Der Mediziner Michael Lichtwarck-Aschoff hat ein Buch über Episoden aus dem Leben des Hygieneforschers Robert Koch geschrieben. Darin stecken gerade in Corona-Zeiten jähe Aktualität und Analogien zur Gegenwart zuhauf.
Der Mediziner und Schriftsteller Michael Lichtwarck-Aschoff hat ein Buch – „Robert Kochs Affe. Der grandiose Irrtum des berühmten Seuchenarztes“ – über drei skurrile Episoden aus dem Leben des Hygieneforschers Robert Koch (1843–1910, dessen Name seit Monaten täglich in den Nachrichten ist) geschrieben. In dem Buch stecken jähe Aktualität und Analogien zur Gegenwart zuhauf. Der Autor hat das Buch allerdings vor etwa vier Jahren zu schreiben begonnen, als die Corona-Pandemie noch nicht unseren Alltag beherrschte. Michael Lichtwarck-Aschoff wagt es, am Denkmal Robert Koch ein wenig zu kratzen.
Koch wurde aufgrund seiner Forschung ein berühmter Mann, zu seiner Zeit einer der bekanntesten Wissenschaftler und Nobelpreisträger für Medizin. (Eine Kopie der Nobelpreisurkunde ist derzeit im neu eröffneten Humboldtforum in Berlin zu sehen). Was den „grandiosen Irrtum“ betrifft, so ist gemeint, dass Koch nicht verstand, dass Bakterien ein unverzichtbarer Teil des menschlichen Organismus sind und ein gänzliches Eliminieren dieser Bakterien nicht möglich ist.
„Um seine Patienten kümmerte er sich nur widerwillig“
Wo immer man dieses Buch aufschlägt, findet man Gelehrtes und Amüsantes. Ein Buch, das durch intellektuelle Spannung besticht und trotz seiner dichten Fakten amüsant zu lesen ist. Auf lockere, unterhaltsame Art wird der Hausangestellte von Koch, der Gärtner Witold, beschrieben: „Nachdem er eines Morgens feststellte, dass er gar nicht mehr verlobt war, musste er nun ans Geldverdienen denken und hatte die Stelle als Faktotum beim Professor angenommen. Der saß in seinem Dachzimmer, das er sich mit der Mitgift seiner Frau als Labor eingerichtet hatte, und schaute durchs Mikroskop. Um seine Patienten kümmerte er sich nur widerwillig, es sollten schon Privatpatienten sein.“ (S. 28)
Nicht verschwiegen wird das finsterste Kapitel in Robert Kochs Biografie, seine Versuche an Menschen in Afrika zur Erforschung der Schlafkrankheit. Koch empfahl die Internierung Kranker in Lagern und ließ sie mit Rattengift (Atoxyl) behandeln. Die Zwangsmaßnahmen führten zu Erblindungen und Todesfällen. Der Autor legt einem traumatisierten und jahrelang in eine Anstalt in Ingolstadt gesperrten Soldaten die Ereignisse in „Deutsch-Ostafrika“ in den Mund. Der Nervenarzt sagte: „Ich hatte begriffen, dass die Berichte Professor Kochs bei Kindsmüller [dem Soldaten] gar nichts geraderücken konnten. Er war durchaus bei Verstand. Er war nicht an seiner Einbildung zerbrochen, sondern an der Wirklichkeit. Kochs Berichte bestätigten ja seine Erinnerungen.“ (S. 133)
26 Jahre in Quarantäne weggesperrt
Lichtwarck-Aschoff sagte in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen Online am 31. März 2021:
„Offensichtlich wirkte sich der Zeitgeist – oder vielmehr Zeit-Ungeist – in der Medizin aus ... Er fährt nach Afrika, mitten hinein in ein Kriegsgebiet und nimmt nicht zur Kenntnis, dass da ein Krieg wütet. Obwohl auch ihm klar sein musste, dass dieser Krieg dafür verantwortlich war, dass die Schlafkrankheit dort so verbreitet war. Er hielt Vorträge vor anthropologischen Gesellschaften – auch die kann man im Robert-Koch-Institut nachlesen –, und man fragt sich, welches Land beschreibt er da eigentlich. Da sind 200.000 Menschen gestorben. Aber davon schweigt er. Das ist für mich das Extrem, das durch Koch verkörpert wird: die Trennung zwischen dem, was ich unter meinem Mikroskop sehe, und dem Patienten, bzw. weiter gedacht, der Gesellschaft.“
Im dritten Teil des Buches geht es um „Typhoid Mary“ in New York. Die aus Irland eingewanderte Mary Mallon war ein sogenannter „gesunder Träger“ von Typhusbazillen. Selbst nie erkrankt, steckte sie zahllose Menschen, in deren Häusern sie als Köchin arbeitete, unbewusst an. Sie wurde daraufhin 26 Jahre in Quarantäne weggesperrt. Koch, im Sommer 1908 auf Amerikareise, will ihr helfen, erkrankt jedoch selbst an einer Herzkrankheit.
Das Buch ist stets, auch in den traurigen Kapiteln, unterhaltsam und virtuos geschrieben. Lesern, die sich eifrig in der Kunst des Tsundoku (der japanische Fachbegriff für die Kunst oder Angewohnheit, Bücher zu kaufen, sie zu stapeln und nicht zu lesen) üben, empfehle ich, das Buch nicht ungelesen zu stapeln. Es bereitet großes Lesevergnügen.
Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig und hält Vorträge zu afrikanischen Themen (zum Beispiel „Was sagen eigentlich die Afrikaner“, ein Afrika-ABC in Zitaten).