Peter Grimm / 09.08.2022 / 06:25 / Foto: Glenn Fawcett / 56 / Seite ausdrucken

Ein Gas-Ringtausch mit dem Kriegsgewinnler?

Ein autokratischer Herrscher ist bereits Sieger im Ukraine-Krieg: Recep Tayyip Erdogan. Könnte er mit einem Gas-Ringtausch sogar die deutschen Energie-Geisterfahrer vor dem Zusammenbruch retten?

Er nennt sich Präsident, aber er tritt gern auf wie ein absolutistischer Herrscher. Oppositionelle und kritische Journalisten hat er in den letzten Jahren verhaften und von willfährigen Richtern verurteilen lassen. Eine kritische Presse gibt es nicht mehr, missliebige Organisationen werden gern als ausländische Agenten diffamiert, und sollte es noch Proteste gegen den Herrscher geben, werden diese brutal mit Polizeigewalt aufgelöst. Die offiziellen Grenzen seines Staates sind für seinen Machtanspruch zu eng, da interessiert ihn so Nebensächliches wie das Völkerrecht auch nicht, wenn er seinen Truppen befiehlt, auf dem Territorium von Nachbarländern in seinem Sinne „für Ordnung“ zu sorgen. Dieser Mann kann schon jetzt sagen, dass er zu den Gewinnern des Ukraine-Kriegs zählt.

Es ist natürlich nicht Wladimir Putin, obwohl die obige Beschreibung auf ihn ebenso zuträfe. Doch im Gegensatz zu Wladimir Putin ist dessen türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan in der westlichen Welt kein Ausgestoßener, sondern wird beispielsweise als NATO-Partner hofiert. Über die Menschenrechtsverletzungen in seinem Land, die Völkerrechtsbrüche, das Zündeln in anderen zwischenstaatlichen Konflikten, wie dem in Berg-Karabach beispielsweise, oder die wiederholte Bedrohung der Souveränität Griechenlands und Zyperns in deren Luftraum und Hoheitsgewässern, wird ihm nachgesehen.

Kaum Kritik hört man daran, dass dieser NATO-Partner keinerlei Anstalten macht, sich beispielsweise den Sanktionen gegen Russland anzuschließen, obwohl sich doch die Bündnispartner an der russischen und weißrussischen Grenze aus Moskau bedroht fühlen. Im Gegenteil. Erdogan kann sich profilieren als der Mann, der den ukrainischen Getreide-Export ermöglicht. Gleichzeitig vertieft er die Geschäftsbeziehungen mit Putin. Schon weit vor dem Ukraine-Krieg provozierte er die USA durch Rüstungsgeschäfte mit den Russen. 2017 kaufte die Türkei das russische Raketenabwehrsystem S-400, trotz Protest der NATO-Partner, die dadurch Schwierigkeiten bei der militärischen Zusammenarbeit innerhalb der Allianz fürchteten. Doch Erdogan ließ sich nicht umstimmen. Wahrscheinlich sehen die Herrscher-Kollegen Putin und Erdogan im Westen, insbesondere in der EU, beide einen schwachen Partner bzw. Gegner.

Der Despot darf gern aushelfen

Und Erdogan muss im Westen auch höchstens verbale Kritik an seiner Politik, den Menschenrechtsverletzungen oder aggressiven Akten fürchten. Über all das sehen unsere regierenden Politiker – sonst gern Weltmeister der Hochmoral – bis auf wenige regelbestätigende Ausnahmen weitgehend hinweg. Der Autokrat aus Ankara wird einfach gebraucht. EU-Regierungen lassen ihre Steuerzahler bekanntlich seit Jahren mit Milliarden dafür zahlen, dass ihnen die Türkei einen Teil der Massenmigration vom Leibe hält. Sie selbst wollen weder Grenzen konsequent schützen noch will beispielsweise Deutschland seinen Lockruf der Vollversorgung bei Ankunft und Asylantrag verstummen lassen. Damit es dann mit dem Zustrom dennoch nicht ganz so schlimm kommt, lässt man sich am Ende gern vom Despoten aushelfen.

Jetzt bekommt er vielleicht wieder eine solche Gelegenheit, im engen Zusammenspiel mit Wladimir Putin. Als er seinen russischen Kollegen jüngst in Sotschi besuchte, fragten sich westliche Berichterstatter vor allem, ob es einen Rüstungsdeal der beiden Autokraten geben würde. Moskau hatte zuvor unüberhörbares Interesse am Erwerb türkischer Bayraktar-Kampfdrohnen geäußert. Bayraktar-Kampfdrohnen hat Erdogans Türkei auch an die Ukraine verkauft, wo sie – so heißt es – bislang auch erfolgreich im Verteidigungskrieg gegen Russland eingesetzt wurden.

Nun ist der gleichzeitige Verkauf begehrter Waffen an Kriegsparteien auf beiden Seiten der Front grundsätzlich nichts Neues. Aber in dieser Konstellation, dass der NATO-Bündnispartner Erdogan Waffen an Russland verkauft, während ein Großteil der NATO-Staaten die Ukraine im Kampf gegen die russischen Angreifer massiv unterstützen, wäre das schon recht speziell. In den Medien konnte man denn auch ein erleichtertes Aufatmen vernehmen, als es zu keinem solchen Geschäft in Sotschi kam. Die westlichen Politiker hätten darauf reagieren müssen und vermutlich nicht gewusst wie. Aber dass der Waffenverkauf nicht in Sotschi vereinbart wurde, schließt ja nicht aus, dass es dennoch demnächst zu einem solchen Geschäft kommen könnte.

Weniger öffentliche Beachtung fand der Umstand, dass die Machthaber aus Moskau und Ankara der EU auch genüsslich demonstrierten, wie sehr sie am Ende auch für die Gasversorgung einiger Staaten in der Brüsseler Union gebraucht werden. Während alle Welt in den letzten Jahren über die Ostseepipeline Nord-Stream-2 diskutiert hat und jeder weiß, wie sehr der Gasstrom durch Vorläufer Nord-Stream-1 gedrosselt wurde, genoss der Auf- und Ausbau der Turkstream-Pipeline, mit der inzwischen russisches Gas über die Türkei in die EU geliefert wird, vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit.

„Die Europäer sollten dankbar sein“

Damit es die europäische Öffentlichkeit auch bemerkt, hat sich Wladimir Putin in Sotschi demonstrativen Spott über die Europäer gegönnt, wie die Berliner Zeitung von dem Treffen berichtet hat:

„Der russische Präsident Wladimir Putin streute daher genüsslich Salz in die Wunde, die Brüssel und Berlin quält, und sagte, die Europäer sollten Erdogan dankbar sein, dass sie über die Pipeline TurkStream noch russisches Gas beziehen könnten. Die türkischen Medien feierten das Lob aus Moskau entsprechend. Laut russischen Staatsmedien sagte Putin mit Blick auf die Schwierigkeiten bei Energieexporten, insbesondere den Turbinen-Streit bei Nord Stream 1: ‚TurkStream funktioniert im Gegensatz zu allen anderen Routen für unsere Lieferungen regelmäßig und ohne Ausfälle.' Die Türkei kassiert für die Durchleitung des russischen Gases nach Europa – wie auch die Ukraine – erhebliche Transitgebühren.“

Und das russische Gas aus der Turkstream-Pipeline ist bei einigen EU-Mitgliedstaaten hoch willkommen, insbesondere in Bulgarien, Rumänien und Ungarn. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto war im Juli eigens nach Moskau gereist, um über eine Erhöhung russischer Gaslieferungen zu sprechen. Ungarn will seine Speicher füllen. Und das russische Gas soll vor allem via Turkstream bezogen werden.

Ein Grund für diesen Schritt: Über eine Pipeline aus Österreich – einem bislang stärker genutzten Lieferweg – sei nur noch die Hälfte der üblichen Gasmenge gekommen, offenbar weil zu wenig Gas über Nord-Stream-1 in das Netz eingespeist worden war.

Wenn aber das russische Gas über Turkstream ins europäische Netz kommt, könnte es dann nicht auf diesem Umweg vielleicht auch ins bald notleidende Deutschland gepumpt werden? Momentan stünde dem zwar ein von Ungarn verhängtes Gasexportverbot entgegen, aber was ist, wenn die ungarischen Speicher voll sind und auch Ungarn mit dem Durchleiten Geld verdienen könnte? Das ginge zwar nicht über die Hungaria-Austria-Gasleitung, die funktioniert nur in West-Ost-Richtung, aber beispielsweise eine Pipeline in die Slowakei kann in beiden Richtungen betrieben werden. Hoffen die deutschen Energie-Poltiker vielleicht insgeheim darauf, fehlendes Gas im Ernstfall über eine Art Gas-Ringtausch zu beziehen, so wie deutsche Waffenlieferungen ja auch über einen Panzer-Ringtausch in die Ukraine gingen?

Auf jeden Fall ist Südosteuropa beim Gas nun enger mit Russland und der Türkei verflochten. Für Erdogan bietet der Ukraine-Krieg nun auch über den Energiehandel die Chance auf mehr Macht und Einfluss. Er ist auf jeden Fall ein großer Kriegsgewinnler, aber im Falle der Energie hat ihm dabei auch die deutsche Energiewende gehörig geholfen. 

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Franz Klar / 09.08.2022

@Arthur Sonnenschein: ” Lt. Statista exportiert Deutschland fast so viel Gas wie es importiert. Wie ist das möglich”? Es ist nicht das gleiche Gas . Vorne kömmt Methanmix in den Brenner rin , hinten kömmt CO² raus und wird in die Atmosphäre exportiert . Die Volumina können Chemiker wie Dr. @Giesemann berechnen .

Marc Munich / 09.08.2022

Frances Johnson: “dann wäre die irre Zeit, initiiert von Clinton/Gore/Obama und fortgeführt vom greisen Biden, vielleicht zu Ende, und das wäre erholsam.”    Das sind aber höchstens die Schmidls, und nicht die Schmidts.  Kinderbuchschreiber, Kobolde sowie Schlümpfe ohne Gedächtnis initiieren ja auch nichts, sondern führen höchstens aus.  Für die “kreative Zerstörung” A llah Onkel Klaus hätten allerdings nicht erst dessen grüne “Lasst uns dieses Europa gemeinsam verenden”-Schützlinge ernannt werden müssen, auch wenn die auf diesem Gebiet schon immer die Pole-Position inne hatten.  Hier wäre man auch mit den schwarz lackierten Abrissbirnen*innen weiter bestens gefahren.

Edgar Jaeger / 09.08.2022

Natürlich ist Südosteuropa inclusive Ungarn noch vom russischem Gas abhängig -noch. Schließlich waren diese Länder 40 Jahre unter der Knute Rußlands, aber Sie haben vesucht seit dem zusammenbruch der Sowjetunion sich von Rußland zu emanzipieren - im Gegensatz zu Deutschland. So fördert mittlerweile Rumänien Erdgas im Schwrzen Meer welches durch die BRUA bis nach Österreich gepumpt wird. Während Deutschland aufhört zu duschen und anfängt zu stinken, haben die Südosteuropäer Ihr Schicksal in die eigene Hand genommen und gelernt ohne Rußland zu leben.  Jetzt verlangt Deutschlend von Bulgarien, Rumänien und Ungarn, dass diese Länder für die verfehlte deutsche Politik aufkommen? Was ich so von den Baltischen Statten inclusive Finnland und Polen höre haben sich diese Länder auch von Rußland abkoppeln können. Die Achse sollte mehr darüber berichten was andere Länder richtig machten, statt immer negativ zu schreiben was Deutschland falsch macht.

S. Wietzke / 09.08.2022

Hier muss nichts “vor dem Zusammenbruch gerettet” werden. Schließlich möchten so um die 90% der Bewohner zwischen Rhein und Oder möglichst schnell wieder zurück ins Mittelalter. Und das schon seit Jahrzehnten. Ich kann auch nicht die geringsten Anzeichen erkennen das sich an dieser Wunschvorstellung irgend was geändert hatte. Ganz im Gegenteil, spüre ich eine zunehmende Verärgerung darüber das das so lange dauert. Schließlich hat die Einheitsfront der grünen Khmer da doch eine deutliche Beschleunigung versprochen.

Leo Hohensee / 09.08.2022

Wir nehmen hin und akzeptieren die ausgerufene Selbstzerstörung privat und an Wirtschaftskraft und Wohlergehen im eigenen Lande. Es wird parliert und getrommelt, dass wie das einfach leisten müssen. Wieso akzeptieren wir als Volk, dass unsere luxusversorgten Regierungsdarsteller solche Regeln erlassen? Wieso? Wem steht es zu, solche Zerstörung am eigenen Volk anzurichten und zu fordern?— Öffnet gefälligst Nordstream 2 und lasst gefälligst das Geld deutscher Steuerzahler im eigenen Land !!!!— Und, hört auf, Deutschland als Wohlfahrtsinstitut auszubauen und zu vermarkten, als Wohlfahrtsinstitut für alle Versprengten dieser Welt.

Marc Greiner / 09.08.2022

Wen im Westen Jahrelang ohne Prinzipien regiert wird - ausgenommen die Trump-Jahre - und man sich um Scheinprobleme wie Klima und Gender kümmert, dann kommt es eben soweit, dass man von der Türkei, Marokko usw. an der Nase rumgeführt wird. Von russland und Iran gar nicht zu reden. Da war Deutschland Spitze im hofieren.

Peter Holschke / 09.08.2022

Kurz gesagt, Die deutsche Regierung will kein billiges Gas, sondern teures, vermutlich um den inländischen Gaspreis mit den Strompreis zu egalisieren. Aus Gründen der ideologischen “Energiewende”. Zudem wird mit teurem Gas international “umverteilt”, Wohlstand fließt ab und Handelsüberschüsse werden ausgeglichen. Daher sabotiert die deutsche Regierung billiges russisches Gas aus Direktlieferungen, hat aber kein Problem verteuertes russisches Gas über Umwege zu verantworten. Der Effekt der Deindustrialisierung und der Zerstörung des Mittelstandes ist darüber erwünscht. Merke: die deutsche Regierung sind Agenten Brüssels und Lakaien der neofeudalen Globalisten.

Dr Stefan Lehnhoff / 09.08.2022

Ein gewisser Joschka Fischer war jahrelang Cheflobbyist für Turkstream im Auftrag einer gewissen Frau Albright, Ex-Außenministerin einer Nation, die gleichzeitig ihren eigenen Bündnispartner Deutschland schon vor Jahren wegen einer zusätzlichen Leitung zur Versorgungssicherheit sanktionierte. Schröder würde wohl sagen: Heute zeigt sich, wie notwendig NS2 war. Und niemand kann ihn wiederlegen.

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