Heute ist es in gewissen Kreisen üblich, sich inmitten von Zivilisten in die Luft zu sprengen. Nun wollen sich etwa die afghanischen Taliban deshalb noch lange keine moralische Verkommenheit nachsagen lassen. Der “Oberste Führer des Islamischen Emirates Afghanistan” hat für seine “Mujaheddin” (“Gotteskrieger”) ein Regelbuch veröffentlicht. “Mujaheddin sollten das Rauchen von Zigaretten unterlassen”, heißt es in dem Knigge für Taliban unter Punkt 18. Dass weder Zigarren noch Pfeifen erwähnt werden, könnte jedoch Schlupflöcher eröffnen.
Für den Umgang mit Lehrern, die “unter der gegenwärtigen Marionettenregierung” arbeiten, sind die Vorschriften sehr viel konkreter - und deutlich. Falls ein Pädagoge “wider die Prinzipien des Islams lehrt”, muss er laut Regel 25 “vom Distrikts-Kommandanten oder einem Gruppenführer getötet werden”. Dies steht offenbar nicht im Konflikt mit Punkt 21: Wer “einen schlechten Ruf genießt” oder “während des Dschihad (heiliger Krieg) “Zivilisten getötet hat”, darf nicht in die Bewegung aufgenommen werden. Sind afghanische Lehrer keine Zivilisten? Hektisches Blättern in der Moralfibel ist programmiert.
“Mujaheddin ist es nicht erlaubt, Jünglinge ohne Bartwuchs auf das Schlachtfeld oder in ihre Privatgemächer mitzunehmen”, heißt es in Regel 19. Gab´s da schlechte Erfahrungen? Der Umgang mit Frauen wird übrigens nicht erörtert. Und während ein guter Taliban penibel zwischen Jünglingen mit und ohne Bart unterscheidet, macht er zwischen Nato-Soldaten, Politikern und Entwicklungshelfern keinerlei Unterschied: “Deshalb tolerieren wir keine ihrer Aktivitäten, sei es der Bau von Straßen, Brücken, Kliniken, Schulen, Koranschulen . . . Wenn eine Schule trotz Warnung nicht schließt, gehört sie verbrannt.” Religiöse Bücher sollten allerdings vorher in Sicherheit gebracht werden.
Wäre das Regelbuch nicht von so todernsten Menschen verfasst worden, man könnte dahinter eine karnevalistische Leitfrage vermuten: Es mag ja Fanatiker geben, die Attentäter aussenden und Schulen anzünden - aber sind sie deshalb gleich schlechte Menschen?
(Kölner Stadt-Anzeiger, 1. Dezember 2006)