Wir leben in Zeiten des Wahnsinns. Drei Milliarden Jahre Evolution sind auf einmal irrelevant. Entwertet von der Empfindsamkeit einer Gesellschaft, wo jeder seine eigene Wahrheit konstruieren darf, die Wahrheit, die gerade seinem emotionalen Selbstverständnis entspricht. Dazu gehören Geschlechtsidentitätswechsel im Schnellverfahren – gesetzlich gefördert und begünstigt von Medizinern. Ein aktuelles Youtube-Video aus Kanada zeigt, wie es geht.
In dem Experiment gibt sich Reporterin Lauren Southern, eine junge Frau, als Person aus, die ihre Geschlechtsidentität als "ausserhalb des Systems von Mann und Frau" empfindet. "Ich fühle, mein Geschlecht ist eher männlich", beschreibt sie sich einer Ärztin und bittet um ein medizinisches Attest, das ihre männliche Identität bestätigen soll. "Ich präsentiere mich nicht immer männlich (…). Ich fühle mich zu Frauen hingezogen." Die Ärztin, anfangs verwirrt, stellt nach zwei kurzen Rückfragen die Diagnose aus: Geschlecht männlich.
Mit dem Dokument beantragt Southern später beim Einwohneramt eine neue Identitätskarte – sie trägt Highheels, ihr langes Haar fällt über die Schultern. Sie stellt klar: "Ich möchte als männlich identifiziert werden." Die Mitarbeiterin, anfangs verwirrt, händigt ihr nach einem kurzen Telefonat die ID aus: Geschlecht männlich. Sie spricht die Reporterin mit "Sir" an.
Den Kopf ein- und den Stecker zur Vernunft rausziehen
Man könnte es als irrwitzige Episode abtun, wäre der Test nicht vor dem Hintergrund eines neuen Gesetzes (Bill C-16) entstanden, das der liberale Premierminister Justin Trudeau im Mai dem Parlament vorgelegt hat. Es soll die Rechte von Transgender-Personen in den kanadischen Menschenrechten verankern. Tritt das Gesetz in Kraft, könnte man schon nur für das Infrage stellen eines Geschlechts, egal, ob ein medizinisches Attest vorliegt, rechtlich belangt werden.
Es ist unbestritten: Menschen, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht identifizieren, soll ein Identitätswechsel nicht unnötig schwergemacht werden. Auch sind die Anfeindungen, mit denen Transgender manchmal konfrontiert werden, traurige Realität. Realität ist aber auch das Kuschen vor der political correctness. Es ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass Leute aus Angst vor Konsequenzen ihren Kopf ein- und den Stecker zur Vernunft rausziehen. Es hat etwas vorauseilend Gehorsames, so, wie wenn man seinen Rasen frühzeitig mäht, damit der Nachbar nicht auf die Idee kommt, man vernachlässige die Gartenpflege.
Indem man für 2,5 Prozent der Bevölkerung (Anzahl Transgender in Kanada) radikale Gesetze fordert, vereinfacht man vielleicht deren Alltag ein bisschen. Für 97,5 Prozent der Menschen aber werden sich heikle Situationen auftun – der zwischenmenschliche Umgang wird zum Hochseiltanz. Ist es nicht auch Diskriminierung, wenn ein Arbeitgeber per Gesetz mit der "Ismus"-Keule niedergestreckt wird, nur, weil er das Geschlecht eines Mitarbeitenden hinterfragt? Spinnt man es weiter, könnten erfolglose Profiboxer ja einfach ein Comeback bei den Damen geben. Oder Jobsuchende je nach Stellenbeschreibung ihre Identität wechseln. Körperdurchsuchungen am Flughafen dürften zu bizarren Vorführungen mutieren.
Welchen Weg schlagen wir ein, wenn eine Realität nicht mehr auf biologischen Fakten basiert, sondern nur mehr auf subjektiven Emotionen? Wenn man nach dem Lustprinzip alles verlangen kann? Eine Gesellschaft, die alle Anfeindungen gesetzlich regeln möchte, geisselt sich selbst.
Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen