Wolfram Weimer / 07.06.2016 / 16:18 / 26 / Seite ausdrucken

Ein Lob auf Joachim Gauck: Bester Präsident seit Weizsäcker

Der 24. Januar 1940 ist ein bitterkalter Tag. Seit Wochen herrscht Eisstarre über Mitteleuropa, die Wetterdienste melden den kältesten Winter seit 50 Jahren. Die gesamte Ostsee ist zugefroren. In Rostock bei minus 25 Grad wird an diesem Tag Joachim Gauck geboren. Mitten hinein in den ersten klirrenden Kriegswinter des Zweiten Weltkriegs. Die Wehrmacht hat gerade Polen überrannt, Warschau ist nieder bombardiert, Finnland wehrt sich verzweifelt gegen die sowjetische Invasion, der Westfeldzug hat noch nicht begonnen, aber der Seekrieg tobt schon mit aller Brutalität.

Gauck entstammt einer stählernen, dunklen, verwundeten Zeit

Gaucks Vater macht gerade das Kapitänsexamen mit Auszeichnung und wird bei der Handelsmarine Oberleutnant zur See. Gauck verbringt seine Kindheit in der Nähe von Marinekasernen an der Ostsee. Die Familie überlebt, der Vater kehrt im Sommer 1946 kurz vor Gaucks Einschulung aus britischer Kriegsgefangenschaft zurück und arbeitet dann als Arbeitsschutzinspektor für Schifffahrt auf der Rostocker Neptun-Werft. Doch auf die eine Diktatur folgt die nächste. 1951 wird Gaucks Vater wegen angeblicher antisowjetischer Hetze von der Stasi spurlos verschleppt. Erst zwei Jahre später erfährt die Familie, dass er in ein sibirisches Arbeitslager gezwungen wurde. 1955 kommt der Vater aus dem Gulag frei, und die Familie ist seither eine Zelle anti-kommunistischen Widerstands in der DDR.

Joachim Gauck entstammt also einer stählernen, dunklen, verwundeten Zeit. Seine Grunderfahrungen sind nicht läppisch, sonnig und diffus, sondern dramatisch und entschieden. Für Indifferenz war kein Raum, Haltung und Autonomie wurden zur Signatur seines Lebens. Schon früh in seinem Leben ging es um die Entscheidung, was einem heilig ist. Die Freiheitsidee und der christliche Glaube zum Beispiel. Und was man für unheilig ansieht – die DDR vor allem. Gauck wird Pastor, Bürgerrechtler, Chef der Stasi-Unterlagenbehörde und schließlich Bundespräsident des demokratischen und wiedervereinigten Deutschlands. Ein Leben wie in schlechten Romanen – so unwahrscheinlich und zwingend zugleich.

Seine Beliebtheit basiert auf Integrität

Ein Leisetreter ist er nie geworden. Ein autonomer Kopf, ein Freiheitsfreund und Klartexter ist er geblieben. Für einen Bundespräsidenten schien Joachim Gauck daher eigentlich als glatte Fehlbesetzung. Ihm fehlt das Daunenweiche, Fahnenhafte, Opportunistische, das Staffagenhafte der Präsidentenrolle. Er hingegen eckt an und regt auf. Seine Beliebtheit basiert nicht auf wohl inszenierter politischer Korrektheit, sie basiert auf persönlicher Integrität. Und auf seiner Art zu reden.

Die Macht eines Bundespräsidenten liegt seit jeher in seinem gesprochenen Wort – doch selten ist dieses informelle Gestaltungsmittel unserer Demokratie so präzise eingesetzt worden wie bei Gauck. Er nutzt sein Rederecht nicht bloß, um präsidiale Plattitüden abzusondern. Er redet vielmehr genau dort, wo andere schweigen. Wenn früher das Ungesagte eines Bundespräsidenten das Interessante war, so ist bei Gauck das Gesagte das Eigentliche, zuweilen sogar der Tabu-Bruch. Einmal bekommt Chinas Staatschef einen kleinen Nachhilfekurs in Sachen Menschenrechten. Dann liest er einem Putin eine Strafpredigt wie einem Brandstifter, der gerade Nachbars Scheunen anzündet. Und auch der türkische Staatspräsident muss sich von Gauck aufs Sünder-Bänkchen der Halbdespoten setzen lassen. Gauck überschreitet mit vielen seiner Interventionen diplomatische Gepflogenheiten des Still-Sprechs. Und so schrammt er zuweilen haarscharf an handfesten Eklats vorbei.

Doch gerade das macht ihn stark. Dass er in Zeiten unechten Redens und einer politischen Überkorrektheit die Fenster der freien Debatte aufreißt und den Wind der echten Überzeugungen herein lässt. Still-Sprech würde den Verrat seiner politischer Integrität voraussetzen. Insbesondere wenn um die DDR geht. So liest er kurz vor der Regierungsbildung in Thüringen und entgegen innenpolitischer Gepflogenheiten der Linkspartei die Leviten, weil die ihre SED-Vergangenheit verniedlicht und die DDR nur widerwillig als das ansieht, was sie war: ein Unrechtsstaat.

Für Gauck ist die Linkspartei eine umbenannte SED

Wer wüsste das besser als gerade er, der DDR-Bürgerrechtler und Spezialist für die Abgründe des Politischen. Als Chef der Stasi-Unterlagenbehörde bekam er auch nach 1989 noch tausendfach tiefen Einblick in das Grauen der SED-Diktatur. Für ihn ist die Linkspartei eben nicht irgendein Verein engagierter Linker, es ist die umbenannte SED. Und wenn in deren Thüringer Fraktion entlarvte Stasi-Spitzel noch heute führend aktiv sind, dann sagt er, was für einen Bundespräsidenten nicht opportun ist zu sagen – dass sie besser nicht mehr regieren sollten in Deutschland.

Doch gerade weil er es tut, furchtlos und formbrechend, verschafft er seiner Präsidentschaft besondere Autorität. Gerade weil er zu seinen Werten steht und vor lauter Gefälligkeiten nicht taumelt, sondern da steht wie ein unbequemer, eckiger Wohnzimmerschrank, wird er weithin respektiert. Gerade weil er einen moralischen Schritt hinaus aus dem diplomatisch-politischen Menuett wagt in die Taktlosigkeit einer Überzeugung, wird er vom Präsidentendarsteller zum echten Präsidenten. In der Reihe der Bundespräsidenten ist er ein Solitär – kein dekorativer wie Walter Scheel oder Karl Carstens oder Johannes Rau. Auch kein berechenbarer wie Roman Herzog oder Horst Köhler.

Er interpretiert das Amt politischer als viele zuvor. Was ihm dabei hilft: Er ist ein großer Prediger, ein Meister von Pause und sonorem Pathos. Seine Reden – der pastorale Ton ist wie gemacht fürs Amt – fühlen sich an wie Hochämter der Debattenrepublik. Er hat dem Amt das zurück gegeben, was es dringend brauchte: Würde und Respekt. Nach den dramatisch gescheiterten Präsidentschaften Köhler und Wulff ist das schon viel. Mit seiner Deutungsmacht und Autorität knüpft er an die Präsidentschaft Richard von Weizsäckers an, ohne freilich dessen aristokratische Näselei und Kanzlerabneigung zu benötigen.

Und immer wenn man denkt, jetzt ist er doch ins präsidial abgeschliffene Establishment eingereiht, langt der Freidenker wieder zu. So wie bei seiner – völlig unpopulären – Redemahnung, dass der Sozialstaat zu viele Menschen in Passivität dränge und zu Abhängigen von Staatsgnaden mache. Dass Deutschland weniger Staat und mehr Wettbewerb brauche. “Ungerechtigkeit gedeiht nämlich gerade dort, wo Wettbewerb eingeschränkt wird, durch Protektionismus, Korruption oder staatlich verfügte Rücksichtnahme auf Einzelinteressen.” Dann ruft er auch noch Hartz-IV-Empfängern die fordernde, unbequeme Wahrheit zu: “Ohnmacht kommt auch von innen.” Applaus kann er da nur vom Mini-Freundeskreis der letzten drei Neoliberalen in Deutschland erwarten. Er sagt es dennoch, weil er geistig autonom ist – eine seltene Begabung im politischen Berlin.

Zuerst erschienen auf The European hier.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Walter Ernestus / 08.06.2016

Auch ich dachte es, hier schreibt einer eine Satire, nicht im Böhmermann-Stil, sondern eher gemäßigt.  Da ich in vielen Dingen anderer Meinung bin, wie der Herr Pastor - äh Bundespräsident -gehöre ich also zum dunklen Deutschland. Ich muss mir das sagen lassen,  von einem Mann der sich viele Jahre im dunkelroten Deutschland weggeduckt hat, um zum richtigen Zeitpunkt wieder als Bürgerrechtler aufzutauchen, und zu moralisieren. Ihn aber noch zu erhöhen und in den Präsidentenhimmel zu heben, das zeugt von politischer Unkenntnis über die Aufgaben eines Präsidenten. Nicht Teilung ist im GG vorgesehen, sondern Verständigung. Dies hat Gauck überhaupt verstanden.

Carl Schurz / 08.06.2016

Und ich muss an einen Artikel auf der Achse denke, der vor ca. 4 Jahren erschien. Dort wurde u. a. der Verdacht geäußert, dass der Bürgerrechtler Gauck eher dem DDR System zugeneigt war, u. U. sogar als Spitzel der Stasi. Da nicht alle Stasi Unterlagen mehr vorliegen, werden wir es nie erfahren. Insofern bekommt aber die Gauck- Behörde einen etwas anderen Anstrich, wenn der o. g. Verdacht richtig wäre.  Was mich stutzig machte waren die Gegensätze zwischen seinen Aussagen vor der dem Amt des Grüßaugust und während seiner Amtszeit. Da sind schon einige Brüche drin. Vermutlich handelt es bei Gauck um einen rhetorisch talentierten Opportunisten mit einem Gespür zur richtigen Zeit am richtigen Ort das Anschmiegsamste zu sagen. Als die politisch korrekte Volksseele wegen NSA überkochte wunderte mich das Ausspionieren der USA in D nicht. Ein Kanzler und ein Präsidentenamt von ehemaligen sozialistisch sozialisierten Ostdeutschen besetzt. Die BRD war damals auch nicht sofort ohne Nazis, aber es wurde schon kritisch hingesehen. Im Ostteil gab es keine Nazis. Die wurden nur rot lackiert und die Uniformen verrieten wessen Geistes Kind sie waren.

Wolf-Dieter Schleuning / 08.06.2016

Herrn Damaskinos kann man nur zustimmen. Ein Staatsoberhaupt, das sein eigenes Volk beschimpft und beleidigt und in Hell und Dunkel spaltet, ist eine absolute Fehlbesetzung.

Barbara Meinhold / 08.06.2016

Schlimmer konnte man Herrn von Weizäcker posthum nicht beleidigen!!!

Dieter Zorn / 08.06.2016

Auch ich dachte an Satire, aber nein das ist ernst gemeint. Gauck der Kommunistenfresser, der beste Präsident seit Weizäcker. Gauck der Schwarz-Weiß-Denker, der die Gräben zwischen Ost- und Westdeutschland wieder aufreißt. Gauck, der kein Gespür für das soziale Auseinanderdriften der Gesellschaft hat, weil er die “Freiheit” geradezu infantil anhimmelt. Gauck, der Amerika-Idealisierer, der die Schattenseiten des Westens nicht sehen will. Gauck, der unechte Freiheitskämpfer aus DDR-Zeiten. Gauck, der Pastor, der in wilder Ehe lebt. Gauck, der im Wolkenkuckucksheim seiner eigenen Freiheitsphilosophie und seiner Familiengeschichte lebt. Der beste Präsident seit Weizäcker.  Realsatire, was sonst?

Andreas Horn / 08.06.2016

Sie scheinen ja ein ganz famouser Gauckkenner zu sein! Ihnen kann nur bewußt sein, über wen Sie da schreiben und offensichtlich sind Sie ein Verehrer. Der Mann ist allerdings gerissener als Sie. Er riecht den Braten, den er mit Frau Merkel angesetzt hat und verzichtet deshalb auf seine zweite Amtszeit! Denn alles kann seine Eitelkeit und Verlogenheit ertragen, nur aus einem Amt gejagt möchte er nicht.

Geert Aufderhaydn / 08.06.2016

Es kann nur 2 Gaucks geben: den einen, den Sie, Herr Weimer auf eine degoutante Art über den Grünen Klee loben und den, der in Indien aufforderte, uns massenhaft heimzusuchen. Über das Deutschland, über das er sich gerade vor ein paar Tagen durchrang, zu sagen “... die Aufnahmekapazitäten sind begrenzt” äusserte er dort vor einigen Monaten leichthin: “es ist noch viel Platz”. Weitere Hinweise auf die Objektivationen dieses unfähigen Präsidenten von Merkels Gnaden haben mir bereits die Vorkommentatoren abgenommen; mir hat es bei Ihrer kritiklosen Lobhudelei ebenso die Sprache verschlagen wie bei Gaucks Entgleisungen. Für wie dumm halten Sie uns eigentlich, Herr Weimer?

Tobias Reichert / 08.06.2016

Der beste Nachruf auf den scheidenden BP las ich neulich auf der WELT, der trotz einigen Lobes deutlich macht, warum oder inwiefern Gauck überschätzt wurde und jetzt tatsächlich besser abtritt. Er hätte durchaus Potenzial zu einem couragierten, an Freiheit und Menschenwürde ausgerichteten Bürgerpräsident gehabt. Zu den drängenden Fragen der Zeit (Einwanderung, Islam, Radikalisierung, Spaltung der Gesellschaft) hat er keine Worte gefunden. Chance vertan, leben Sie wohl., Herr Gauck.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com