Henryk M. Broder / 19.01.2021 / 13:00 / Foto: Flickr CC BY-SA 2.0 / 67 / Seite ausdrucken

Ein Interview des Bundespräsidenten – mit sich selbst

Was fällt Ihnen ein, wenn sie das Kürzel JLID lesen? Alles Mögliche, nur nicht "Jüdisches Leben in Deutschland". So heißt nämlich ein Verein, der extra zu dem Zweck gegründet wurde, heuer "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" zu feiern, mit einem aufwändigen Programm, das – Überraschung! – großzügig von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Annette Widmann-Mauz, gefördert wird. Es geht offenbar darum, den ersten Juden, die im Jahre 321 nach Deutschland migriert sind, die Integration zu erleichtern.

Obwohl das eigentlich die Aufgabe des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, wäre. Und obwohl es, genau genommen, im Jahre 321 noch kein Deutschland gegeben hat. Weswegen es auf der JLID-Homerpage auch heißt, seit 1.700 Jahren würden "Jüdinnen*Juden nachweislich auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands leben", wobei der rheinische Genitiv mit dem kleinen "s" sowohl grammatikalisch wie stilistisch ein wenig problematisch ist.

Egal, darum soll es nicht gehen. Es geht um ein "Interview des Bundespräsidenten zu laufendem Festjahr #2021JLID"; wir wollen auch hier darüber hinwegesehen, dass "zum laufenden Festjahr" besser als "zu laufendem Festjahr" klingen würde. Wichtiger ist, dass es nicht "ein Interview mit dem Bundespräsidenten" ist, sondern "ein Interview des Bundespräsidenten" mit sich selbst, wobei der Begriff "Interview" bereits als ein Euphemismus verstanden werden muss. Es sind drei kurze Scheinfragen, die der BP mit den üblichen Klischees aus seinem Satzbaukasten beantwortet. Lesen Sie selbst:

#2021JLID: Was bedeutet das Festjahr #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland für Sie?

Bundespräsident: Ich freue mich sehr darauf. Seit über 1.700 Jahren gibt es jüdisches Leben an Donau und Rhein - das ist eine beeindruckende Zeitspanne, an der wir ablesen können, wie lang, tief und untrennbar die jüdische Kultur mit der Geschichte Mitteleuropas und Deutschlands verwoben ist. Das Judentum gehört zu Deutschland, es hat die deutsche Geschichte und Kultur immer mitgeschrieben, vor und nach dem Zivilisationsbruch der Shoah, es prägt und es bereichert uns.

Das feiern wir mit diesem Festjahr und rücken hoffentlich mehr ins Bewusstsein, dass jüdisches Leben Teil unserer Gesellschaft ist: seit über anderthalb Jahrtausenden. Und dabei geht es auf keinen Fall nur um die Vergangenheit. Das Festjahr lenkt die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt, das zeitgenössische jüdische Leben in seiner ganzen Vielfalt, mit seinem großen Schwung. 

#2021JLID: Was ist Ihnen besonders wichtig?  

Bundespräsident: Für eine lebendige Gesellschaft, für ein gutes Miteinander ist es sehr wichtig, dass die Menschen in unserem Land, jüdisch und nicht jüdisch, aufeinander zugehen, sich austauschen und kennen. Aber das ist beschwerlicher geworden in den vergangenen Jahren. Antisemitismus und Fremdenhass, Nationalismus, religiös verbrämter Extremismus und Rassismus zeigen sich immer unverhohlener, auch, aber nicht nur im Netz.  Es sind die alten, bösen Geister in neuem Gewand. Wer fürchten muss, auf offener Straße angegriffen zu werden, wird das Vertrauen schwerer aufbringen können, auf andere zuzugehen, sich zu öffnen und zu Hause zu fühlen.

Aber nur wenn Juden hier vollkommen sicher, vollkommen zuhause sind, ist dieses Deutschland vollkommen bei sich. Die Zahl derer, die sich hörbar und sichtbar gegen Antisemitismus auflehnen, die ihn in den Medien, im Plenum des Deutschen Bundestages, in Behörden, in Schulen und Jugendzentren, am Arbeitsplatz, Zuhause und auf der Straße bekämpfen, muss größer werden - niemand darf wegschauen!

#2021JLID: Was soll bleiben vom Festjahr? Was wünschen Sie sich für die Zukunft des jüdischen Lebens in Deutschland?

Bundespräsident: Ich bin zutiefst dankbar, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder aufgeblüht ist. Und ich würde mir wünschen, dass es gelingt, dieses jüdische Leben stärker wahrzunehmen als das, was es ist: ein facettenreicher, individueller und eben auch ganz alltäglicher Teil unser vielfältigen Gesellschaft.

Das bedeutet aber auch: Jüdische Kultur und Religiosität müssen sich frei und sicher entfalten und entwickeln können. Es ist die Aufgabe des Staates, aber auch die Verantwortung der ganzen Gesellschaft, dafür Sorge zu tragen. Und wenn ich mir noch etwas wünschen dürfte: Mehr jüdische Deutsche, die in die Politik gehen.

Super. Heiko Maas ist "wegen Auschwitz in die Politik" gegangen. Ich mache es ihm nach und gehe, dem Bundespräsidenten zuliebe, auch dahin. Frank-Walter, ich komme!

Foto: Flickr CC BY-SA 2.0

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Leserpost

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Christina S. Richter / 19.01.2021

Wenn Biden noch USA-Präsi wird - dann Sie hier alle mal mds. Kanzler, also lieber Herr Broder auf gehts: Bis September ist nicht mehr viel Zeit!!!

Charles Brûler / 19.01.2021

Der Acronymfinder sagt zu JLID = “Japan League on Intellectual Disabilities”. Stimmt sogar fast.

Rupert Reiger / 19.01.2021

Vielleicht soll jeder auf dem Boden des Gesetztes machen können was er will und gegen andere ist man farbenblind. Irgendwelche Vorschläge an andere braucht so niemand. Das nennt man dann keine Rolle spielen zu müssen sondern ganz normal sich selbst sein.

Hans-Peter Dollhopf / 19.01.2021

Ein ehemaliger deutscher Außenminister flötet: “Seit über 1.700 Jahren gibt es jüdisches Leben an Donau und Rhein - das ist eine beeindruckende Zeitspanne, an der wir ablesen können, wie lang, tief und untrennbar die jüdische Kultur mit der Geschichte Mitteleuropas und Deutschlands verwoben ist. Das Judentum gehört zu Deutschland.” Warum muss ich jetzt an Deutschlands Antizionisten in führenden Positionen denken? Vielleicht darum, weil Ost-Jerusalem ebenso wie Judäa und Samaria seit 3000 Jahren jüdisches Heimat ist, Steinmeier und Maas die Juden jedoch von dort vertreiben möchten. Gott hat an keiner einzigen Stelle der Bibel aber jemals von Deutschland als alternative Heimat des Judentums gesprochen. Hmmm ... ! Dieser St. Einmeier behauptet wohlfeil: “Und wenn ich mir noch etwas wünschen dürfte: Mehr jüdische Deutsche, die in die Politik gehen.” Weshalb muss ich da an die “Jüdische Bundesvereinigung in der AfD” (JAfD) denken? Vielleicht deshalb, weil der Fraktionsvorsitzende der FDP/DVP im Ländle Rülke hetzte, die JAfD sei, “wie wenn man in der Kanalisation einen Schwimmverein gründet”,  oder die Grünkretsche dieses jüdische Leben in der deutsche Politik als “in hohem Maße irritierend” abstempelte und weil die Bundestagsfraktionen sich nicht die Gelegenheit entgehen ließen, endlich vor deutschen Juden einmal wieder ausspucken zu dürfen. Hmmm ... ! Der oberste offizielle Deutschlandfan sulzt: “Die Zahl derer, die sich hörbar und sichtbar gegen Antisemitismus auflehnen [] und auf der Straße bekämpfen, muss größer werden - niemand darf wegschauen!” Weshalb muss ich da an Frankfurt am Main vom 1. Juli 2020, den neudeutschen al-Quds-Feiertag, den BDS-Verein “Samidoun”, die Polizei und die Musikerin Ana Agre denken? Vielleicht deshalb, weil eine Initiative GG 5.3 Weltoffenheit der Deutschen Kultur- und Wissenschaftsblüte die Reihen zu den BDS-Vereinen dicht geschlossen hält. Hmmm ... !

Torsten Lange / 19.01.2021

Nicht neu und doch anders.  Klaus Augenthaler, Cheftrainer des damals abstiegsbedrohten VFL Wolfsburg am 10.5.2007 auf der Pressekonferenz: “Guten Tag. Meine Herren, es gibt vier Fragen und vier Antworten. Die Fragen, die stelle ich, und die Antworten gebe ich auch. “ Der Unterschied zum Oberphrasendrescher: : Seine Fragen waren passend und konkret, seine Antworten der Weg zur Lösung.  Der Verein blieb in der Liga!

Gerd Koslowski / 19.01.2021

Not my president u.a. mit den Argumenten von Peer Munk.

Anneliese Bendit / 19.01.2021

“Jüdische und nicht jüdische Menschen sollen aufeinander zugehen”. Haben meine Eltern auch getan. Früher hieß es Mischling ersten Grades und heute heißt es Deutsche mit Migrationshintergrund.

T. Schneegaß / 19.01.2021

Hat er sich schon bei den iranischen Herrschern entschuldigt?

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