Ein Land schickt seine Soldaten in einen Krieg, mag aber irgendwie nicht dazu stehen. Realitätsverweigerung, Desinteresse und Heuchelei kennzeichnen den Umgang des Staates mit seinem Militär.
Auf einmal waren sie alle da. Der Bundespräsident, der Bundestagspräsident, die Verteidigungsministerin und allerlei andere politische Honoratioren. Es wurde zum großen Zapfenstreich geblasen – mit über drei Monaten Verspätung. So lange haben unsere Regierenden gebraucht, um sich zu einer anständigen Geste an die Männer und Frauen durchzuringen, die in Afghanistan ihren Kopf für einen konfusen und von der Politik weitgehend ignorierten Kriegseinsatz hingehalten haben.
Kriegseinsatz? Da ging es schon los. Offiziell war es natürlich kein Kriegseinsatz. Die Soldaten und Soldatinnen traten in Afghanistan offenbar als eine Art technisches Hilfswerk für den Bau einer neuen Nation auf. Dass sie dabei Waffen tragen mussten, weil die Gegner sich nicht scheuten, Krieg zu führen, wurde möglichst nicht erwähnt. Dass die militärische Ausrüstung für diesen angeblich nicht kriegerischen Kampfeinsatz (pardon: Aufbaueinsatz) ziemlich unzulänglich war, passte ins Konzept der Realitätsbeschönigung bis hin zur Realitätsverweigerung. Dass die Gefallenen dieses Einsatzes, insgesamt 59 Uniformierte, anfangs nicht als Gefallene bezeichnet wurden, war ein weiterer Punkt der Heuchelei.
Zur Heuchelei kam dann das Desinteresse. Dass Ende Juni, als die deutschen Soldaten aus Afghanistan heimkehrten, in Wunstorf kein Schwein da war, um sie zu empfangen, ist ein Unikat. Genauer: Es war keiner aus der Politik da. Das gibt es nur in Deutschland. Die Leute ins Feuer schicken und sie dann durch Abwesenheit mit passiver Verachtung strafen: Wie anders kann man das nennen – als eine Schande. Da kann man sich wundern, dass überhaupt jemand diese undankbare Aufgabe, ein Soldat in Deutschland zu sein, auf sich nimmt.
Ein Parlament, das sich für seine Armee nicht recht erwärmen kann
Aber so ist das Verhältnis nicht nur der deutschen Politik, sondern vieler Deutscher zu ihrer Bundeswehr. Ja, ja, es hat damit zu tun, dass Deutschland in zwei Weltkriegen Europa in Schutt und Asche verwandelt hat, das eigene Land eingeschlossen. Aber wie lange soll diese historische Last noch allein auf die Soldaten von heute abgeladen werden, während man selbst eine feine Distanz hält? Eigentlich ist die Sache ganz einfach: Entweder man sagt, die deutsche Vergangenheit verbietet es uns, wieder Soldaten zu haben und in fremden Ländern einzusetzen, wie es ja anno dazumal Franz Josef Strauß, der spätere Verteidigungsminister, gesagt hat. Oder man hält sich trotz der Geschichte eine Bundeswehr und dann hat man auch gefälligst dazu zu stehen. Vielleicht sogar wegen der Geschichte: eine demokratische Parlamentsarmee als Kontrast zu damals. Dass sich das Parlament für seine Armee nicht recht erwärmen kann, gehört zur Zwiespältigkeit der deutschen Post-Hitler-Gesellschaft.
Die Vorstellung, dass in Amerika oder in Frankreich Soldaten aus einem Kriegseinsatz heimkehren und von der Politik einfach ignoriert werden, ist gar keine. Ein solches Verhalten ist eben – jawohl, unvorstellbar.
Doch genug von der deutschen Heuchelei, die aus Soldaten harmlose Helferchen macht und wegschaut, wenn von den 160.000 nach Afghanistan Entsandten mehr als ein halbes Hundert dort sein Leben lässt. Es hat ihn ja gegeben, den großen Zapfenstreich mit großem Auftritt, großen Reden und großen Gesten. Danke schön. Man würde die große Ehren-Show lieber loben, wenn sie nicht mit einer derart peinlichen Verspätung stattgefunden hätte. Die peinliche Verspätung macht aus dem großen Zapfenstreich leider auch einen peinlichen Zapfenstreich.