Erinnern wir uns noch an den Film Vier Hochzeiten und ein Todesfall? Aber ja doch. Gerne. Da wird anlässlich des Todesfalles, dem der Film seinen Titel verdankt, eine Passage des Schriftstellers W.H. Auden zitiert, der uns bisher vor allem durch den Versdialog Das Zeitalter der Angst bekannt war (in der Übersetzung heißt es: Haltet alle Uhren an, laßt das Telefon abstellen/
Hindert den Hund am bellen, indem ihr ihm einen Knochen gebt/
Klaviere sollen schweigen, und mit gedämpftem Trommelschlag/
Laßt die Trauernden nun kommen, tragt heraus den Sarg ...)
Der Film hat das Publikum auf den Geschmack gebracht. Sie wollten nicht etwa viermal heiraten oder gar einmal sterben, sie wollten das Gedicht nachlesen und W.H. Auden näher kennenlernen. Es gab eine erstaunliche Nachfrage. Der Text wurde wie eine seltene Fundsache weitergegeben und erreichte eine Verbreitung, die weit über das hinausging, was innerhalb von literarischen Kreisen möglich ist.
So etwas passiert. Manchmal reißen sich kleinteilige Fetzen aus großartigen Texten los, machen sich auf die Reise und wandern als Wechselgeld der Literatur von Hand zu Hand. Manchmal leuchtet einem schon morgens in der U-Bahn unverhofft ein Zitat entgegen, spät am Abend trifft man in der Szenekneipe auf fliegende Händler, die Sprüche auf Kärtchen anbieten, die man zuhause an den Türrahmen oder an den Kühlschrank heften kann. Auf facebook wimmelt es geradezu von Geistelblitze, die als Meme, „postings“ oder „words to remember“ durchs Netz huschen.
Es findet nicht mal eine einzige Hochzeit statt und es stirbt keiner
Den Film ‚Peter Handke – bin im Wald, kann sein, dass ich mich verspäte’ kennen Sie vermutlich nicht. Es ist ein „special-interest-film“. Es findet nicht mal eine einzige Hochzeit statt und es stirbt keiner. Und doch enthält der Film Textteile, denen ich zutraue, dass sie sich ähnlich wie der Begräbnis-Blues von W.H. Auden quasi unter der Hand verbreiten und dass die Text-Teile auch unter Leuten kursieren, die keine Handke-Leser waren oder werden wollen und dennoch Gefallen daran zu finden. Ich glaube, es könnte sogar vielen gefallen.
So endet der Film. Die Passage ist nicht mehr frisch, sie stammt aus dem dramatischen Gedicht Über die Dörfer aus dem Jahre 1984 – aus einem Stück, das ich ursprünglich nicht mochte. Jetzt aber. Am Schluss des Filmes wirkt die Passage wie eine Quersumme aus der Gedankenwelt von Peter Handke. Damit hat Corinna Belz, die den Film so ausklingen lässt, nicht nur ins Schwarze, sondern direkt ins Goldene getroffen. Ich kann mir vorstellen, dass viele, die keinen Zugang zu Handke haben und sich auch nicht darum bemühen wollen, so ein Häppchen mögen. Mancher wird sich schwer wundern: Was?! Sowas schreibt Handke? Ja.
Es wird bestimmt nicht so einen Hype geben wie um das Auden-Zitat (das war auch kein richtiger Hype, mir ist nur so schnell kein besserer Ausdruck eingefallen), aber es könnte doch so manches Aha und Oho auslösen – und so manches Hmmm:
„Spiele das Spiel. Gefährde die Arbeit noch mehr. Sei nicht die Hauptperson. Such die Gegenüberstellung. Aber sei absichtslos. Vermeide die Hintergedanken. Verschweige nichts. Sei weich und stark. Sei schlau, lass dich ein und verachte den Sieg. Das stimmt. Beobachte nicht, prüfe nicht, sondern bleib geistesgegenwärtig bereit für die Zeichen. Sei erschütterbar, zeig deine Augen, wink die anderen ins Tiefe, sorge für den Raum und betrachte einen jeden in seinem Bild. Entscheide nur begeistert. Scheitere ruhig. Vor allem hab Zeit und nimm Umwege. Lass dich ablenken. Mach sozusagen Urlaub. Überhör keinen Baum und kein Wasser. Geh ein, wo du Lust hast, und gönn' dir die Sonne. Vergiss die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen, weich aus in die Menschenleere, pfeif auf das Schicksalsdrama, missachte das Unglück, zerlach' den Konflikt, beweg dich in deinen Eigenfarben, bis du im recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird. Geh über die Dörfer. Ich komme dir nach.“
Trailer zu Peter Handke – bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte.
Bernhard Lassahn