Rainer Bonhorst / 14.10.2021 / 18:00 / Foto: Imago / 49 / Seite ausdrucken

Ein großer, aber auch peinlicher Zapfenstreich

Ein Land schickt seine Soldaten in einen Krieg, mag aber irgendwie nicht dazu stehen. Realitätsverweigerung, Desinteresse und Heuchelei kennzeichnen den Umgang des Staates mit seinem Militär.

Auf einmal waren sie alle da. Der Bundespräsident, der Bundestagspräsident, die Verteidigungsministerin und allerlei andere politische Honoratioren. Es wurde zum großen Zapfenstreich geblasen – mit über drei Monaten Verspätung. So lange haben unsere Regierenden gebraucht, um sich zu einer anständigen Geste an die Männer und Frauen durchzuringen, die in Afghanistan ihren Kopf für einen konfusen und von der Politik weitgehend ignorierten Kriegseinsatz hingehalten haben.

Kriegseinsatz? Da ging es schon los. Offiziell war es natürlich kein Kriegseinsatz. Die Soldaten und Soldatinnen traten in Afghanistan offenbar als eine Art technisches Hilfswerk für den Bau einer neuen Nation auf. Dass sie dabei Waffen tragen mussten, weil die Gegner sich nicht scheuten, Krieg zu führen, wurde möglichst nicht erwähnt. Dass die militärische Ausrüstung für diesen angeblich nicht kriegerischen Kampfeinsatz (pardon: Aufbaueinsatz) ziemlich unzulänglich war, passte ins Konzept der Realitätsbeschönigung bis hin zur Realitätsverweigerung. Dass die Gefallenen dieses Einsatzes, insgesamt 59 Uniformierte, anfangs nicht als Gefallene bezeichnet wurden, war ein weiterer Punkt der Heuchelei.

Zur Heuchelei kam dann das Desinteresse. Dass Ende Juni, als die deutschen Soldaten aus Afghanistan heimkehrten, in Wunstorf kein Schwein da war, um sie zu empfangen, ist ein Unikat. Genauer: Es war keiner aus der Politik da. Das gibt es nur in Deutschland. Die Leute ins Feuer schicken und sie dann durch Abwesenheit mit passiver Verachtung strafen: Wie anders kann man das nennen – als eine Schande. Da kann man sich wundern, dass überhaupt jemand diese undankbare Aufgabe, ein Soldat in Deutschland zu sein, auf sich nimmt.

Ein Parlament, das sich für seine Armee nicht recht erwärmen kann

Aber so ist das Verhältnis nicht nur der deutschen Politik, sondern vieler Deutscher zu ihrer Bundeswehr. Ja, ja, es hat damit zu tun, dass Deutschland in zwei Weltkriegen Europa in Schutt und Asche verwandelt hat, das eigene Land eingeschlossen. Aber wie lange soll diese historische Last noch allein auf die Soldaten von heute abgeladen werden, während man selbst eine feine Distanz hält? Eigentlich ist die Sache ganz einfach: Entweder man sagt, die deutsche Vergangenheit verbietet es uns, wieder Soldaten zu haben und in fremden Ländern einzusetzen, wie es ja anno dazumal Franz Josef Strauß, der spätere Verteidigungsminister, gesagt hat. Oder man hält sich trotz der Geschichte eine Bundeswehr und dann hat man auch gefälligst dazu zu stehen. Vielleicht sogar wegen der Geschichte: eine demokratische Parlamentsarmee als Kontrast zu damals. Dass sich das Parlament für seine Armee nicht recht erwärmen kann, gehört zur Zwiespältigkeit der deutschen Post-Hitler-Gesellschaft.

Die Vorstellung, dass in Amerika oder in Frankreich Soldaten aus einem Kriegseinsatz heimkehren und von der Politik einfach ignoriert werden, ist gar keine. Ein solches Verhalten ist eben – jawohl, unvorstellbar.

Doch genug von der deutschen Heuchelei, die aus Soldaten harmlose Helferchen macht und wegschaut, wenn von den 160.000 nach Afghanistan Entsandten mehr als ein halbes Hundert dort sein Leben lässt. Es hat ihn ja gegeben, den großen Zapfenstreich mit großem Auftritt, großen Reden und großen Gesten. Danke schön. Man würde die große Ehren-Show lieber loben, wenn sie nicht mit einer derart peinlichen Verspätung stattgefunden hätte. Die peinliche Verspätung macht aus dem großen Zapfenstreich leider auch einen peinlichen Zapfenstreich.

Foto: Imago

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Leserpost

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Volker Kleinophorst / 14.10.2021

Das Bild sagt ALLES.

Stefan Zorn / 14.10.2021

Ein seiner Seele beraubtes Volk verschwindet in idenditärer Beliebigkeit, schämt sich seiner selbst und wird zuletzt von seiner Regierung an die Barbaren verraten, die höhnisch lachend und vor Verachtung schäumend, alles auffressen, dessen sie habhaft werden können. - Wer braucht da noch eine Bundeswehr?

Dr. med. Jesko Matthes / 14.10.2021

Völlig richtig. - Wichtiger als das verspätete und gerade deshalb unangemessene Tamtam ist ein angemessenes Ehrenmal im öffentlichen Raum für die in Afghanistan in Erfüllung ihrer Pflicht Gefallenen. Gut orientieren könnte man sich an dem, was Heinrich Tessenow 1931 in der Neuen Wache in Berlin geschaffen hatte, die leider nicht so wiederhergestellt worden ist. Es war ein schlichter schwarzer Granitblock mit silbernem Ährenkranz. Eine bescheidene Feier dort wäre völlig ausreichend gewesen. Das Versagen der Mission, das Illusionstheater und Desinteresse der Bundesregierung sowie beinahe einer ganzen Gesellschaft dagegen führten nun in die Entwertung und den Missbrauch des Großen Zapfenstreichs. Dieses Land ist sogar in der Trauer noch so verlogen und so maßlos wie in der misslungenen Rettung der Welt.

Leo Anderson / 14.10.2021

Schmerzhaft peinlich finde ich auch, dass denjenigen, die gestern noch auf deutsche Soldaten geschossen haben, heute schon wieder deutsche Milliarden regelrecht angedient werden.

E Ekat / 14.10.2021

Spätestens seit grüne Pazifisten Belgrad (das lag im ehemaligen Jugoslawien) bombardieren ließen, büßte die Bundeswehr ihren bis dato auf reine Verteidigung lautenden Auftrag ein. Was jedoch bis dahin ein Teil des Selbstverständnises der damaligen BRD gewesen sein dürfte.  Einer der vielen kleinen Tode, die die BRD seitdem gestorben ist. Was anschließend mit der Bundeswehr angestellt wurde entsprach nicht mehr der Vorstellungskraft jener, welche diese BRD aufgebaut oder in dieser aufgewachsen waren. Der Bezug zur Vorstellung einer Verteidigungsarme wurde zerschlagen, indem er ins Gegenteil verkehrt wurde. Nicht überraschend, daß die Bundeswehr anschließnd von solcher Art Leute für ihre neue Rolle nicht ausgestattet wurde.

j. heini / 14.10.2021

Die Machtmittel des Staates: nach außen das Militär, nach innen die Polizei und eine gute Verwaltung. Jetzt mal überlegen, wo steht D? Es gibt kein Machtvakuum. Noch nicht mal in “der Natur”. Die Diskussion um den Wolf in unserer dichtbesiedelten Kulturlandschaft zeigt das z. B. sehr deutlich.

Werner Arning / 14.10.2021

Deutsche Politiker mögen keine deutschen Soldaten, es sei denn diese hätten Umstandskleidung an, oder hätten Migrationshintergrund, oder wären schwul, oder hätten eine starke Behinderung, oder würden sehr linke politische Ansichten haben, oder wären überzeugte Pazifisten. Hier wächst wohl nicht mehr zusammen, was nicht zusammen gehört.

Albert Pflüger / 14.10.2021

Der eigentliche Skandal ist es, daß nicht nur keinerlei Vorstellung darüber vorhanden war, wie man diesen Krieg hätte gewinnen können, was per se eine Beteiligung an solchem Abenteuer ausschließt, sondern daß man zusätzlich die Soldaten mit lückenhafter Ausrüstung losgeschickt hat, so daß sie auf Hilfe von Verbündeten angewiesen waren, um ihr Leben zu retten. Und wofür? Gauland hat die richtige Frage im Bundestag gestellt!

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