Thomas Rietzschel / 19.04.2019 / 12:00 / Foto: Dnalor 01 / 20 / Seite ausdrucken

Ein rhetorischer Kirchenraub

Drei Tage war Notre-Dame in den Schlagzeilen, brennend aktuell. Wer auf sich etwas hält, gab sich betroffen. Die Rituale der Trauer wurden prompt, zügig und professionell abgewickelt. Das lodernde Feuer habe „auch uns ins Herz“ getroffen, twitterte Heiko Maas. Von „einem wunderbaren Denkmal in Flammen“ sprach Peter Altmaier. Noch einen Schritt weiter ging Steffen Seibert, als er uns im Namen der Kanzlerin wissen ließ: „Notre-Dame ist ein Symbol Frankreichs und unserer europäischen Kultur.“

Der Tenor war einhellig. Frank-Walter Steinmeier weilte mit seinen Gedanken „bei unseren französischen Freunden“, während die Kanzlerin, nun höchstpersönlich, erklärte: „Notre- Dame ist ja nicht nur das Symbol des Christentums in Frankreich, sondern Notre-Dame ist auch unser gemeinsames europäisches Erbe, das wir miteinander teilen.“

Und da es nun einmal allen gehören soll, „der ganzen Menschheit“ nach der Vorstellung von Jean-Claude Junker, war dann auch meist, gleichsam neutralisierend, statt von der Kirche von dem „Gebäude“ die Rede, dem beschädigten „Baudenkmal“ sowie von den Kunstschätzen, die es beherbergt. Ein rhetorischer Kirchenraub.

Phrase an Phrase

Wie auf einer Perlenschnur reihte sich Phrase an Phrase, jede für sich in ihrer Unverbindlichkeit irgendwie richtig und dennoch irreführend. Ein Wortgeklingel, über das kein Wort weiter zu verlieren wäre, spürte man nicht die Absicht, darüber hinwegzutäuschen, dass Notre-Dame de Paris, zu deutsch „Unserer lieben Frau von Paris“, weder für Frankreich noch für Europa erbaut wurde, sondern zu Ehre Gottes in der Höhe. Bischöfe waren die Bauherren, Könige die Trittbrettfahrer. Wer die Kathedrale heute gleichwohl als kulturelles Aushängeschild einer machtpolitisch formierten EU beansprucht, argumentiert entweder scheinheilig oder schlichtweg unwissend.

Ein solches Europa hat es im 12. Jahrhundert, als man begann, Notre-Dame zu errichten, noch nicht gegeben. Um das Gotteshaus als Erbe zu beanspruchen, muss man sich schon zu den Traditionen des christlichen Abendlandes bekennen. Allein ihm verdanken sich Baustil und Aufführung der Pariser Kathedrale, des geistlich inspirierten Bauwerks.

In Europa, wie es sich späterhin entwickelte, hat man dieses Herkommen über die Jahrhunderte hin zu schätzen gewusst. Es war der Nährboden, auf dem alles Kommende gedeihen sollte, Gutes und mitunter auch Schlechtes.

Wer das ausblendet, wer es wie jetzt eben beim Brand von Notre-Dame tunlichst vermeidet, von dem Gotteshaus zu sprechen, seine Geschichte wie eine Peinlichkeit umgeht, weiß nicht, wovon redet, wenn er über Europa schwafelt.  

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Leserpost

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W.Mayer / 19.04.2019

Was besseres konnte den EU-Popolisten nicht passieren. Hier kann man sich so richtig das vereinte (eigentlich wollte ich “vergeigte” schreiben) Kaiserreich raushängen lassen.  Bei Notre Dame muß ich immer an die Hinweisschilder denken die vor Taschendieben (Pickpockets) warnen. Schon ein interessanter Brocken aber haben nicht andere Mütter auch schöne Kinder?? Kölle, Rheims, Bamberg?? Nur zu dumm, daß die nicht aufgebrannt sind. Hätte man nur nicht so viel draus machen können wie aus dem Arbeitsplatz vom Quasimodo ... Hugo sei dank.

beat schaller / 19.04.2019

hervorragend herr rietzschel. das ist das allerbeste was ich hierzu bisher gelesen habe. einfach auf den punkt gebracht und es gibt keinen platz für weitere diskussionen zum thema “kirche notre dame” in paris. für mich haben sie den karfreitag gerettet und gleichzeitig all die politschleimer so richtig in den allerwertesten getreten. herzlichen dank für diese richtigstellung. alles andere ist lüge. b.schaller

Robert Bauer / 19.04.2019

Schließe mich A. Müller an und setze noch einen drauf: Diese Halunken scheuen Gott und das Christentum wie der Teufel das Weihwasser - im wahren Sinn des Wortes.

Frank Volkmar / 19.04.2019

“„Notre- Dame ist ja nicht nur das Symbol des Christentums in Frankreich, sondern Notre-Dame ist auch unser gemeinsames europäisches Erbe, das wir miteinander teilen.“ Wer ist mit “wir” gemeint ? Die die schon immer hier gelebt haben, oder die die neu hinzugekommen sind ? Ansonsten ist diese “Heuchelei” erklärbar, denn es macht aus propagandistischer Sicht immer Sinn, wenn es emotional wird auf den Zug aufzuspringen und dies zur Selbstdarstellung zu nutzen.

Andreas Müller / 19.04.2019

Herzlichen Dank für diesen Artikel, den ich wie ein Geschenk zu Ostern empfinde. Es ist ein Geschenk, daß es Menschen gibt, die sich die Wahrnehmungsfähigkeit für das Wesentliche bewahrt haben und die man sowohl in der Politik als auch bei Vertretern der Kirchen schmerzlich vermisst.

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