Kristina Klug (Gastautor) / 08.02.2007 / 21:27 / 0 / Seite ausdrucken

Ein Königreich für eine Fahrkarte!

Die chinesische Bahn unterscheidet sich in einigen Punkten von der DB,
vor allem bei der Pünktlichkeit (nach 4000km nur eine Stunde
Verspätung) und darin, dass man Fahrkarten nur am Ausgangsort der Reise kaufen
kann. Weswegen ich mich schon vor meiner Ankuft in Ürümqi darum
bemühte, eine Rückfahrkarte nach Shanghai besorgen zu lassen.
Nun scheint aber diese Stadt die einzige in China zu sein, wo
Kartenvorbestellungen über eine Agentur nicht möglich sind. Heisst für mich,
selbst zum Bahnhof gehen und das Ticket kaufen, und zwar frühestens 7
Tage vor Beginn der Fahrt. Wäre auch kein Problem, wenn nicht das
Frühlingsfest nahen würde.
Das Frühlingsfest bzw. chinesische Neujahr entspricht in seiner
Wichtigkeit z.B. unserem Weihnachten - es ist das Familienfest schlechthin.
Und so hat man das Gefühl, dass die Bevölkerung ein
Bäumchen-wechsel-dich von einer Provinz in die nächste spielt, alle Studenten fahren
nach Hause, die Wanderarbeiter, Angestellte aus den Städten und
dazwischen ich. Und alle wollen natürlich eine Fahrkarte möglichst im
Schlafwagen, wer will schon 48 Stunden nur sitzen?
So geht am 31.Jan. Gülmira früh um kurz vor sechs für mich zum
Ticketschalter, um das Ticket für den 6. oder 7.Feb. zu kaufen, ich muss
aus verschiedenen Gründen spätestens am 9.Feb. wieder in Shanghai sein.
Sie kommt wieder und hat drei wichtige Informationen: der Kartenverkauf
läuft seit 2 Tagen, alle Karten, auch die Sitzplätze, sind
schon ausverkauft, ich soll mir mal keine Sorgen machen.
Aha. Warum nicht? - Das übliche: mein uigurischer “Papa” kennt da
jemanden, dessen Onkel oder Bruder oder wer auch immer Kontakt zum
Schwarzmarkt für Zugfahrkarten hat. Gut, in 2 Tagen können wir die Karte
bekommen, erfahre ich.
Fantastisch, ich fahre also in den Tianshan. Unterwegs erkundige ich
mich nach dem Stand der Dinge, immer die gleiche Antwort: Noch nicht,
mach dir keine Sorgen. Keine Sorgen nach 2, nach 3, nach 4 Tagen. Morgen
bekommen wir die Karte bestimmt.
Dann bin ich wieder in Ürümqi, es ist der 5. Feb. morgens und ich
erhalte neben einem ausgezeichneten Frühstück gleich noch die Info, dass
Papa schon wieder in Sachen Ticket unterwegs ist. Heute bestimmt!
Naja, jetzt leider nicht, aber am Nachmittag. Ich mach mir keine
Sorgen, überschlage im Geist allerdings schon mal die Kosten für ein
Flugticket. Am späten Nachmittag dann die Mitteilung, morgen früh um 11
Uhr, ganz sicher, keine Sorgen! Die Abfahrtszeit ist um 13 Uhr, der
Bahnhof schliesst 30 Minuten vorher - genug Zeit! Nein, ich mache mir noch
immer keine Sorgen, buche aber ein Flugticket für den vierfachen Preis
der Bahnfahrt.
Aber - es ist unglaublich, schon früh um 9 habe ich mein Zugticket
dann in der Hand, ein Platz ganz oben mit weniger als einem Meter zwischen
Bett und Waggondecke, aber ein Bett! Und nur 200RMB
Schwarzmarktaufschlag. Also Flugticket wieder abbestellt, von all den lieben Menschen
verabschiedet, die mich so wunderbar aufgenommen haben und auf Richtung
Osten, 2 Tage lang.
Das herausragendste Ereignis im Zug ist der morgendliche Frühsport -
die Schaffnerin stellt sich in die Mitte des Waggons, aus den
Lautsprechern gibts Musik und dann turnt sie vor: Hände ausschütteln, die
Nasenwurzel reiben, sich auf die Schultern klopfen und immerhin machen etwa
zwei oder drei Gäste sogar mit. Shanghai empfängt mich mit Smog,
Regen, drängelnden Leuten, Stau und Gehupe; und ich möchte gern zurück,
nach Xi’an oder in die Berge und Wüste von Xinjiang.

 




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