Von Gabriel Ruprecht.
Von Anfang an galt der schwedische Sonderweg als Irrweg, geradezu katastrophal. Nochmal zur Erinnerung: Als Schweden den Sonderweg einschlug, wurden Millionen Tote prophezeit.
Hier wird nur auf die Todeszahlen eingegangen. Die Fallzahlen sind nutzlos, da wir nicht einmal wissen, ob diese Fälle auch tatsächlich Symptome gezeigt haben. Wir wissen auch sonst immer noch viel zu wenig. Jedenfalls zu wenig, wenn man bedenkt, dass über ein Jahr Zeit war, Informationen zusammenzutragen. Ich habe eine Liste zusammengestellt, was ich gerne an Daten hätte. Erfasst werden diese Daten ja prinzipiell, da ein Arzt in der Regel danach fragt. Aber sie werden nicht eingesammelt:
- Bei denTests: Testergebnis; Testtag; Meldetag; Symptome Ja/Nein; vermuteter Infektionstag +-x Tage; Erst- oder Zweittest; Ergebnis des Ersttests, falls vorhanden; Hersteller des Testkits; Schwere der Symptome (schwierig, da schlecht objektiv feststellbar); Landkreis; Alterskohorte
- Hinsichtlich der Langzeitfolgen: Tage seit Infektion, nach denen die Folgen zu weniger als 50 Prozent, dann 10 Prozent spürbar waren; Schwere des ursprünglichen Verlaufs; Dauer der Krankheit, Landkreis; Alterskohorte
- Bei den Toten: Vorerkrankungen Ja/Nein; Anteil der Covid-Erkrankung am Tod (schwierig zu ermitteln, aber ich vertraue hier auf die Experteneinschätzung); Landkreis; Alterskohorte
Aus diesen Daten könnte man ein paar interessante Informationen ziehen. Zum Beispiel könnte man sehr genau feststellen, wie gut die Tests eine Infektion anzeigen, inwieweit Vorerkrankungen einen Einfluss haben, wie stark die Bevölkerungsdichte eine Rolle spielt. Eventuell könnte man sogar die Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen sehr gut gegeneinander abgrenzen. Man weiß das meiste jetzt auch schon, aber man könnte es viel (!) präziser quantifizieren.
Man muss die Daten zusammenkratzen
Warum erwähne ich das? Weil es leicht ist. Das sieht auf den ersten Blick schwer aus, aber es sind nur drei SQL-Tabellen. Wenn man das mit Faxgeräten zusammenträgt, ist das natürlich schwer. Besonders toll wäre es, wenn die EU ein paar Server dafür zur Verfügung stellen würde und man das für ganz Europa einheitlich ausrollen würde. Verteilung der Zugangsdaten erfolgt über die Gesundheitsämter. Die kann man sogar faxen.
Da diese tollen Daten nicht zur Verfügung stehen, muss man sich diese eben zusammenkratzen. Das habe ich für Schweden und Deutschland gemacht. Bei Johns Hopkins University CSSE bekommt man die Todeszahlen für Schweden und Deutschland. Am Anfang der Coronazeit wurden in der Regel die Summe der bisher Verstorbenen und die Summe der bisherigen Fälle dargestellt (monoton steigend). Seit etwa März 2020 wurde aber zunehmend der Graph mit den täglichen Todeszahlen und Infektionszahlen gezeigt. In der Regel werden diese absolut dargestellt, wo Schweden scheinbar erst einmal gut abschneidet (Abbildung 1).
Dass das irreführend ist, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Wenn man nun die Fall- und Todeszahlen auf die Bevölkerung skaliert, also Fälle/Tote pro 100.000 Einwohner (Abbildung 2), schaut es für Schweden schon schlechter aus. Dieser Graph wird gerne gezeigt, wenn es darum geht, Schweden besonders schlecht darzustellen. Gewissermaßen als Beweis für den Misserfolg des Sonderwegs. Dies ist aber ebenfalls irreführend, da unbekannt ist, wie viele Tests jeweils gemacht werden. Man weiß daher auch nicht, wie viele Tote und Infizierte also tatsächlich erfasst werden. Den geradezu gespenstisch parallelen Verlauf der jüngsten Zeit konnte mir noch keiner vernünftig erklären. Es kann reiner Zufall sein, aber wahrscheinlicher ist es, dass es kein Zufall ist.
Sterben mehr oder weniger Leute wegen oder durch die Maßnahme?
Ob eine Maßnahme ein Erfolg war, misst sich meiner Meinung daran, wie vielen Menschen sie genützt hat. Sie soll also Todesfälle verhindern und schwere Krankheitsverläufe ebenfalls. Auf die Frage, ob man einige wenige Tote riskieren darf, um die Zahl der schweren Verläufe zu reduzieren, möchte ich hier nicht eingehen. Das soll an dieser Stelle jeder für sich herausfinden. Ein Maß für die Wirksamkeit ist schlicht und einfach die Übersterblichkeit. Sterben mehr oder weniger Leute durch die Maßnahme oder deren Verzicht? Und wie viele jeweils?
Wenn wir die Übersterblichkeit (Tote im Vergleich zum Durchschnitt der Vorjahre) von Deutschland und Schweden vergleichen (Abbildung 3), steht Schweden immer noch schlechter da als Deutschland, aber schon weit weniger gravierend als bei den Covid-19-Fällen pro 100.000 Einwohner (Abbildung 2). Das sagt uns, dass Schweden vermutlich mehr testet als Deutschland.
Jetzt ist es aber so, dass Schweden in den letzten Jahren bezogen auf die Bevölkerung eine sehr niedrige Sterblichkeit hatte. Die Übersterblichkeit wird in Bezug zu den Vorjahren gesetzt, nicht zur Bevölkerung. Einfach erklärt: Wenn in Schweden pro Jahr und 100.000 Einwohner nur halb so viele Leute sterben würden, wie in Deutschland, wäre bei einer Übersterblichkeit von 50 Prozent immer noch Schweden die bessere Wahlheimat. Um also zu vergleichen, wie die Chance in beiden Ländern war, das Jahr 2021 noch zu erleben, muss man die Todeszahlen im Verhältnis zur Bevölkerung setzen (Tote je 100.000 Einwohner – Abbildung 4). Hier zeigt sich überraschenderweise, dass in Schweden weniger Menschen gestorben sind als in Deutschland.
Diese Daten sind aber immer noch verfälscht. Ist zum Beispiel eine Gesellschaft sehr jung, wird diese auf andere Zahlen kommen als eine, die überaltert ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Toter, der beim Bestatter ankommt, 65 oder älter ist, liegt bei 85,4 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass er 45 oder älter ist, liegt bei 97,9 Prozent. Bei den Coronatoten sind 73,6 Prozent über 65 und 96 Prozent über 45 [6][8]. Man kann also sagen, dass man unter 65 kaum stirbt, unter 45 praktisch gar nicht. Das gilt für Corona gleichermaßen, wie für alle anderen Arten zu sterben.
Der einzige Effekt von Covid-19, den wir hier sehen, ist, dass man unter 65 wahrscheinlicher an Corona stirbt als über 65, falls (!) man stirbt. Das leuchtet allerdings ein. Denn wenn man unter 65 stirbt, dann meist nicht an Altersschwäche, sondern an anderen Dingen, wie eben Covid-19. Nimmt man die Bevölkerung über 65 als Bezug zu den Todeszahlen, ergibt sich das Diagramm in Abbildung 5. Hier zwischen Corona und Nicht-Corona zu differenzieren ist äußerst schwierig, da man nicht abgrenzen kann, welcher Anteil der Übersterblichkeit auf das Konto von Corona geht und welcher Anteil auf andere Effekte entfällt. Es wäre also geraten. Was man aber machen kann: Man kann Deutschland und Schweden vergleichen. Es zählt also hier vor allem der qualitative Verlauf im Verhältnis zueinander (qualitatives Verhältnis). Das Ganze kann man noch für 45plus wiederholen (Abbildung 6). Das Verhältnis von Deutschland zu Schweden ist hier ähnlich.
Unterschied zwischen Deutschland und Schweden eher gering
Wie man sieht, steht Schweden bei den über-65-Jährigen besser da als Deutschland. Bei den über-45-Jährigen steht Schweden die meiste Zeit des Jahres besser da als Deutschland. Die Chance, Silvester noch zu erleben war also für die schwedischen Rentner in beiden Fällen größer als für die deutschen.
Aus diesen Graphen kann man schlussfolgern, dass:
1. der Unterschied zwischen Deutschland und Schweden eher gering ist. Unterschiede können genauso gut auf andere Effekte zurückzuführen sein. Dazu zählen zum Beispiel Bevölkerungsdichte insgesamt und Streuungscharakteristik der Bevölkerungsdichte. Es können aber auch alle möglichen anderen, unbekannten Effekte und Parameter sein.
2. war die Chance, das Jahr 2021 zu erleben, in Schweden größer als in Deutschland. Es mag vielleicht verlockend sein, man kann jedoch nicht daraus schlussfolgern, dass die Maßnahmen nichts gebracht haben. Es gibt aber gute Gründe, die Wirksamkeit infrage zu stellen. Wir wissen nicht, welche Effekte welchen Einfluss auf die Ausbreitung haben. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob die höheren Fallzahlen in den deutschen Stadtstaaten auf die Bevölkerungsdichte zurückzuführen sind oder auf die bessere Verfügbarkeit von Tests. Wir wissen es nicht.
Und da sind wir wieder beim Anfang: Das eklatante Versagen unserer Regierung, die für eine solide Entscheidung notwendigen Zahlen nicht erheben zu können oder dies zu wollen. Es ist keine Kunst, was ich hier berechnet habe. Das kann jeder mit einem Internetanschluss und LibreOffice/Excel zu Hause ebenfalls. Die Regierung hätte diese Zahlen beschaffen sollen. Und die vierte Macht im Staate, Medien wie Süddeutsche, Zeit, FAZ und natürlich Tagesschau haben eigentlich den (moralischen) Auftrag, dies von der Regierung einzufordern und uns zu präsentieren.
Nachtrag:
Seit dem 03.03.2021 sind in Texas nahezu alle Maßnahmen aufgehoben. Ich warte bis heute noch auf den brisanten Anstieg der Fallzahlen und Todeszahlen. Bis heute ist qualitativ kein Unterschied zu z.B. Kalifornien feststellbar. Insbesondere nicht zu angrenzenden Staaten. Ganz allgemein bin ich für Maßnahmen, aber nur für welche, die etwas bringen. Und dazu gehört der Schutz von Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäuser. Aber nicht Kindergärten und Grundschulen.
Quellen:
[1] John Hopkins University CSSE via https://91-divoc.com/pages/covid-visualization
[2] https://www.statista.com/statistics/375493/age-structure-in-sweden/
[3] https://www.statista.com/statistics/454349/population-by-age-group-germany/
[4] https://www.statista.com/statistics/521717/sweden-population-by-age/
[5] https://service.destatis.de/bevoelkerungspyramide/index.html#!a=20,45&l=en&g
[6] https://www.worldometers.info/coronavirus/coronavirus-age-sex-demographics/
[7] https://www1.nyc.gov/assets/doh/downloads/pdf/imm/covid-19-daily-data-summary-deaths-05132020-1.pdf
[8] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1013307/umfrage/sterbefaelle-in-deutschland-nach-alter/
Gabriel Ruprecht ist Maschinenbauingenieur arbeitet im IT-Bereich in München. Zitat: Dieser Text erschien zuerst hier