Vera Lengsfeld / 30.07.2018 / 12:00 / Foto: Pixabay / 32 / Seite ausdrucken

Ein schöner Sommertag in Deutschland

Auf den 26. Juli hatte ich mich besonders gefreut. Am Abend wollte ich nach Erfurt fahren, um in der Predigerkirche ein Konzert des MDR Musiksommers zu besuchen. Aber als ich morgens meinen Laptop öffnete, las ich, dass es in Erfurt eine Geiselnahme gegeben hatte, bei der in der Nähe des Bahnhofs ein unbeteiligter Passant niedergestochen wurde. Als die Polizei dem Täter dicht auf der Spur war, ließ der von seiner Geisel ab und flüchtete über die Gleise in Richtung Weimar.

Daraufhin wurde der gesamte Bahnhof für den Zugverkehr gesperrt. Per Twitter ging ein Aufruf an die Bevölkerung raus, in der Nähe des Bahnhofs keinen Anhalter mitzunehmen und beim Anblick eines 41-Jährigen die Notrufnummer zu wählen. Eines 41-Jährigen. Das war alles, was die Polizei stundenlang als Angabe machte, obwohl sie genaue Informationen über den Täter haben musste, da sie sein Alter kannte.

Am Nachmittag hatte die Polizei den Täter immer noch nicht festgenommen, immerhin wurde nun bekannt gegeben, dass es sich um einen Litauer handelte. Der Bahnhof war wieder freigegeben worden, nachdem die Beamten alle Gleise abgesucht hatten. Ich schüttelte mein Unbehagen ab und beschloss, mir das Konzert nicht entgehen zu lassen.

Eine Stunde vor der Abfahrt kaufte ich mir über meine Bahn-App eine Fahrkarte. Es gab keinen Hinweis, dass es zu Schwierigkeiten kommen könnte, auch als ich kurz vor 17 Uhr den Zug bestieg. Erst nach Abfahrt teilte die Schaffnerin uns mit, dass nicht sicher sei, ob wir Erfurt erreichen würden, der Bahnhof sei wieder gesperrt. Offenbar hatte ein Zeuge einen 41-Jährigen gesichtet und die Polizei alarmiert. Warum hatte sie die Fahrgäste nicht beim Einsteigen gewarnt? Sie verstand meine Frage nicht. Sich für die Fahrgäste verantwortlich zu fühlen, gehört offenbar nicht mehr zum Berufsbild einer Zugbegleiterin. Sie war der Meinung, ich hätte mich vor der Abfahrt doch selbst informieren können. Soll das heißen, ich bin künftig vor jedem Reiseantritt selbst verpflichtet, mich zu vergewissern, ob die Fahrt stattfindet, oder nicht? Wo bitte? Das konnte die Dame mir nicht sagen. 

Rotkäppchen-Sekt unter lila MDR-Schirmen

Die Ungewissheit hielt bis kurz vor Erfurt an. Beim Halt in Kühnhausen konnten uns zugestiegene Fahrgäste sagen, dass die Strecke wahrscheinlich wieder frei sei. So war es dann auch. Die Polizeipräsenz auf dem Bahnhof war so dicht, als hätte es einen Putsch gegeben.

Immerhin sah es auf den Straßen aus, als wäre nichts geschehen. Vor der Predigerkirche herrschte die reine Sommeridylle. Unter den lila MDR-Schirmen wurde Rotkäppchen-Sekt verkauft. Die wunderbar restaurierte Predigerkirche wurde dereinst von Friedrich Schinkel vor dem Abriss gerettet. Das Abendlicht taucht die hohen, schlanken Säulen bis unter das Kreuzgewölbe in einen weichen Schimmer. Dazu Bach, der zwar nicht der genius loci Erfurts war, dessen weit verzweigte Familie der Stadt aber ihren Stempel aufgedrückt hat.

Der Solist Niels Mönkemeyer, der eher für experimentelle Moderne bekannt ist, spielt die alte Musik, als hätte er nie etwas anderes getan. Es ist, als ob noch einmal der ganze Zauber Europas zurückkehrte. Die kraftvolle Architektur der Kirche, die gleichwohl nicht wuchtig, sondern elegant, fast filigran wirkt, ist der ideale Resonanzraum für die Töne des „L’Arte del Mondo“-Orchesters.

In der Pause spricht mich eine meiner Leserinnen an. Das passiert mir jetzt häufiger. Was sie sagen, zeigt: Es gibt sie noch, die Menschen, die Europa vor der nächsten Katastrophe bewahren wollen. Aber sind es genug? 

Das Publikum ist zahlreich, aber leider mehrheitlich über sechzig Jahre alt. Der Anblick macht mich melancholisch. Als der von mir sehr geliebte Satz aus der Orchestersuite Nr. 3 D-Dur bwv 1068 erklingt, hat das etwas von Abschiedsmelodie. Das erfolgreichste menschliche Sozialmodell und seine einzigartige Kultur hat vielleicht nicht mehr genügend Anhänger, die es schätzen und verteidigen. Der Westen ist bereits ein Koloss auf tönernen Füßen. Ausgehöhlt, sturmreif.

Auf dem Heimweg lese ich im Zug in den Nachrichten, dass eine Deutsche, die sich nach Syrien abgesetzt hatte, um sich dem IS zur Verfügung zu stellen, dort einen Terroristen geheiratet und mit ihm zwei Kinder gezeugt hat, nach Deutschland zurückgekehrt war und nun in Gewahrsam genommen werden musste, weil sie offensichtlich ihre terroristischen Aktivitäten hier fortsetzen wollte. Diese Nachricht verschwand sehr schnell wieder.

Drei Oberbürgermeister wünschen sich mehr Probleme

Dafür wurde breit über die Bittschrift der drei Oberbürgermeister von Köln, Bonn und Düsseldorf berichtet. In allen drei Städten gibt es erhebliche Probleme mit „Flüchtlingen“, die um den Kölner Bahnhof und die Domplatte herum so gravierend wurden, dass man eine mobile Polizeiwache installieren musste. Trotzdem beschwören diese drei Stadtoberhäupter Kanzlerin Merkel, sich dafür einzusetzen, dass die Schlepperei auf dem Mittelmeer, Seenotrettung genannt, wieder aufgenommen werden soll. Sie wären bereit, in ihren Städten weitere sogenannte „Schutzsuchende“ unterzubringen.

Während das über den Ticker läuft, gibt es auf Ceuta einen Angriff von „Schutzsuchenden“ auf die spanische Enklave. Ihre Forderung nach Schutz tragen die verzweifelten Flüchtlinge mit Branntkalk vor, den sie gegen Polizisten, die sie am Überklettern des Zaunes hindern wollen, einsetzen. Branntkalk kann bei Hautkontakt gefährliche Verätzungen verursachen. Durch die Angriffe sollen 22 Polizisten verletzt worden sein, vier von ihnen mussten in ein Krankenhaus eingeliefert werden, heißt es in den Berichten. Ein Polizeisprecher bezeichnete das Vorgehen der Migranten als so "brutal wie noch nie zuvor“. 

Da kann der Wunsch der drei Oberbürgermeister nach der Aufnahme neuer Flüchtlinge umgehend erfüllt werden. Man möchte das ganze als eine böse Groteske ansehen, aber es ist die irrwitzige Realität. 

Foto: Pixabay

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Michael Lorenz / 30.07.2018

So, verehrte Frau Lengsfeld, sehen klare Gedanken aus. Mit einem normalen Maß an Bildung und in Kenntnis des Geschehens in der Welt ist es auch absurd, zu anderen Schlüssen zu kommen. Die 3 (inzwischen 4, Potsdam kam dazu) Bürgermeister sind aber nun nicht gerade geistig retardiert - sie dürften sogar über mehr als durchschnittliches geistiges Leistungsvermögen verfügen, sonst wären sie kaum da, wo sie jetzt sind (was für sich allein noch nichts bedeutet - man schaue nur mal, wer so alles einen Doktortitel hat). Dennoch: an einem Zimmertemperatur- IQ leiden jene sicher nicht. Kann mir dann aber mal irgend jemand schlüssig erklären, wie die zu solchen Äußerungen kommen? Sie meinen das ja offensichtlich völlig ernst und glauben anscheinend fest daran, das Richtige zu tun! Ich kann das beim besten Willen nicht nachvollziehen, und ich bemühe mich wirklich - allein schon deswegen, weil man einen Gegner verstehen muss, um ihn erfolgreich bekämpfen zu können!

Markus Hahn / 30.07.2018

Liebe Frau Lengsfeld, kein Grund, jetzt schon melancholisch zu werden. Der Spaß nimmt gerade erst Fahrt auf. Derzeit beginnt auf allen Medienkanälen eine hysterische Kampagne, mit der der letzte moralische Widerstand der Kartoffeldeutschen gebrochen werden soll. Junge, irgendwie becolourte Menschen, meist aus Softskill-Fakultäten und dem “irgendwas mit Medien” Bereich, kreischen die Wut über ihre Alltagserfahrungen mit dem dumpf-fremdenfeindlichen biodeutschen Rassismus heraus. Gleichzeitig posaunt man/frau dummdreist, dass es einen antideutschen Rassismus aus Prinzip gar nicht geben kann…wehren ist also zwecklos. Stalin sagte einmal, die Lüge sei die Beste, die der Untertan durchschaut, an die er aber trotzdem glauben müsse. Das breche den Widerstandswillen. Interessant ist, dass es überwiegend junge Frauen mit Migrationshintergrund sind, die nun ihrer diffusen Lebenswut ein gleichmütiges Ziel geben. Die Neurosen ganzer Generationen von Frauen sind politisiert worden. Und wir sollen das schweigend hinnehmen. Sie, liebe Frau Lengsfeld, sind wenigstens noch eine Frau. Aber ich bin weiß, männlich, nicht mehr jung und auch noch Nettosteuerzahler. Das wird nicht friedlich enden, dünkt mich. Nicht alle Deutschen werden sich zum Schluß auch noch übelst verhöhnen lassen, bis man schluß endlich auf ihren Gräbern tanzt. Der zahmste Hund beißt irgendwann, wenn man ihm jedesmal im Vorbeigehen einen Tritt verpasst.

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