Hubert Geißler, Gastautor / 17.07.2022 / 16:00 / Foto: Marc Remus / 21 / Seite ausdrucken

Ein Land im Totentanz

Dieser Tage könnte man einen gesellschaftlichen Todestrieb konstatieren. Im späten Mittelalter gab es den Bildtypus der Totentänze: Geführt von Hein, taumelten vom Kaiser bis zum Bettelmann alle Richtung Abgrund.

Dass die Grabenkämpfe der letzten Jahre zwischen Impfgläubigen und Coronaleugnern geradezu religiöse Züge angenommen haben, scheint überdeutlich. Der kleine Piks wurde zur Kommunion der Rechtschaffenen verklärt, die, die ihn verweigerten, galten als Schädlinge am Volkskörper, als egoistische Gefährder ihrer Mitmenschen. Auch das Motiv, sich impfen zu lassen, ist letztlich ein religiöses: schlicht und ergreifend Todesangst, ausgelöst durch die am Anfang der Epidemie kolportierten Horrorzahlen.

Die Maske war das Zeichen der Rechtgläubigen, Zwangsbekehrungen durch Strafgelder und Repressalien mit eingeschlossen. Umso verständlicher ist nun das allgegenwärtige Festklammern am Impfnarrativ: Schützt es doch offensichtlich nicht vor dem Bösen, so mildert es doch angeblich den Verlauf: Die Ähnlichkeit zum Ablass der frühen Neuzeit ist unübersehbar. Im Fegefeuer schmoren müssen so ziemlich alle, aber die Zeit kann verkürzt werden. Das ist doch schon etwas.

Dagegen halten die Dissidenten eher vergeblich, aber penetrant; würde man aber denen glauben, dann müsste man sich ja eingestehen, dass man sich selbst in Gefahr gebracht hat. Wer will das schon, und schon gar die Vertreter der „Wissenschaft“ und ihrer politischen Vollstrecker können vom rechten Weg keinen Deut abweichen. Für die Ungläubigen stellt sich diese Wissenschaft infrage: Dem Mangel an Daten auf der einen Seite steht eine Überfülle an möglichen Nebenwirkungen dieser Communio gegenüber, die für die Gläubigen furchteinflößend sein muss. Also wird der Zweifel unterdrückt und das Denken eingestellt. Die Kardinäle des Staates und der Pharmaindustrie dürfen nicht unrecht haben.

Aber Corona ist ja gewissermaßen „out“, zumindest momentan. Die neue Katastrophe ist die Energiesicherheit, oder besser gesagt die fehlende. War Gas noch vor wenigen Monaten die Brückentechnologie in ein neues Ökotopia, ein vom Winde bewegtes Paradies, so werden jetzt die ersten Wärmestuben errichtet; der Streit, ob nun die Produktion oder die Privathaushalte zuerst abgeschaltet werden sollen, fängt an, und Habeck beschwört die solidarische Verteilung der nicht vorhandenen Ressourcen in Westeuropa. Man darf gespannt sein, ob das so harmonisch klappt wie die konzertierte Aktion gegen Corona.

Eine gewisse Scheinheiligkeit

Gerade Herr Habeck wird gelegentlich apokalyptisch in seinen Vorhersagen, was ihm nicht schadet, kann er sich doch zumindest als Verdienst anrechnen, ehrlich zu sein. Von anderen Politikern hört man wenig, höchstens von wirtschaftsnahen Kreisen, wie dem BASF-Chef: Uns droht nicht weniger als ein Zusammenbruch wichtiger Produktionszweige mit schwer kalkulierbaren Folgen, damit auch ein Zusammenbruch des Sozialsystems, von der prekären Situation des Gesundheitswesens mal abgesehen. Wenn es kälter wird und man sitzt in der eisigen Wohnung, könnte das der Gesundheit nicht förderlich sein.

Was die Grünen und ihre Exponenten vergessen, ist ihre ideologische Verantwortung für die gegenwärtige Misere. Gasterminals wurden nicht gebaut, Atomkraftwerke gesprengt oder abschaltet, Zechen zubetoniert. Dabei fehlt es für das Windparadies an allem: Arbeitskräften, Grundstoffen und wer weiß was noch. Frackinggas ist o.k., nur nicht hier. Atomenergie soll bitte importiert werden, aber keinesfalls hier produziert. Man könnte eine gewisse Scheinheiligkeit konstatieren.

Schuldige werden auch schon benannt: Die kürzlich noch sakrosankte Kanzlerin kommt zunehmend ins Schussfeld, und für Schröder wird schon der Scheiterhaufen in Hannover am Maschsee aufgeschichtet: Er ist nach wie vor der Meinung, man müsste mit den Russen reden. 

Die Bauernkriege haben schon wieder begonnen

In jedem religiösen System gibt es natürlich einen Vertreter des absolut Bösen, einen Diabolus oder Satanas, und diese Rolle spielt Putin. Wird er Nordstream nach der Reparatur wieder aufdrehen? Ehrlich gesagt, ich weiß das auch nicht. Ich kann nur auf die kognitive Dissonanz hinweisen, mit der Putin in der Presse einerseits als kranke Inkarnation dämonischer Mächte hingestellt wird, von dem man aber andererseits vertragstreue Lieferung von Energie erwartet. Westeuropa ist doch längst Kriegspartei, da helfen auch Mätzchen wie Waffenlieferungen über die Bande nichts. Das ist das eine, das andere ist die offensichtliche Tatsache, dass ohne Russengas die nächsten Jahre bitter werden.

Unsere Politiker scheinen sich paralysiert in die Sommerpause zu verabschieden. Was noch bleibt, ist eine Art von Cargo-Kult. Ein Schiff wird kommen und das eine bringen, das Öl und Gas: Nur dass es offensichtlich auch an Schiffen fehlt.Mir persönlich wird durchaus angst und bange.

Man könnte einen gesellschaftlichen Todestrieb konstatieren. Im späten Mittelalter gab es den Bildtypus der Totentänze: Geführt von Hein, taumelten vom Kaiser bis zum Bettelmann alle Richtung Abgrund. Man fühlt sich manchmal fünfhundert Jahre in die Zeit der Reformation zurückversetzt. Apropos: Die Bauernkriege haben schon wieder begonnen. In den Niederlanden.

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Leserpost

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Hans-Peter Dollhopf / 17.07.2022

Johannes Schuster: “im Berg ist Sturzmasse !” - - - So wie: “Das Netz ist der Speicher” und: “das ist alles ausgerechnet”.

Inra von Wangenheim / 17.07.2022

Die Schwarzhaarige mit die Blümekens Uffm Zopp links soll wohl Nina Hagen sein. Dis hat aba unsere Nina nich verdient. Die ist zwar ein bisschen meschugge aber süß!

Jürgen Fischer / 17.07.2022

@Sabine Heinrich, die Dame links ist Nina Hagen. Die vermeintliche Gretel ist mit „The Bird Seller“ betitelt; die Ähnlichkeit ist vielleicht zufällig, möglicherweise aber auch von ihr inspiriert; schließlich piept’s bei ihr ja. Dass Merkel geradezu der Prototyp einer Catrina - also der Skelettfrauen, die in Mexico zum Tag der Toten aufmarschieren - ist, liegt auf der Hand. Mehr Informationen finden Sie auf depunktmarcremuspunktcomschrägstrichdayofdead.

Gerhard Schweickhardt / 17.07.2022

Ach liebe Kommentatoren, man kann sich ja über den Zustand unseres Landes lustig machen und Satire und Ironie zum Besten geben. Wir sehen die Tragödie doch seit Jahren wachsen. Wir sehen doch die morbide Gesellschaft in Allem, Schulsystem, Brücken, Schienen, Wirtschaft. Die ungebildeten und mit Angstphobien behaftete Jugend kann gar nicht anders, als so früh in den Tod zu tanzen. Ignorant gegen technische und ökonomische Zwänge. Traurig.

Hans Reinhardt / 17.07.2022

“It takes two to tango!” Das gilt auch für den Totentanz. Michel und Micheline haben eine Todesangst davor als Mauerblümchen sitzen zu bleiben und so werfen sie sich für den dance macabre dem irren Gigolo Karl an den Hals und für den valse triste betritt gerade der schmierige Eintänzer Habeck die Tanzfläche. Nach dem last dance im Winter wird es keinen Tanz in den Frühling mehr geben, der Rest ist Schweigen.

Carsten Bertram / 17.07.2022

Die nächsten Jahre ohne Russengas werden unsere politischen Eliten nicht überleben, da bin ich sicher. Alle ihre überheblichen Entscheidungen und Sprüche werden sie einholen. Besser die packen schon Mal ihre Wohnmobile um noch rechtzeitig durchzustarten, wenn das Volk zündet. Oder den Winter gleich außerhalb Deutschlands verbringen, könnte auch hilfreich sein. Ja wir befinden uns bereits im Krieg, das sehe ich genauso. Und die haben uns da rein gezogen. Aber wenn man in den Krieg zieht, sollte man einen Plan haben, wie man gewinnen kann.

Johannes Schuster / 17.07.2022

Wenn alle Landwirte in der EU das Korn unterpflügen dauert der Zinnober nicht mehr so lange, dann reicht der Winter und dann urteilt der Hunger, dann richtet das Volk. Wenn die Bauern die Nahrung verbrennen als Waffe gegen die Herrschaft, dann werden wir innert von nicht 6 Wochen in den 30 - jährigen Krieg zurückfallen. Liebe Leute, im Berg ist Sturzmasse !

Rudi Hoffmann / 17.07.2022

Tip an Alle !  Hüllt Euch in weiße Laken und geht   laaaangsaaam Richtung Friedhof !  Warum laaaangsaaam ? ? Um Panik zu vermeiden .

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