Gastautor / 27.01.2021 / 06:17 / Foto: Jason Clendenen / 31 / Seite ausdrucken

Ein Gruß nach Davos: Freiheit braucht keinen Zweck

Von Rainer Baule.

Dem in diesen Zeiten vielbemühten Zitat von Benjamin Franklin zufolge verliert eine Gesellschaft, die die Freiheit der Sicherheit opfert, am Ende beides. Aber gibt es „die“ Freiheit und „die“ Sicherheit überhaupt? Letztlich sind beide Konstrukte graduell; es gibt weder eine absolute Freiheit noch eine absolute Sicherheit. Die meisten Menschen akzeptieren kleine Einschränkungen der Freiheit zum Zweck der eigenen Sicherheit, etwa die Anschnallpflicht im Auto oder das Verbot, Kokain zu schnupfen. Genauso akzeptieren die meisten Menschen kleine Bedrohungen der Sicherheit wie die Existenz des Autoverkehrs an sich.

Eine Gesellschaft steht also nicht vor einer binären Entscheidung zwischen Freiheit und Sicherheit, sondern ist gehalten, ein ausgewogenes Verhältnis zu finden. In einem funktionierenden Pluralismus wird über graduelle Aspekte mit unterschiedlichen Meinungen kontrovers diskutiert. Ein Tempolimit auf Autobahnen reduziert die Freiheit, aber erhöht die Sicherheit – es gibt Befürworter und Gegner.

Derzeit hat die Freiheit einen schweren Stand. Im Frühjahr letzten Jahres zeigte sich ein neues Risiko, eine neuartige Bedrohung der gesundheitlichen Sicherheit. Da unbekannte Risiken in der Regel als weitaus gefährlicher wahrgenommen werden als vergleichbare vertraute Risiken, waren weite Teile der Gesellschaft bereit, dem Kampf gegen die neue Bedrohung fast alles unterzuordnen. Mittlerweile ist zwar nicht viel, aber etwas mehr über die neue Krankheit bekannt – sie bleibt in den allermeisten Fällen unbemerkt oder harmlos, bedingt in wenigen Fällen einen Krankenhausaufenthalt und verläuft insbesondere bei älteren und vorerkrankten Menschen mitunter tödlich. Bei unkontrollierter Ausbreitung kann sie zu einer kapazitiven Überlastung des Gesundheitssystems führen, auch wenn wir in Deutschland – möglicherweise auch aufgrund der politischen Maßnahmen – davon ein gutes Stück entfernt sind und auch immer waren.

Der Verlust der Freiheit an sich 

In einem funktionierenden Pluralismus würde nun kontrovers diskutiert, welches Maß an Freiheitsbeschränkung welchem Maß an Sicherheitsgewinn gegenübersteht. Leider findet eine solche Kontroverse kaum statt. Stattdessen werden seitens der Politik und der Leitmedien Kritiker der immer stärker werdenden Einschränkungen diskreditiert und als „Covidioten“ oder „Corona-Leugner“ diffamiert.

Eine Diskussion beziehungsweise Abwägung sollte beide Seiten – Sicherheit und Freiheit – berücksichtigen. Auf der einen Seite steht das Ausmaß des Risikos, das es einzudämmen gilt. So dürfte der Kreis der Kritiker auf ein Minimum schrumpfen, wenn Covid-19 eine Letalität im zweistelligen Prozentbereich bei vorher gesunden Menschen mit sich brächte. Umgekehrt wären vermutlich auch die größten Lockdown-Freunde gezügelter in ihrem Eifer, wenn die Infektion im schlimmsten Fall einen schleimigen Schnupfen verursachte.

Auf der anderen Seite steht das Ausmaß der Freiheitsbeschränkungen. Die Kritiker führen die Folgen des Lockdowns ins Feld: ein Heer von Kurzarbeitern, hunderttausende bedrohter Existenzen in Gastronomie, Reisebranche, Kunst und Kultur, Rezession, Insolvenzen und Arbeitslosigkeit im Einzelhandel, ausufernde Staatsverschuldung, verschobene Operationen und damit einhergehende gesundheitliche Gefahren, häusliche Gewalt, depressive Erkrankungen, Hunger, Elend und Tod in Dritte-Welt-Ländern und vieles mehr.

Das alles ist richtig. Ein Punkt fehlt in solchen Aufzählungen aber zumeist: Der Verlust der Freiheit an sich. Die Freiheit, seinen Aufenthaltsort nach Belieben zu wählen. Freunde zu besuchen. Skat zu spielen. Mannschaftssport zu treiben. In die Moschee zu gehen. Ins Bordell zu gehen. In die Oper zu gehen. Ins Stadion zu gehen. In die Kneipe zu gehen. Sich mit Fremden sinnlos zu betrinken. Freiheit braucht keinen hehren Zweck, um einen Wert zu haben.

Kein Recht, die Minderheit in Sippenhaft zu nehmen 

Diese „zwecklose“ Freiheit machte noch vor nicht allzu langer Zeit unsere Gesellschaft aus. Sie war durch die Verfassung geschützt und konnte auch nicht durch eine Mehrheit aufgehoben werden. Eine Mehrheit der Bürger geht vermutlich nicht in die Moschee, ins Bordell oder in die Oper. Aber sie hatte kein Recht, es einer Minderheit zu verbieten, die genau das tun möchte – aus welchen Beweggründen auch immer.

Der Verlust der zwecklosen Freiheit gehört in die Waagschale der negativen Aspekte des Lockdowns. Damit soll nun nicht gesagt sein, dass man zuhauf Menschen sterben lassen sollte, um anderen einen Biergartenbesuch zu ermöglichen. Aber selbst wenn keine der evident negativen Konsequenzen existierte, wenn durch wundersame Fügung keinerlei wirtschaftliche Folgen zum Tragen kämen und auch keine kostspieligen Rettungsaktionen nötig wären, wäre diese Seite der Waagschale nicht leer.

Ein Gedankenexperiment: Wäre der alleinige Entzug der zwecklosen Freiheit zu rechtfertigen, wenn man dadurch Millionen Menschen vor einem schleimigen Schnupfen bewahren könnte? Wohl kaum. Aber wenn an dem schleimigen Schnupfen einer von einer Million sterben würde? Oder einer von Tausend? Einer von Hundert? Dann wäre gesellschaftlich zu diskutieren und Freiheit gegen Sicherheit abzuwägen – kontrovers, pluralistisch, ohne moralische Vorverurteilungen, ohne staatlich-mediale Lenkung. Es muss die Meinung erlaubt sein, dass das Leben von 83 Millionen Bürgern mit den grundrechtlichen Errungenschaften trotz einer überschaubaren Gesundheitsgefahr mehr wert ist als ihr sicheres, doch auf das nötigste beschränkte bloße Dasein.

Mehr noch: Ist die Mehrheit anderer Meinung und gewichtet die Gefahren des schleimigen Schnupfens höher, gibt ihr das noch kein Recht, die Minderheit in Sippenhaft zu nehmen. Freiheitsentzug erfolgt in einer Demokratie nicht durch Mehrheitsentscheid. Wenn es nicht um graduelle Aspekte, sondern um Grundrechte geht, muss dezidiert begründet werden, inwieweit eine Ausnahmesituation vorliegt und inwieweit der Entzug von Grundrechten geeignet und angemessen ist, die Ausnahmesituation zu bekämpfen. Oder vielmehr müsste. Neuerdings genügt es in Deutschland, dass die Mehrheit (des Bundestages) das Vorliegen eines Ausnahmezustands schlicht behauptet.

Die Freiheit wird weiterhin einen schweren Stand haben.

 

Prof. Dr. Rainer Baule ist Wirtschaftswissenschftler

Foto: Jason Clendenen CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Thomas Brox / 27.01.2021

@ Sabine Schönfelder. “Und was bitte schön, Thomas@Brox, macht der vernünftige Rest, ... “.  Mit den Doofen und Feigen zusammen untergehen. Außer offen abkotzen und Sand ins Getriebe schmeißen habe ich auch keine Lösung. Wenn man älter als 45 ist, hat man keine Chance mehr aus der deutschen Titanic heraus zu kommen. Rein theoretisch könnten ich mit 68 alles hinter mir lassen und nach Ungarn abhauen. Nach meinen Renteneintritt habe ich mein Elternhaus modernisiert (mit fremder Hilfe) und bin nach einigen Jahrzehnten wieder eingezogen. Mittlerweile kenne ich jeden Grashalm und jede Rohrleitung. Meinen etwas geschrumpften (aber stabilen) Bekanntenkreis möchte ich auch nicht verlassen. So ähnlich geht es den meisten Älteren. Aber deswegen bin ich kein Feigling, obwohl es vermutlich schlauer wäre den Mund zu halten.

S.Buch / 27.01.2021

„Freiheit braucht keinen hehren Zweck, um einen Wert zu haben.“ Jedenfalls nicht in liberalen Systemen, in denen das Individuum und dessen (Grund-) Rechte oberstes Schutzgut des Staates sind, weil das Individuum (= Bürger) der Souverän ist. Anders in auf Zwang beruhenden, kollektivistischen Systemen. Dort ist Freiheit kein gegenleistungsloses Recht gegen den Staat, sondern eine Belohnung des Staates für das „richtige“ Verhalten mit Blick auf die geforderte „richtige“ Haltung. Klar, denn hier ist der Staat in Form der Funktionärskaste der Souverän.

Sabine Schönfelder / 27.01.2021

T.@Schneegaß, §1 der Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19 Pandemie bezieht sich nur auf Regelungen in diesen Bereichen. Das Restriktions- und Schindereigesetz „zum Schutz der Bevölkerung“ und Merkels Dilettantenpolitik, wirksam mit der Feststellung des Bundestags nach eigenem Gusto, bleibt uns so lange erhalten, wie unsere Irren das wollen. Bei Merkels Reset-Entschlossenheit, verkündet bei ihrem WEF- Auftritt, wird sie konsequent die Ökodiktatur einführen, WENN SICH KEIN WIDERSTAND REGT. So einfach ist das.

Sabine Schönfelder / 27.01.2021

Und was bitte schön, Thomas@Brox, macht der vernünftige Rest, der die Alternative wählt, sich auf der Straße engagiert und trotzdem im Heer der Verblödeten und feigen Mitläufer versinkt?? Falls Sie an „Auswandern“ dachten, sagen Sie bitte auch WOHIN. Danke.

Daniel J. Hahn / 27.01.2021

Gut gebrüllt Löwe, aber wie sieht es mit den Konsequenzen aus dieser Argumentation aus? Ist eine Verfassungsbeschwerde sinnvoll, wünschenswert oder gar geboten, wenn verbriefte Grundrechte zum Spielball der Tagespolitik werden und auf Basis wenig belastbarer Inzidenzwerte mehr oder weniger eingeschränkt werden? Man kann ja noch über Monate kluge Artikel verfassen. Sie bleiben relativ wirkungslos, wenn niemand vom Bundesverfassungsgericht feststellen läßt, ob dieser tagespolitische Umgang mit den Grundrechten überhauft zulässig ist.  

Thomas Brox / 27.01.2021

Freiheit ist kein Selbstzweck. Freiheit ist lebenswichtig zur Erhaltung der Effizienz und Lebensfähigkeit einer Gesellschaft. Die Funktion eines Staats besteht darin, ein optimales Verhältnis von Sicherheit und Freiheit herzustellen und zu erhalten. ++ Der inhärent fette, unfähige, schmarotzende deutsche Staatsapparat (inclusive der total abgehobenen Politkaste im Elfenbeinturm) versagt in beidem. Abgeschwächt gilt das auch für Eurozone und andere Industrieländer. Die Infrastruktur (Strassen, Brücken, Netzte, ... ) hat einen Zustand erreicht wie in einem afrikanischen Entwicklungsland. Totales Staatsversagen in allen wichtigen Bereichen, bei gleichzeitig weltweit höchster staatlicher Abzocke und Enteignung. Schon bei den Tagesnachrichten wird einem schlecht: Verwaltungsgericht untersagt Abschiebungen nach Griechenland, Kanzleramtsminister will die Schuldenbremse aus dem GG streichen (hat sowie nur symbolische Bedeutung, aber trotzdem lästig). Das Problem sind nicht Konzerne oder Milliardäre, das Problem ist der fette, unfähige Staatsapparat mit seinen staatlich gepamperten asozialen Hilfstruppen. Im Vergleich mit dem “Staat”, den die produktiven Untertanen zwangsweise unterhalten müssen, hat der Kapitalismus ein gutes Preis-Leistungsverhältnis auf freiwilliger Basis. ++ Die Apologeten des sozialistischen Schmarotzer-Staats machen sich seit Jahren auf dem WEF breit. Der “Great Reset”, alias “Green Deal” oder “große Transformation”, ist das Ziel steuerfinanzierter Umverteiler und Verwalter. Für den Niedergang von Blödland ist nicht der Kapitalismus verantwortlich, sondern der dysfunktionale Staatsapparat und(!) der deutsche Wähler. Wähler, die so doof oder feige sind, dass sie nicht mehr zwischen einem freiwilligen Geschäft und staatlichem Zwang unterscheiden können, haben den Untergang verdient. Wähler, die diesen unfähigen “Staat” unterhalten müssen und zu feige sind um sich zu wehren, haben den Untergang verdient.

E. Grüning / 27.01.2021

Erfahrung mit den Sympthomen und Auswirkungen von Krankheiten prägen seit Anbeginn der Menschheit den Umgang mit selbigen. Für einen Schnupfen wird man andere Maßnahmen und Behandlungen vornehmen als bei einer offenen Tuberkulose. Heutzutage, auf einem international hohen medizinischen Wissensstand, weigern sich Politikberater, und nur diese, sowie abhängig Beschäftigte in verwandten medizinischen Instututionen, neue Erkenntnisse im Fall von SARS CoV2 anzuwenden. Fast im Wochentakt werden Aussagen zu Ungunsten der Rechte der Bürger revidiert, einer (uns nicht offensichtlichen) politischen Agenda angepasst, nicht mehr nachvollziehbare Maßnahmen gefordert! Die Parlamentarier stellen sich taub, der Mainstream dumm, die Justiz zeigt kein Interesse! Einmal erklärt Herr Drosten, dass die Virus-Variante “mit ganz normalen Maßnahmen der Kontaktbeschränkungen” beherrschbar sei. Dann später: “Das sieht leider nicht gut aus.” Nein, Herr Drosten, Sie und das Panikorchester der Bundesregierung sehen nicht gut aus! Der Aktionismus hinkt den Tatsachen der “Infektionsentwicklung” nach gemessenen Zahlen (nicht erwähnt die sinnlose falsch-positive Testung Gesunder) immer hinterher! So schnell kann die Kanzlerin ihre Konferenzen gar nicht vorziehen. Das Virus macht eben nicht, was es soll. So kommt es, dass nur noch Frau Merkels Regierung glaubt, in Schilda zu regieren. Zur Freiheit gibt es keine Alternative, Raute hin oder her! Zu Dummheit und Machtmissbrauch schon! Dieser soll ein Ende haben? Ganz einfach: alle Bürger bleiben zu Hause, isolieren sich und damit die Regierenden vom Steuergeld! Man könnte es auch Generalstreik nennen, mit dem Ziel der Auflösung des Bundestages und Absetzung der Regierung Merkel!

T. Schneegaß / 27.01.2021

Ein wichtiger Hinweis für alle Achse-Leser: Bitte googeln: -Bundesgesetzblatt (bgbl.de)  -kostenloser Bürgerzugang -Bundesgesetzblatt Teil 1 -2020 -Nr. 48 vom 28.10.2020 -Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen….  vom 20.10.2020 -§ 1 !!! Können Juristen hier auf der Achse dazu Erklärungen geben? Hat der BT dazu wann abgestimmt und mehrheitlich zugestimmt? Heißt das, die “Spiele-Runden” der .... mit ihren Statthaltern und die Terror-Verlängerungen step by step sind reine Shows und der Lockdown bis (vorerst) 31.12.2021 steht? 

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