Volker Seitz / 29.10.2021 / 06:20 / Foto: Wilhelm Fechner / 37 / Seite ausdrucken

Ein neuer Blick auf Robert Koch

Der Mediziner Michael Lichtwarck-Aschoff hat ein Buch über Episoden aus dem Leben des Hygieneforschers Robert Koch geschrieben.  Darin  stecken gerade in Corona-Zeiten jähe Aktualität und Analogien zur Gegenwart zuhauf. 

Der Mediziner und Schriftsteller Michael Lichtwarck-Aschoff hat ein Buch – „Robert Kochs Affe. Der grandiose Irrtum des berühmten Seuchenarztes“ – über drei skurrile Episoden aus dem Leben des Hygieneforschers Robert Koch (1843–1910, dessen Name seit Monaten täglich in den Nachrichten ist) geschrieben. In dem Buch stecken jähe Aktualität und Analogien zur Gegenwart zuhauf. Der Autor hat das Buch allerdings vor etwa vier Jahren zu schreiben begonnen, als die Corona-Pandemie noch nicht unseren Alltag beherrschte. Michael Lichtwarck-Aschoff wagt es, am Denkmal Robert Koch ein wenig zu kratzen.

Koch wurde aufgrund seiner Forschung ein berühmter Mann, zu seiner Zeit einer der bekanntesten Wissenschaftler und Nobelpreisträger für Medizin. (Eine Kopie der Nobelpreisurkunde ist derzeit im neu eröffneten Humboldtforum in Berlin zu sehen). Was den „grandiosen Irrtum“ betrifft, so ist gemeint, dass Koch nicht verstand, dass Bakterien ein unverzichtbarer Teil des menschlichen Organismus sind und ein gänzliches Eliminieren dieser Bakterien nicht möglich ist. 

„Um seine Patienten kümmerte er sich nur widerwillig“

Wo immer man dieses Buch aufschlägt, findet man Gelehrtes und Amüsantes. Ein Buch, das durch intellektuelle Spannung besticht und trotz seiner dichten Fakten amüsant zu lesen ist. Auf lockere, unterhaltsame Art wird der Hausangestellte von Koch, der Gärtner Witold, beschrieben: „Nachdem er eines Morgens feststellte, dass er gar nicht mehr verlobt war, musste er nun ans Geldverdienen denken und hatte die Stelle als Faktotum beim Professor angenommen. Der saß in seinem Dachzimmer, das er sich mit der Mitgift seiner Frau als Labor eingerichtet hatte, und schaute durchs Mikroskop. Um seine Patienten kümmerte er sich nur widerwillig, es sollten schon Privatpatienten sein.“ (S. 28)

Nicht verschwiegen wird das finsterste Kapitel in Robert Kochs Biografie, seine Versuche an Menschen in Afrika zur Erforschung der Schlafkrankheit. Koch empfahl die Internierung Kranker in Lagern und ließ sie mit Rattengift (Atoxyl) behandeln. Die Zwangsmaßnahmen führten zu Erblindungen und Todesfällen. Der Autor legt einem traumatisierten und jahrelang in eine Anstalt in Ingolstadt gesperrten Soldaten die Ereignisse in „Deutsch-Ostafrika“ in den Mund. Der Nervenarzt sagte: „Ich hatte begriffen, dass die Berichte Professor Kochs bei Kindsmüller [dem Soldaten] gar nichts geraderücken konnten. Er war durchaus bei Verstand. Er war nicht an seiner Einbildung zerbrochen, sondern an der Wirklichkeit. Kochs Berichte bestätigten ja seine Erinnerungen.“ (S. 133) 

26 Jahre in Quarantäne weggesperrt

Lichtwarck-Aschoff sagte in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen Online am 31. März 2021:

„Offensichtlich wirkte sich der Zeitgeist – oder vielmehr Zeit-Ungeist – in der Medizin aus ... Er fährt nach Afrika, mitten hinein in ein Kriegsgebiet und nimmt nicht zur Kenntnis, dass da ein Krieg wütet. Obwohl auch ihm klar sein musste, dass dieser Krieg dafür verantwortlich war, dass die Schlafkrankheit dort so verbreitet war. Er hielt Vorträge vor anthropologischen Gesellschaften – auch die kann man im Robert-Koch-Institut nachlesen –, und man fragt sich, welches Land beschreibt er da eigentlich. Da sind 200.000 Menschen gestorben. Aber davon schweigt er. Das ist für mich das Extrem, das durch Koch verkörpert wird: die Trennung zwischen dem, was ich unter meinem Mikroskop sehe, und dem Patienten, bzw. weiter gedacht, der Gesellschaft.“

Im dritten Teil des Buches geht es um „Typhoid Mary“ in New York. Die aus Irland eingewanderte Mary Mallon war ein sogenannter „gesunder Träger“ von Typhusbazillen. Selbst nie erkrankt, steckte sie zahllose Menschen, in deren Häusern sie als Köchin arbeitete, unbewusst an. Sie wurde daraufhin 26 Jahre in Quarantäne weggesperrt. Koch, im Sommer 1908 auf Amerikareise, will ihr helfen, erkrankt jedoch selbst an einer Herzkrankheit.

Das Buch ist stets, auch in den traurigen Kapiteln, unterhaltsam und virtuos geschrieben. Lesern, die sich eifrig in der Kunst des Tsundoku (der japanische Fachbegriff für die Kunst oder Angewohnheit, Bücher zu kaufen, sie zu stapeln und nicht zu lesen) üben, empfehle ich, das Buch nicht ungelesen zu stapeln. Es bereitet großes Lesevergnügen.

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig und hält Vorträge zu afrikanischen Themen (zum Beispiel „Was sagen eigentlich die Afrikaner“, ein Afrika-ABC in Zitaten).

Foto: Wilhelm Fechner CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Wolfgang Kolb / 29.10.2021

Medizingeschichte unterhaltsam und spanned präsentiert. Danke für die Buchvorstellung!

Ludwig Luhmann / 29.10.2021

@Dieter Kief Apropos “arglos”: Das flagellantische Element gehört mittlerweile zum Inventar eines jeden Menschen, der vor seinem Über-ich garantiert bestehen möchte. “Wir müssen helfen” ist ein Satz, den ich schon seit Jahren mit der Frage “woher kommt das Müssen?” abbiege.

Hans-Peter Dollhopf / 29.10.2021

Isaac Newton holte sicherlich das Beste aus dem Pool der Möglichkeiten seiner Wissenschaftsepoche heraus. Weil älter als Einstein, verdient er als Referenz - das Gelbe vom Ei - für alle folgenden Nobelpreisträger anerkannt zu werden. Das Urmeter sozusagen. Sonst gäbe es sicherlich Zoff, denn charakterlich war Newton eher Funzel als Leuchte, wovon seine Zeitgenossen ein Lied singen konnten, angefangen beim Mathematiker Leibnitz bis runter zum Uhrmacher John Harrison. Aber in einer Zeit, in der eine Übersetzerin vom falschen Stamm noch nicht einmal mehr die Dichtkunst einer POCigen Amanda Gorman berühren darf, ohne diese zu verunreinigen, werden wir selbst doch wohl noch “unseren” Nobelpreisträgern noch etwas an frischer Farbe zum Lebenswerk gönnen? Bevor #metoo sich Prof. Kochs annimmt? (Mich wundert eh, dass diese Drosten - wahlweise Lauterbach - noch nicht für sich entdeckt haben!)

Michael Guhlmann / 29.10.2021

Ich hätte auf Herrn Norbert Brausses Schilderung allenfalls geschrieben, daß den Lesern jetzt nur noch eine Stuhlprobe von ihm fehlt. Sie dagegen, sehr verehrte, liebe Frau Sabine Schönfelder, behandeln ihn mit einer glücklichen Verbindung von ärztlicher Anteilnahme und der wesenseigenen Liebe der Frau.

Hans-Peter Dollhopf / 29.10.2021

Herr Feider, Sie schreiben: “Die moralisierende Selbstbeweihräucherung deutscher ‘Bessermenschen’ ist das Problem.” Keine Ahnung. Vielleicht ist das Problem ja so simpel - oder komplex, je nachdem - und wir könnten endlich zur Lösung schreiten und dann Feierabend machen. Wie ist noch mal Ihre Lösung dafür??

Norbert Brausse / 29.10.2021

Da ich sehe, dass weiterhin Interesse an meinem Krankheitsverlauf besteht, möchte ich an dieser Stelle weitere Fragen beantworten und ergänzende Informationen liefern. Zu den Tests: Ich hatte einen PCR-Test und einen Schnelltest. Der Schnelltest schlug bei mir sofort an, während er bei meiner Frau negativ blieb. Für mich überraschend war auch, dass enge Familienangehörige, die jedoch alle jünger als ich sind und mit denen ich während meiner Inkubationszeit zusammen war, bisher nicht erkrankt sind. Vom Gesundheitsamt versuche ich noch zu erfahren, gegen welche Corona-Variante(n) ich geimpft wurde und an welcher Variante ich wirklich erkrankt bin. Nachdem es mir heute früh überraschenderweise recht gut ging, war das nachmittags nicht mehr der Fall, aber Paracetamol senkte das Fieber wieder von 39 Grad auf 38 Grad. In der Zwischenzeit kann ich meine Körpertemperatur in Abhängigkeit vom Wohlbefinden schon fast erraten. Eine Virusgrippe hatte ich bisher noch nicht, aber vor 3 Jahren eine durch Viren verursachte Nasennebenhöhlenentzündung, die zur Folge hatte, dass sich anschließend in den Nasennebenhöhlen Bakterien ansiedelten, die sich bis in die Lunge verbreiteten, was zur Entzündung der Lunge führte und ich 6 Tage stationär im KH war. Im Unterschied zu heute habe ich damals 3 oder 4 Tage durchgehustet, bis das Antibiotikum schließlich seine Wirkung entfaltete.

T. Schneegaß / 29.10.2021

@Kurt Müller: Um 1933 war die gesellschaftliche Situation eine völlig andere.

Andreas Rochow / 29.10.2021

Bevor nun der Nobelpreiträger vom Sockel gestoßen, als Anhänger des bösen deutschen Kolonialismus und Mengele-Vorgänger geächtet wird, sollten wir darüber nachdenken, welche Eigenschaften es ihm ermöglicht haben, der links-globalistisch antiidentitären und antideutschen, antirassistischen Hatz zu entgehen. Immerhin war er ein alter weißer Mann, was im Bedarfsfall ausreichen sollte, ihn zu exekutieren. Jeder Irrtum eines Arztes kann den Tod des Patienten oder eines Probanden zur Folge haben. Insbesondere dann, wenn es sich nicht um probate Therapien im ureigensten Sinne, sondern um Menschenversuche handelt. So gesehen führt das Robert-Koch-Institut die Tradition von Irrtum und Menschenversuch tapfer fort; ein Grund mehr, den Namensgeber vor politisch korrekten Nachstellungen zu bewahren. Da sei das Merkel davor!

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