht missverstanden werden." September 2016 über Trump: "Der Vater ein Stück Scheisse, der Sohn ein Stück Scheisse." Mai 2017: "Was für eine Freude, wenn dieses lügende schleimscheissende narzisstische soziopathische Stück Scheisse Fake-Präsident endlich bekommt, was er verdient."

Diese Petitessen eines seiner Moderatoren haben sich für CNN offensichtlich mit dem Renommee eines seriösen Nachrichtensenders vereinbaren lassen; Aslan durfte eine Show für CNN produzieren, "Believer", seit März auf Sendung, blieb unangetastet – bis vergangene Woche. Da beendete CNN die Zusammenarbeit mit ihm. "Die Art von Rede ist nie angemessen", las man in einem Statement. Um das zu merken, benötigte das Unternehmen ganze fünf Jahre. Hate Speech wird eben schnell als Problem erkannt und deklariert, außer, es kommt aus den eigenen Reihen.

Der Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung. Tamara Wernlis Kolumne gibt es jetzt hier auch als Videobotschaft, man kann sie auf ihrem YouTube-Kanal auch abonnieren.

Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag zuerst. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Tamara Wernli / 12.06.2022 / 16:00 / 10

Wie Wokeness unsere Filme zerstört

Der Blockbuster „Top Gun: Maverick“ ist unglaublich erfolgreich in den Kinos gestartet. Er kommt ganz ohne kulturelle oder politische Botschaft daher – und die Kinofans…/ mehr

Tamara Wernli / 04.06.2022 / 16:00 / 10

Frau durchlöchert Kondome

Eine Frau durchlöchert heimlich die Kondome ihres Lovers, um ihn durch eine Schwangerschaft an sich zu binden. „Stealthing“ heißt diese Aktion und warum sowohl Männer…/ mehr

Tamara Wernli / 24.05.2022 / 16:00 / 18

Ist Leiden weiblich?

Die Herausforderungen und Probleme von Frauen sind ein Dauerthema in der breiten Öffentlichkeit. Probleme, Schwierigkeiten und Leid von Männern hingegen werden häufig als unbedeutend abgetan…/ mehr

Tamara Wernli / 18.05.2022 / 16:00 / 8

Mein Freiheitslied

Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, das derzeit etwas leidet. Statt mit Argumenten zu kontern, greift man Andersdenkende auf persönlicher Ebene an, steckt sie in Schubladen…/ mehr

Tamara Wernli / 16.05.2022 / 14:00 / 20

Übergewicht von epidemischem Ausmaß

Zwei Drittel aller Erwachsenen und ein Drittel aller Kinder in Europa sind übergewichtig. Dies besagen aktuelle Zahlen der WHO. Warum spricht niemand darüber?   Mehr…/ mehr

Tamara Wernli / 03.05.2022 / 14:00 / 16

Warum soziale Medien krank machen

Studien zeigen, dass die Plattform Instagram vor allem für Mädchen und junge Frauen sehr schädlich sein und psychische Erkrankungen fördern kann.   Mehr von Tamara…/ mehr

Tamara Wernli / 01.05.2022 / 14:00 / 6

Warum wir alle von Elon Musks Twitter-Kauf profitieren

Vielen ist der Twitter-Kauf durch Elon Musk egal. Sie halten die Plattform für eine Blase aus Politikern, Journalisten und Aufschneidern, die für den Durchschnittsmenschen nicht…/ mehr

Tamara Wernli / 18.04.2022 / 16:00 / 15

Was politische Verantwortung wirklich bedeutet

Nach dem Rücktritt Anne Spiegels wurden Forderungen nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie laut. Doch Ministerämter sind eine Ehre und ein Privileg, für…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com