Ein Kreuz zur Verschönerung der Kapitulation

 „Da war die Welt noch in Ordnung.“ Durch welches Datum könnte man mit deutlicher Konsensmehrheit ein solches unbestimmtes „Da“ ersetzen? Immer, wenn diese Frage steht, liegt das Datum natürlich ein Stück vor der Gegenwart. Wäre die „Welt noch in Ordnung“, ließe sich an schönen Frühlingstagen gedankenunschwer Unfug treiben, und die Probleme beschränkten sich auf soeben ausverkauftes Schokoeis oder – etwas unangenehmer – das Ausweichen vor diesen widerlichen Heuschnupfpollen. „Widerlich“ ist im übrigen ein Lieblingswort unseres neuen Bundesaußenministers. Aber das wäre eine andere Spielwiese. Auch voller reizender Pollen.

Da der Mensch immer unzufrieden ist (böse Zungen behaupten, ansonsten wäre er tot, also ist der Meckerzustand vielleicht doch vorzuziehen), ergibt sich mitunter, wenn der Gegenwartsblick einen retrospektiven Ausflug unternimmt, besagte Feststellung  „da war die Welt noch in Ordnung.“

In puncto Ineinandergreifen war die Sache mit Staat und Kirche respektive Religion nach dem Rückzug der deutschen Fürstlichkeiten im Jahr 1918 zwar nie zu jedermanns hundertprozentiger Zufriedenheit gelöst, aber doch eigentlich in der Weimarer Reichsverfassung vom August 1919 ganz gut geregelt: ein weltanschaulich neutraler Staat und sich frei entfaltende Religionsgemeinschaften. Diese Verfassung war insgesamt jedoch nicht so recht nach dem Geschmack aller. Kommunisten und nationale Sozialisten beispielsweise verfolgten andere Ideen. Der durch sie avisierte Segen für die Menschheit blieb bekanntlich aus.

Viel Glaube ist wieder in der Politik

Im August 1948 gebaren einige Väter (Mütter waren nicht geladen, warum auch immer) im beschaulichen Schloss Herrenchiemsee weitgehend den Text, der später als Grundgesetz bekannt werden sollte. Seit 1990 ist dieses mit dem Beitritt der DDR unter unveränderter Bezeichnung im gesamten heutigen deutschen Staatsgebiet gültig. In der Staats-Kirchen-Angelegenheit hatte die Weimarer Republik, in der bei weitem nicht alles schlecht war, offenbar stark überzeugt. Grundgesetz-Artikel 140 erklärt lapidar, dass die diesbezüglichen Weimarer Verfassungsartikel 136 bis 139 sowie 141 schlichtweg in Kraft bleiben. Geknirscht hat es in der einen oder anderen Diskussion in der guten alten Adenauer-Ära durchaus noch ein wenig, ansonsten war das Thema nicht gerade ein Auflagen- oder Einschaltquotengarant.

Das war die Welt, die – eigentlich, Gemecker gibt es immer, siehe oben – ganz in Ordnung war. Wann gerät das alles ins Wanken? Als ein Bundespräsident 2010 apodiktischen Unfug redet und erklärt, der Islam gehöre zu Deutschland? Als eine Bundeskanzlerin dies wiederholt? Als ein pensionierter bayerischer Ministerpräsident und Trostpreisträger der Ministerialtombola (das Innenressort entfiel auf ihn) in ähnlich intellektueller Tiefenschärfe verkündet, der Islam tue eben das nicht? Erstaunlich viel Glaube ist da wieder in der Politik. Und das ist noch gar nicht so lange der Fall.

Und es wird immer verrückter. Plötzlich kommt eine weitere Religion ins Spiel. Markus Söder, politischer Erbe des Trostpreisträgers im Land König Ludwigs II. (siehe in gewisser Weise auch hier: „gute alte Zeit“) ließ unlängst verlauten, das Kreuz gehöre zu den „Grundfesten des Staates“. Von kulturellen, gesellschaftlichen und immateriellen Werten ist da die Rede, von „ideellem Wurzelgeflecht“. Die „christlich-abendländische Idee, geprägt von jüdischen und humanistischen Wurzeln“ – im zweiten Teil hinkt das mit dem Kreuz ein wenig, aber gut –  kommt zur Sprache. „Toleranz, Nächstenliebe, Respekt, Menschenwürde für den Einzelnen“ basierten auf diesem Symbol. Gar identitätsstiftend sei das Kreuz. Söder äußert eine Abfolge von baren Selbstverständlichkeiten, auf denen die Gesellschaft der Bundesrepublik fußt, unabhängig davon, ob der Einzelne Zugang zur Religion hat oder nicht. Das heißt, als die Welt noch in Ordnung war, waren das bare Selbstverständlichkeiten. Einst soll es sogar Prüfungen gegeben haben, in denen „Phrasendrescherei“ als Durchfallgrund galt.

Das Markieren eines aufgegebenen Reviers

Das Vorhaben, in staatlichen Behörden in Bayern anzuordnen, ab Juni ein Kreuz aufzuhängen, zeigt, dass es mit der inneren Festigkeit der verbal abgespulten Überzeugungen nicht ganz so weit her sein kann. Die Dinge, die nach Söders Worten damit ausgedrückt werden sollen, stehen doch überhaupt nicht in Frage. Oder doch? In der hier vorgesehenen Form gleicht das Ganze der Markierung eines Reviers, aus dem man sich – natürlich unter lautem Protest – gerade zurückzieht. Eine Kapitulation, deren psychische Verarbeitung durch selbstgewählte, aufhübschende Optik leichter zu bewältigen ist. Von der völlig unnötig gebotenen Angriffsfläche durch das gegenständlich aufgehängte Kreuz ganz zu schweigen.

Aber die Geschichte geht noch ein Stück weiter. Die Welt ist nicht nur in Unordnung, sie steht Kopf. Mit Blick auf Söders Kritiker möchte man ihm (menschlicher Zug, wenn auch irrational) bereits wieder zur Seite springen. Wolfgang Thierse, ehemaliger und aktiver Funktionär (Bundestag, Zentralkomitee der deutschen Katholiken) hält nichts vom Behörden-Kreuz, mit der Begründung, der Staat sei „offen für alle Bekenntnisse“. Alle. Man verinnerliche das kurz.

Vom neuen bayerischen Regierungschef auf die Füße getreten fühlt sich auch dessen Münchener Nachbar, Reinhard Kardinal Marx. Da hat der seinerzeit beim Besuch des Jerusalemer Tempelbergs einmal kurz das Amtskreuz vergessen, kann ja passieren, und schon fühlt sich jemand bemüßigt, es an sich zu nehmen. „Nicht verstanden“ und im „Namen des Staates enteignet“ habe dieser Söder nun das Kreuz. Da kennt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz nichts, jetzt will er es aber zurück! Dann kann er nämlich außer Christen „auch Juden, Muslime und Atheisten“ in die Debatte über die „heutige Bedeutung“ des Kreuzes einbeziehen. Auch das verinnerliche man, vielleicht auch ein wenig länger.

Als die Welt noch in Ordnung war, war alles dort, wo es hingehörte (Kreuze, tägliches Leben, Grundgesetz) Ohne Selbstvergewisserungspeinlichkeiten. War doch eigentlich ganz gut, oder?

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Leserpost

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Lutz Muelbredt / 01.05.2018

Ich sehe das etwas anders. Mein Bruder und ich naschten als Kinder unserer Mutter beim Backen immer die frischen Zuckerkrümel weg. Sie fand das nicht lustig und es gab “Ausschimpfe”. Ok dachten wir, machen wir uns eine Schüssel selber mit Zuckerkrümel ganz für uns allein. Nach dem “Genuß” war uns speiübel und wir rührten das Zeug nie wieder ohne dazugehörigen Kuchen an. Was das mit dem Kreuz zu tun hat? Ein Überangebot kann nach hinten losgehen und den Grad der Verdaulichkeit überschreiten. Söder, am Ende ein Anti-Kreuzritter? Das Deutsche Rote Kreuz heißt jetzt auch Deutsches Rotes Team. Es ist schon ein Kreuz mit dem Kreuz.

Bernhard Maxara / 01.05.2018

Bereits vor zwanzig Jahren warnte ein sehr säkularer Sprecher der österreichischen Muslime davor, dem Islam politisch das Christentum entgegenzusetzen, da dies in der Folge nur Forderungen seitens des Islam nach Gleichbehandlung mit den christlichen Organisationen nach sich zöge, d.h. beispielsweise Konkordate wie mit den Kirchen. Vielleicht befürchten klerikale Kritiker Söders genau dies, was bei fortgesetzter Zuwanderung ohnehin zu erwarten ist. Söders gewiß auf blanker Naivität beruhender Vorstoß rückt ungewollt die glücklich überwundene Dichtomie Kirche und Staat wieder in gedankliche Nähe, eine unsägliche Eselei!

Dirk Jungnickel / 01.05.2018

Zunächst vielen Dank für den erfrischenden Beitrag.  Interessant wie sich hier Christen, Atheisten und Antichristen ins Zeug legen. (  Herr Nicolaisen fällt mit seiner Beelzebub - Hypothese besonders unangenehm auf ! )  Söders Begründungen in Sachen Kreuz sollte man allerdings wegen der Selbstverständlichkeiten nicht gleich unter Phrasendrescherei subsumieren. Gerade diese Selbstverständlichkeiten -  die Europäischen Wurzeln betreffend - geraten ja zunehmend aus dem Blick,  wenn nicht in Vergessenheit. Wenn auch Söder die Bedeutung des Kreuzes für meinen Geschmack zu weit fast. Es ist und bleibt in allererster Linie das Symbol der Auferstehung und Überwindung des Todes, auf diesen Glauben gründet sich das Christentum. Da dieses aus mehreren Gründen - die Islam - Invasion ist nur einer - ins Wanken gerät, sollten wir alles begrüßen, was zur Stabilisierung desselben beiträgt und Bischof Marx außen vor lassen, der ja ohnehin mit dem Kreuz Probleme hat(te). Besser wäre vielleicht eine Aufforderung statt einer Verfügung gewesen. Gut jedenfalls ist die neue Debatte auf jeden Fall.  Sie möge hoffentlich zur Klärung beitragen und die Anti - Christen zum Schweigen bringen.

Sabine Schönfelder / 01.05.2018

Bedford-Strohm und Marx legen auf dem Tempelberg nach Aufforderung eines Scheichs ihre Kreuze ab. Merkel weigerte sich nach einen Wahlsieg die ihr von Rühe dargebotene Deutschlandfahne anzunehmen ( mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck).  Ein Kreuz, das Symbol für den für uns Christen gestorbenen Sohn Gottes, soll laut unserer beiden höchsten christlichen Amtsträger in Deutschland nicht in bayrischen Amtsstuben hängen dürfen. Aus appeasementpolitischen Gründen, aufgrund der political correctness, wegen der Speichelspur zweier Herren, die die Herrschaft über die moralische Hoheit nicht ungeschlagen der Politikkaste überlassen wollen? Was ist das Ziel? Deutschland, ein Land ohne Identität und religiöser Prägung? Offen und prägsam für alle Menschen auf der Welt, die in diesem Landstrich leben wollen? Schaue ich mich um so denke ich- es hat bereits begonnen.

K.Kageneck / 01.05.2018

Ich halte Herrn Söders Kreuzaktion für eine wichtige symbolische Aktion, denn wir werden heute täglich von den Symbolen einer einzigen fremden Religion bedrängt, genötigt und in überflüssige zeitraubende Diskussionen verwickelt. Es sind Revierkämpfe auf symbolischer Ebene.  Als Kosmopolitin kenne und schätze ich andere Länder mit ihren religionsspezifischen Symbolen, so findet man in Indien überall Hindu Tempel und Skulpturen hinduistischer Gottheiten, im buddhistischen Asien die Buddha-Statuen in klein und groß, in islamischen Ländern die Moscheen und Halbmonde und in christlichen Ländern eben die Kreuze. Ich möchte diese Eigenarten nirgendwo missen, denn sie machen die Welt bunt und vielfältig. Leider gibt es immer weniger Orte, wo diese Symbole heute friedlich nebeneinander existieren, ohne dass der Unterwerfungswütige versucht, sie zu eliminieren und seine Symbole an deren Stelle zu setzen. Wer da nachgibt, ist ein Verräter und Zerstörer der ureigenen Kultur .... und vielleicht sogar der Sargnagel für all jene, die das heute nicht erkennen.

Helmut Driesel / 01.05.2018

Wir werden sehen, ob es ein Zeugnis der Ratlosigkeit ist. Sozusagen das Pfeifen im säkularen Walde. Eventuell der erste Akt des großen Versagens der alten Methoden.

Hubert Bauer / 01.05.2018

Vielleicht will Markus Söder auch einfach nur vom neuen Bayrischen Polizeiaufgabengesetz ablenken, das viel mehr Auswirkungen auf die bayrischen Bürger hat als Kreuze im Eingangsbereich von Behörden. Eigentlich wäre es ja Aufgabe der Opposition auf dieses weitreichende Gesetz und dessen Auswirkungen hinzuweisen. Aber die hat gerade einen Untersuchungsausschuss eingerichtet zu einem Verkauf von Staatswohnungen, der fünf (!) Jahre zurückliegt. Die CSU mag in Bayern als Regierungspartei alternativlos sein. Zu den (bisherigen) Oppositionsparteien gibt es aber sicherlich eine bessere Alternative.

Simone Robertson / 01.05.2018

Ich bin Atheist aber da unser Rechtssystem und unsere europäischen Moralvorstellungen auf christlicher Kultur basieren und das Christentum die notwendigen Reformen schon hinter sich hat und heutzutage niemanden mehr bedrängt und schikaniert, könnte ich auch mit einem Kreuz im Gerichtssaal oder in der Schule leben. Dennoch halte ich Herrn Söders Idee für falsch. Es öffnet nämlich, aufgrund unserer nicht klar definierten Religionsfreiheit und dem Gleichbehandlungsgrundsatz, auch anderen Religionen Tür und Tor, ihre Symbole aufzuhängen und zu tragen. Darum halte ich es für das beste, ALLE religiösen/kulturellen Symbole und Kleidungsstücke in allen öffentlichen Gebäuden zu verbieten. So wird niemand bevorzugt und niemand kann sich auf “Diskriminierung” berufen. Anders werden wir den ausufernden Forderungen im Rahmen der falsch verstandenen Religionsfreiheit nicht Herr werden.

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