Vera Lengsfeld / 21.10.2018 / 12:00 / Foto: Mark Fahey / 6 / Seite ausdrucken

Ein Roman demaskiert Nordkorea

Kennst Du das Land, nein, nicht wo die Zitronen blühen, sondern wo die süßesten Äpfel und Pflaumen reifen? Das ist Nordkorea, wahrscheinlich das unbekannteste Land der Erde. Das Geheimnis hinter dem unwiderstehlichen Fruchtaroma könnte schauerlicher nicht sein. Die Bäume stehen im berüchtigten Lager 22, dem schlimmsten Straflager für politische Gefangene, aus dem es keine Entlassungen gibt. Selbst die Toten müssen bleiben. Sie werden unter den Obstbäumen beerdigt und geben den Früchten ihre begehrte Süße.

Was man für eine Erfindung des Autors D. B. John halten möchte, der in seinem Thriller „Stern des Nordens“ seiner Phantasie freien Lauf gelassen hat, ist durch Berichte aus Nordkorea belegt. Es gab zwar kein Entkommen von Häftlingen aus Lager 22, aber ein Sicherheitschef und ein Wärter flüchteten nach Südkorea und legten Zeugnis ab.

Wer etwas über Nordkorea erfahren möchte, sollte dieses Buch lesen. Es zeichnet ein wahrheitsgetreues Bild von den dortigen Zuständen und ist zugleich ungemein spannend. Ich habe das 528 Seiten starke Werk nur zum Schlafen beiseite gelegt. Nach anderthalb Tagen hatte ich es ausgelesen. Es hätte von mir aus noch weitere 500 Seiten haben können.

Die Handlung wird von zwei starken Frauen bestimmt. Moon, eine über Sechzigjährige, die 28 Jahre in einer Strafkolonie verbringen musste, weil ihr Mann beim Versuch, aus Nordkorea zu fliehen, erschossen wurde, entdeckt spät ihr Talent zum Handel. In den Neunzigern gab es eine schlimme Hungersnot, die dazu führte, dass die Armee anfing zu marodieren. Danach war es auf geheimen Erlass hin möglich, Grenzsoldaten zu bestechen, um nach China zu gelangen, dort als Illegaler Geld zu verdienen und so die Familie zu ernähren.

Der Bruder gestand unter Folter

In der Grenzstadt, in der Moon lebte, gab es einen großen Schwarzmarkt, auf dem alles gehandelt wurde, was sich über die Grenze schaffen ließ. Moon besann sich auf ihre Kochkunst und wurde bald für nordkoreanische Verhältnisse wohlhabend. Als sie versucht, mit ihrem Geld einen Geheimdienstmitarbeiter zu bestechen, um eine verhaftete Christin vor der Hinrichtung zu retten, geriet sie selbst ins Visier der Staatssicherheit und landete im berüchtigten Lager 22, wo sie das unwahrscheinliche Glück hatte, als Köchin beschäftigt zu werden, also bessere Überlebenschancen zu haben.

Eines Tages wurde in ihre Hütte ihr Sohn Cho eingewiesen, den sie zusammen mit seinem Bruder vor 28 Jahren mit gefälschten Papieren in ein Waisenhaus eingeliefert hatte, um sie vor der Verfolgung wegen der Flucht ihres Vaters zu schützen. Die Jungen wurden von einem Funktionärsehepaar aus Pjöngjang adoptiert und machten Karriere bis in die höchste Regierungsspitze. Cho verhandelte für Nordkorea mit den Amerikanern. Als sein Bruder persönlicher Berater von Kim Jong-un werden sollte, wurde die Vergangenheit der Brüder noch einmal durchleuchtet und ihre wahre Herkunft entdeckt. Sie galten nun als schuldig. Der Bruder gestand unter Folter, dass er ein amerikanischer Spion sei und wurde erschossen. Cho widerstand trotz fürchterlichster Martern und kam ins Lager 22. Dort wurde er Zeuge der Experimente an Menschen mit Gift, die 2013 der UNO-Menschenrechtskommission bekannt gegeben wurden. Chos Sohn wurde aus Pjöngjang vertrieben und eines der elternlosen Kinder in der Provinz.

Die zweite Frau, Jenna, Amerikanerin, musste erleben, dass ihre eineiige Zwillingsschwester an einem südkoreanischen Strand von der Besatzung eines nordkoreanischen U-Boots entführt wurde. Solche Entführungen hat es in den siebziger und achtziger Jahren tatsächlich gegeben. Die Gerüchte darüber wurden von der japanischen und der südkoreanischen Regierung ins Reich der Fabel verwiesen, bis sich Kim Jong Il 2003 überraschend beim japanischen Premier für die Entführungen entschuldigte, in der Hoffnung, Zuwendungen von Japan zu bekommen.

Informationen über die Menschenexperimente

Was mit den hunderten Entführten im Einzelnen passierte, wird wohl nie bekannt werden. Sie lebten in isolierten Wohnanlagen und mussten nordkoreanischen Spionen Sprache und Sitte ihres Heimatlandes beibringen. Jennas Schwester wurde für das „Samenkornprogramm“ benutzt, in dem koreanische Frauen von Ausländern geschwängert wurden. Die Kinder lebten ebenfalls isoliert von der Gesellschaft und wurden zum Teil als Spione ausgebildet.

Jenna lässt sich vom CIA anwerben, um ihre Schwester zu finden. Sie trifft Cho in New York bei den Verhandlungen und konfrontiert ihn mit der Existenz von Lagern und der Entführung ihrer Schwester. Ob es ihr gelingt, bereits ein Korn des Zweifels am nordkoreanischen Regime in Cho zu legen, wird nicht klar. Als der aber nach Pjöngjang zurückkehrt und feststellen muss, dass er selbst in die Mühlen der Staatssicherheit gerät, ändert sich seine Einstellung. Kurz vor seiner Verhaftung gelingt es ihm, Jenna den Aufenthaltsort ihrer Schwester zu zeigen. Später schmuggelt er aus dem Lager 22 Informationen über die Menschenexperimente heraus.

Auch wenn es ein Thriller ist, sind die Schilderungen über Nordkorea authentisch. Deshalb wünsche ich dem Buch viele Leser. Es muss bekannt werden, was dort vor sich geht. Beinahe wäre Kim Jong-un zum Friedensnobelpreisträger geworden. Die Unkenntnis und Naivität der westlichen „Experten“ ist wirklich grenzenlos.

Seinen Namen hat das Buch übrigens vom Luxuszug des Kim Jong Il. Da er 1987 den Abschuss einer südkoreanischen Maschine angeordnet hatte, traute sich der Diktator nicht mehr zu fliegen. Er reiste in seinem mit zaristischer Pracht ausgestatteten Privatzug herum, vorzugsweise bei Nacht. Im Jahr 2001 bis Sankt Petersburg, obwohl das 21 Tage dauerte.

Es ist kaum verwunderlich, dass ihn sein tödlicher Herzinfarkt in diesem Zug ereilte. Im Buch hat Jenna daran entscheidenden Anteil. Aber wer wissen will, wie Jenna in den Zug des Führers gelangte und was sich dort abspielte, der muss das Buch lesen. Es lohnt sich, weil es ungemein spannend ist und vor allem bildet.

Mehr zum BuchD.B. John: Stern des Nordens

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Michael Hoffmann / 21.10.2018

Es gibt auch Berichte von Betroffenen, z.B. “Lasst mich eure Stimme sein; Sechs Jahre in Nordkoreas Arbeitslagern” von Lee Soon-ok. Die dort geschilderten Grausamkeiten, vor allem auch gegen Christen, sind für einen normalen Menschen tatsächlich nicht vorstellbar. Die Peiniger scheinen direkt der Hölle entsprungen, denn ein Mensch kann sich solchen Sadismus nicht ausdenken. Daß die sog. Weltgemeinschaft diesem unfassbaren, teuflischen Treiben noch keinen Einhalt geboten hat, ist die nächste Ungeheuerlichkeit. Wenn militärischer Einsatz aus humanitären Gründen geboten wäre, dann hier.

Marcel Seiler / 21.10.2018

Danke für diesen Tipp! Klingt interessant. Ich werde mir das Buch einmal ansehen. - Auch wenn die Wahrheit interessant ist: so sehr es wir auch wollen mögen, wir können die Welt nicht überall verbessern, auch dann nicht, wenn wir nicht naiv der Propaganda der Schönfärber glauben. Weder Nordkorea noch den Iran noch Saudi Arabien können wir aus den Händen von Mörderregimen befreien. Kümmern können wir uns allerdings ums eigene Land.

Gabriele Klein / 21.10.2018

War nicht Nordkorea auch der “Busenfreund” der DDR? Wen wundert, dass,  das nord koreanische City Hostel gleich neben der Botschaft nach dem Mauerfall sämtliche Sanktionen und Presseskandale überlebte, wie von “Wunderhand” getragen.  Bleibt nur zu hoffen, dass die Amerikaner aus dem Fall der Mauer lernen und sich nicht das gleiche in Korea wiederholt…Die Prämisse, dass der Großteil der Bevölkerung sich nach der Goldenen Regel oder dem Kantschen Imperativ sehnt sobald er sich in Freiheit wähnt ist leider falsch. Die grenzenlose Verkommenheit und Schamlosigkeit sehr vieler Zöglinge hinter dem Eisernen Vorhang wurde offenkundig als dieser fiel. Ich erlebte sie zwar nicht bei allen aber leider doch sehr vielen Begegnungen hautnah auf der ganzen Linie….........So auch bei der Kanzlerin “Jugendsünde”, oder wie man den “Andern”  leimt, indem man z.B. Beeren “verkauft” um sie am Ende selbst zu verspeisen mit dem Gewinn der Subvention….........Diese “sozialistische” Variation zur Waage der Baleks v. Böll (1) gibt   einen tiefen Einblick in das “Wertesystem” unserer Regierung und auch der damaligen DDR . Sie ist das sozialistische Gegenstück zur Anektdote eines Rabbis in der religiöse Kinder einst nicht aufhörten Monopoly zu spielen und das Spiel über Tage hinweg fortsetzten. Die Frage nach dem Warum ergab, dass diese frommen Kinder einen Hilfsfond für die Verlierer gründeten um ihnen mit einem kostenlosen Darlehen wieder auf die Beine zu helfen….”  Die 1. Geschichte spielte im sozialistischen Pfarrhaushalt der DDR. Die 2. in einer religiösen Familie (vermutlich in Israel). Größer könnten die Unterschiede nicht sein, dahingehend wo soziales Handeln gedeiht und wo nicht. 1) Siehe hierzu die Presse zur “Jugendsünde” der Kanzlerin

Michael Lorenz / 21.10.2018

Es gab ja tatsächlich Geflüchtete aus den Lagern, irgendwo habe ich mal einen ausführlichen Artikel dazu gelesen - der klärt bereits so auf, dass man sich schämt, auf einem Platenen zu leben, der das nach dem kollektiven Wissen der Geschehnisse des 3. Reiches zulässt. (Vorher hätten manche sicher geschworen, dass Menschen anderen Menschen so etwas nicht antun!) Dieses Buch ist zur Aufklärung ideal, weil es laut Rezension auf Amazon am Schluß noch eröfnet, was real ist und was Fiktion. Was aber fast noch schlimmer zu ertragen ist als die Existenz einer solchen widerlichen Diktatur: Vor ein paar Jahren gab es tatsächlich eine von Linken betriebene deutsche Fan-Seite Nordkoreas! Könnte es vielleicht doch sein, dass Linkes Denken eine spezielle Ausprägung einer Geisteskrankheit ist?

Matthias Schilling / 21.10.2018

Äh, sehr geehrte Frau Lengsfeld, haben Sie da soeben den Ausgang der Geschichte / des Buches verraten?

R.Krug / 21.10.2018

Auch lesenswert das Buch “Flucht aus Lager 14”.

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