Fabian Nicolay / 12.11.2022 / 06:00 / Foto: Pixabay / 84 / Seite ausdrucken

Ein Psychogramm Deutschlands

Früher zog man beim Karneval über die Herrschaft her, heute zieht man über die her, die keinen Bock mehr auf die Herrschaft haben. Der professionelle Karnevalist hat das Lager gewechselt und ist ein Claqueur.

Ich nehme an, dass nicht alle unserer Leser leidenschaftlich Karneval oder Fasching feiern. Ich persönlich eigentlich auch nicht, denn ich mag „Betreutes Denken“ ebenso wenig wie „Verordnetes Lustigsein“. Eine ganze Menge Menschen stören sich nicht daran, auf Kommando der Kapelle (Tä-Tä) in Feierlaune zu geraten, wie Kraniche zum Balztanz gutturale Laute auszustoßen (Helau, Alaaf) und bei „Wolle mer se reinlasse?“, einfach jeden auf die Bühne zu bitten, der (k)einen Witz erzählen kann. Aber das ist hochmütig. Irgendwie muss auch der Karnevalist ein Gespür für Transzendenz besitzen, vermute ich.

Das Land ist im Dauerzustand der Spaltung, ein sogenannter deutscher Topos: Covidioten gegen Coronazis, Baerböcke gegen Putinisten, „Wissenschaftler“ gegen „Schwurbler“, Windrad gegen Atom, Wurst gegen Tofu, Obrigkeitsdenken gegen Grundrechtsverteidigung, Auto gegen Lastenfahrrad... und vieles mehr. Was den Karneval und Fasching betrifft, gibt es in Deutschland schon immer eine Sollbruchstelle, die im Zickzack regionaler Geschichtsverläufe bis tief in den Dreißigjährigen Krieg reicht. Alte Frontlinien, an denen sich heute Polonaise-Begeisterte entlangschlängeln und sich über die knappen barocken Fummel von Prinz und Funkenmariechen wundern.

Nur Faschings-Fanatiker können solches konstatieren: Witzigkeit kennt keine Grenzen. Eine angeblich große Karnevalistin ließ einst verlauten: „Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Komiker bin, nun sind sie halt da“ – gemeinhin stehen diese Typen auf der Bühne vorm Elferrat und rumpeln durchs Programm wie eine Oma mit Rollator auf Kopfsteinpflaster. Und das deutsche Fernsehen dokumentiert diesen Wahnsinn aus „Kölle“, „Meenz“ und „Düsseldoof“, ganz ohne Framing, absolut authentisch, ein Psychogramm Deutschlands mit exquisitester Niederschwelligkeit.

Ein Land, das Humor einfach nicht kann

Ich muss zugeben, dass das sicher nicht DER Karneval oder DER Fasching ist, der da in den Öffentlich-Rechtlichen gezeigt wird, wo man einem „Bildungsauftrag“ nachkommt, der da heißt: Deutschland im Karneval 22/23, genauso lustig wie letztes Jahr, nur schlimmer. Es gibt bestimmt echte Lustigkeit, Frohsinn und Vergnügliches, nur nicht dort, wo Promi-Politiker beim Schunkeln und anlasslosen Schenkelklopfen gefilmt werden und unfreiwillig noch dämlicher aussehen, als es unser Karikaturist jemals zeichnen könnte. Ich vorm Fernseher – wie immer natürlich als Eule verkleidet – suche bei solchen Anlässen eine Papiertüte für mein Gewölle aus dem Stomachum.

Juchu. Gestern fing also die sogenannte Fünfte Jahreszeit an, wo einem der Witz vom kommenden Faschingsdienstag (im Februar) schon jetzt im Hals gefriert, weil man sich bewusst wird, dass ein Land, das Humor einfach nicht kann, aber dafür Massenmord, Wirtschaftswunder und Klimarettung in dieser Reihenfolge perfektioniert hat – dass dieses Land einfach nie locker, cool und amüsant sein wird. Der „Elfte Elfte“ ist ein ewiger Feldversuch, mit Gartenzwergen und Furzkissen kritische Masse zu erzeugen, damit endlich die weltweit stärkste Humorwaffe herzustellen ist, die noch in tausend Jahren die Gebeine der verblichenen Karnevalisten weltweit zum Beben bringt.

Der „GröLaZ“, der größte Lacher aller Zeiten, ist längst erfunden worden, ging aber in der hessischen Provinz verloren. Auf der Jungs-Toilette meines Gymnasiums stand geschrieben: „Lach nicht über die Witze an der Wand, den größten hältst du in der Hand.“ Wo ich schon bei politisch Unkorrektem und Obszönem in Scherzen wäre: Im Land der Schneeflöckchen gehören sie verboten, denn sie könnten jemanden verletzen. Gerade Witze zielen auf Schwächen, sind waghalsige Schmuddeleien und oft Belege intellektueller Fehlleistungen. Sie sind aber auch brauchbare Sublimationen von Abscheu und Antipathie – und gerade deshalb so tauglich als Ventile im Alltag und beim Karneval.

Den bösen Scherz sofort kassieren

Viele Witze ziehen über irgendjemanden her, gehen auf Kosten anderer und zu weit, spielen mit Stereotypen und polarisieren. Deshalb sind sie so geeignet für Respektlosigkeiten. Genau das ist heute aber überhaupt nicht mehr angesagt und wird schnell sanktioniert. Es stellt sich als existenzbedrohendes Problem für den öffentlich zelebrierten Karneval dar, dessen DNA eigentlich aus andauernden Respektlosigkeiten besteht. Es scheint, als dürfe man heute nur noch Kamelle ohne Zucker oder Zuckerersatzstoffe unters Volk werfen. Wer will an so etwas fadem schon lutschen? Politisch korrekter „Fasching“ ist so lustig wie „Alkohol“ ohne Prozente. Die mühevolle Beweisführung findet leider jährlich im Qualitätsfernsehen statt, das wir mit der „Demokratieabgabe“ subventionieren. Das ist tatsächlich ein Lacher.

Der echte Wahnsinn findet hinter den Kulissen statt. Die Schuldbeflissenen und Übereifrigen in diesem Land werden hinter jedem Witz einen „ismus“ hervorziehen, mit dem man den bösen Scherz sofort kassieren und die Schamlosen (Lachenden) dorthin verbannen kann, wo die Sünden des Humors und der Häme gesühnt werden. An diesem Ort der Freudlosigkeit und Misanthropie wird wortwörtlich die Reinheit gehortet. Dort, im Puritanismus der Lachfeinde und Witzleugner, will ich aber nicht sein. Wo man Kritik und Selbstkritik zelebrieren soll, wie damals unter den beiden Erich-Buben.

Etwa so: „Ich entschuldige mich hiermit vor aller Ohren, die Gefühle von Menschen verletzt zu haben, die mein Eulenkostüm als traumatisierend empfinden. Ich habe auch die Gefühle der Eulen verletzt, die sich nicht wehren können gegen meine Aneignung. Und ich habe mich in ungebührender Weise abschätzig und anmaßend über die herrschende Doktrin lustig gemacht, die es Eulen verbietet, Raben als schwarz und Krokodile als gefährlich zu bezeichnen. Ich werde in Zukunft Freundschaft mit Krokodilen pflegen und zum Ruhme der Klasse der weißen Raben, mit aller Kraft dem Aufbau der Internationale der Humorlosigkeit dienen.“

In der gänzlich witzlosen Gesellschaft lacht man über niemanden mehr. Auch nicht im Keller. Der Deutsche hat bald ohnehin nichts mehr zu lachen. Gasspeicher leer, Stromnetz leer, Haushaltskonto leer, Witzekonto leer. Echt gemein. Noch nicht einmal lachen darf man über die eigene Blödheit, eine solche Politik irgendwann, irgendwie gewählt zu haben. Noch schlimmer, solche Politik vielleicht gar nicht gewählt zu haben, aber trotzdem geliefert zu bekommen. Und am schlimmsten: sie wieder zu bekommen nach gut 30 Jahren, die auferstandene Mangel-DDR und die Dialektik-Übungen mit Ochs und Esel.

Eine zunehmend witzlose Gesellschaft

Früher zog man beim Karneval über die Herrschaft her, heute zieht man über die her, die keinen Bock mehr auf die Herrschaft haben. Der professionelle Karnevalist hat das Lager gewechselt und ist ein Claqueur. Verdächtig: Darüber lachen die politischen Gäste an den medienwirksamen Biertischen am lautesten, denn sie fühlen sich bestätigt. Im Fokus: das stereotype, bürgerliche Staatsfeind-Repertoire statt der Staatsfeinde des Dilettanten-Kabinetts, die Deutschland mit haarsträubenden Fehlentscheidungen seit Jahren global der Lächerlichkeit preisgeben. Schon komisch, wenn andere lachen, denen man den Witz gar nicht erzählt hat. Dann sollte man vielleicht nachschauen, ob man heute Morgen in der Eile vergessen hat, eine Hose anzuziehen.

Eine zunehmend witzlose Gesellschaft ist an der Macht, das deutsche Wokistan. Man könnte denken, das ist ein Land am Hindukusch, wo einst unsere Freiheit verteidigt wurde. Nein, es existiert hier in Mitteleuropa. Es wird von 17 Nachdenkern in einer Spreeschleife in Berlin uninspiriert verwest: Scholz, Habeck, Lindner, Faeser, Baerbock, Buschmann, Heil Lambrecht!, Özdemir, Paus, Lauterbach, Wissing, Lemke, Stark-Watzinger, Schulze, Geywitz und der Wolfgang für besondere Aufgaben.

Die Vordenker sitzen jedoch in westlichen Universitäten und Medien, wo die Sprechapparate des Kabinetts mit Worthülsen versorgt werden, die jeder peinlichen Befragung und sittlichen Humorprüfung standhalten könnten. Das ist echte deutsche Ernsthaftigkeit: Jeder Scherz muss zunächst aktenkundig werden, bevor er als Beschlussvorlage vom Kanzler persönlich freigegeben wird. Humor von oben herab. Eigentlich funktioniert das beim Fasching andersherum. Ein mildes Lächeln sei erlaubt am heutigen Ehrentag der saft- und kraftlosen Narretei.

Pandemie in Covid-Moll

Wer es im Blut hat, katholisch-hedonistisch veranlagt ist, aus dem Rheinland oder anderen Hochburgen stammt und hineingeboren wurde ins „Treiben“, wird das hier vielleicht missverstehen. Ich war zwar schon immer auf der Hut vor heidnischem Brauchtum, auch wenn mich das ebenfalls von Weihnachtsbaum und Osterhase hätte entfremden müssen. Aber ich erkenne dankend an, dass es Menschen gibt, die sich das Feiern von Besserwissern und Oberlehren nicht mehr vermiesen lassen wollen. Das wäre eine plausible Erklärung dafür, dass es viele Leute gibt, auf die die vorgenannten Attribute eigentlich gar nicht passen.

Sie haben einfach ein dickes Fell und lassen sich hoffentlich nie wieder vom Drosten-Wieler-Lauterbach-Montgomery-Quartett am Gängelband herumführen. Die gehören ab heute kräftig durch den Kakao gezogen, denn für ihre schweren Entgleisungen haben sich die Herren bis heute nicht entschuldigt. Ich sage nur: „Die Tyrannei der Ungeimpften“ (Montgomery). Das war deren Tyrannei der Unbedarften.

Allerdings ist anzumerken: Der Phänomen-Bereich des sich Lustigmachens über Personal der Res Publica könnte seit Neuestem schon als „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, gelten. Stellen Sie sich vor, auf einem Motivwagen würde der frierende Deutsche Michel an Putins Gashahn herummanipulieren... oder Lauterbach würde mit erhobenem Zeigefinger im Gewande eines Klerikers das Ende der Welt verkünden, während hinter ihm eine prall gefüllte Schatztruhe stünde, aus der das Geld nur so herausquillt, ...oder Karl, der „Schmächtige“, steht unbekleidet da und verkündet mit aufgerissenen Augen „Ich bin die Wissenschaft“... Oder der kleine Olaf im 770-Millionen-Kindergarten, echt niedlich. Wenn das mal nicht die Faeser-Brigaden auf den Plan ruft.

Ich muss deshalb klarstellen, dass ich diese kranken Ideen wirklich nicht hatte. Das war wahrscheinlich der Kubicki, der während der Coronazeit ja hoch auf dem gelben Wagen saß und den Hofnarren spielen durfte. Heute ist er geläutert. Die echte Narretei der letzten drei Jahre ging von Flachpfeifen aus, die tagaus tagein das Lied von der Pandemie in Covid-Moll pfiffen, sodass die Geimpften vom Hörensagen Tinnitus, Myokarditis, Gürtelrose oder andere unvermittelt auftauchende „Erbkrankheiten“ bekamen. Die personifizierte, zertifiziert-unfehlbare Wissenschaft wusste schon damals: keine Nebenwirkung der Impfung. Kein Widerwort. Einfach weitermachen, jeckes Deutschland!

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R.Camper / 12.11.2022

Danke für diesen Text, und besonders für diese Zeile, “denn ich mag „Betreutes Denken“ ebenso wenig wie „Verordnetes Lustigsein“.  Endlich weiß ich, warum ich diesem Affentanz noch nie etwas abgewinnen konnte.  Gestern war ich den ganzen Tag zu Hause, Sylvester und Rosenmontag in der Regel auch. Ich wollte schon Mal zum Psychologen deswegen. gehen. Das kann ich mir jetzt sparen, wer kein “Betreutes Denken” mag, mag eben auch kein “Verordnetes Lustigsein”, das ist der Schlüssel.  

Heiko Stadler / 12.11.2022

Natürlich kommt aus Mainz und Düsseldorf nichts Lustiges mehr. Das liegt daran, dass der Karneval mit all seinen Narren nach Berlin verlagert wurde. Nur haben eben viele Deutsche noch nicht mitbekommen, dass sich der Rest der Welt vor Lachen am Boden wälzt.

Andreas Mertens / 12.11.2022

Habe mir letztens wieder einmal den alten Prachtschinken “Quo Vadis” angesehen. Die Szene in der Nero (dargestellt durch den unübertroffenen Peter Ustinov) die Lyra in Händen den Brand Roms besingt gefällt mir zusehend besser und besser. Quo Vadis ... eine Frage die sich jeder deutsche Michel stellen muss. Zum Ausgleich darf der Michel dann seinen Kinder ein Märchen vorlesen. Ich empfehle “Das kalte Herz” von Wilhelm Hauff. Es passt ganz gut zum Zeitgeist.

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