Joachim Nikolaus Steinhöfel / 17.05.2019 / 11:00 / Foto: A.Savin / 23 / Seite ausdrucken

Ein Frontalangriff auf die Meinungsfreiheit

Am 13.05.2019 war ich Sachverständiger in einer Anhörung zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz vor dem Ausschuß für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages. Jeder Sachverständige hatte Gelegenheit, eine maximal vierminütige Eingangsstellungnahme gegenüber den Abgeordneten des Ausschusses abzugeben. Nachstehend deren Wortlaut, meine ausführliche schriftliche Stellungnahme ist hier auf der Seite des Deutschen Bundestages abrufbar.

Opening Statement in der Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages zum NetzDG 

Das NetzDG stellt einen Frontalangriff auf die Meinungsfreiheit dar, wie ihn die Republik seit der „Spiegel-Affäre“ oder Adenauers vor dem Verfassungsgericht gescheitertem Versuch, ein „Staatsfernsehen“ einzurichten, nicht mehr erlebt hat. Es steht auch für eine Kapitulation des Rechtsstaates vor der Aufgabe, geltendes Recht durchzusetzen.

Am 19. Juni 2017 war ich schon einmal in diesem Raum. Als Zuschauer bei der Anhörung über den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zum NetzDG.

Sieben von zehn der damals hier anwesenden Sachverständigen erklärten den Gesetzesentwurf für: “verfassungswidrig, europarechtswidrig”, hielten “schwerwiegende Grundrechtseingriffe (für) denkbar”, “Das Gesetz wird in Karlsruhe scheitern. Das Bundesverfassungsgericht wird seine Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit nicht vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz faktisch einebnen lassen”, hieß es, “Facebook wird gedrängt, Richter über die Meinungsfreiheit zu sein, ohne dass dies rechtsstaatlich begleitet wird. Das Gesetz bedroht die Meinungs- und Pressefreiheit”, man habe “ausdrückliche verfassungsrechtliche Bedenken”, es sei “nicht verfassungsgemäß”.

Ich hatte es damals nicht für möglich gehalten, dass sich die Regierungsparteien über diese gewichtigen Bedenken hinwegsetzen würden.

Nach der Abstimmung über die Ehe für Alle fand das Gesetz eine formale Mehrheit im fast menschenleeren Plenum. Eine Dokumentation der Geringschätzung gegenüber dem Souverän. Das Gesetz war von Anfang an überflüssig. Jedenfalls dann, wenn man von einem funktionierenden Rechtsstaat ausgeht.

Im April 2017 hatte ein 57-jähriger Arbeitsloser die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth, auf Facebook als „linksfaschistische Sau“ beschimpft und gefordert, sie „aufzuhängen“. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Arbeitslosen wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Beleidigung zu einer Geldstrafe von 4.800 Euro. Bei einem berufstätigen Arbeitnehmer wäre die Strafe deutlich fünfstellig ausgefallen. Dieses Beispiel, eines von vielen, belegt, dass der Rechtsstaat – auch ohne NetzDG – auf Straftaten im Netz hart und angemessen reagieren konnte.

Ein Gericht sollte das letzte Wort darüber haben, ob ein Inhalt straf- oder zivilrechtliche Vorschriften verletzt und zu löschen ist oder online bleiben muss. Die massenhafte Verlagerung dieser Entscheidungsbefugnis in die Löschzentren der Internet-Riesen, wo nicht hinreichend geschulte Kräfte auf Mindestlohnbasis im Sekundentakt freie Rede exekutieren, ist eines Rechtstaates unwürdig.

Die sogenannten „Gemeinschaftsstandards“ entwickeln sich dort zu einer Art supranationalem Recht, das über unserem Art. 5 rangiert. Geschaffen von der IT-Aristokratie im Silicon Valley, den weltweit zuständigen Wächtern über „Hate Speech“. Personen, die sich für offenbar moralisch so überlegen halten, dass sie sich ohne jede demokratische Legitimation anmaßen, die Wächter über die Kommunikationsgewohnheiten von 7 Milliarden Menschen zu sein.

Selbst die Befürworter des Gesetzes sollten erkennen, dass es bis zum heutigen Tage keinen erkennbaren Nutzen gebracht hat. Dem Bundesamt für Justiz wurden 32 neue Planstellen bewilligt, und dennoch war man dort trotz vom Steuerzahler zu tragender Personalkosten in Millionenhöhe bis heute noch nicht einmal zu einer Evaluierung des Gesetzes oder einer Auswertung der Transparenzberichte in der Lage. Und wenn dessen Präsident im WDR angesichts eines ersten geplanten Verfahrens von „mächtigen Gegnern“ spricht, die mit Hilfe von Anwälten „ein Verfahren verzögern könnten“, dann ist das kein Auftreten, das Unternehmen wie Facebook, die in den USA gerade 5 Milliarden Dollar für eine erwartete Strafe der Federal Trade Commission zurückstellen, beeindruckt.

Alle im Bundestag vertretenen Oppositionsparteien lehnen das Gesetz in wesentlichen Teilen als verfassungswidrig ab. Dass es hier angesichts so weitreichender Übereinstimmung und angesichts der greifbaren Gefahren für ein so elementares Grundrecht wie die Meinungsfreiheit nicht einmal für den Minimalkonsens abstrakte Normenkontrollklage reichen soll, ist den betroffenen Bürgern nur schwer zu vermitteln.

Es wäre ein Akt echter gesetzgeberischer und demokratischer Souveränität, das Gesetz komplett aufzuheben und bewahrenswerte Teile wie die Vorschrift über den Zustellungsbevollmächtigten, das Beschwerdeverfahren oder die Transparenzpflichten in andere Gesetze zu integrieren.

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Klaus Schmid / 17.05.2019

Und wo sind die Klagen gegen das Gesetz? Traut sich niemand? darf niemand?

marc von aberncron / 17.05.2019

Uneingeschränkte Zustimmung! “Das Ärgernis der Freiheit läßt sich nicht beseitigen, ohne die Freiheit selbst anzutasten.” (Josef Isensee)

Ulrich Gartner / 17.05.2019

Ein Detail verstehe ich nicht: Das mit über 8 Milliarden Euro jährlich zwangsfinanzierte Staatsfernsehen gibt es doch?

Gert Köppe / 17.05.2019

Es wurden neue Planstellen geschaffen, das ist doch schon mal ein “Nutzten“. Dann sollten wir auch nicht vergessen, es geht ja schließlich um das Ansehen vom “Maas-Männlein“. Er hat bisher nicht so viel Sinnvolles geschaffen in seinem beruflichen Dasein. Mit irgendwas MUSS er doch in die Geschichtsbücher kommen, was Großes, was wo sein Name drauf klebt. Er will doch auch mal mit geschwollener Brust durch die Gegend traben. Erbarmt euch seiner mickrigen Seele. Zeigt Verständnis! ;-)

Arnd Siewert / 17.05.2019

Die Arbeitsverweigerung der etablierten Parteien im Bundestag sucht seines gleichen! Aber Staatsfernsehen haben wir schon sehr lange! Leute die mit dem Munde in eine Rechtsprechung treten und das Gegenteil befördern sind Heuchler ( O-Ton Johannes der Täufer/“Schlangenbrut und Otterngezücht”) Und das babylonische Merkelreich (Gesetzlosigkeit nimmt überhand) führt Richtung Bankrott…..

Tobias Gall / 17.05.2019

Eine sehr eindrucksvolle und in jeder Hinsicht überzeugende Einlassung, die mich auch zu herzhaftem Lachen veranlasst hat, weil Sie die erfrischende Beleidigung von Frau Roth dem Bundestag zu Gehör brachten ohne einen strafrechtlichen Zweifelsfall zu bewirken. Brillant!

Frank Stricker / 17.05.2019

Lieber Herr Steinhöfel , vielen Dank für ihr unermüdliches Engagement für die Meinungsfreiheit in diesem Land ! Es ist völliger Unsinn anzunehmen , dass ein sogenannter “Faktenchecker” sämtliche Meinungen im Netz objektiv in “Richtig” und “Falsch”  einordnen kann.  Jede Organisation , ob Facebook oder regierungsnahe Institutionen oder NGO"S haben natürlich ein erhebliches Interesse daran , zustimmende Meinungen zu verstärken und kritische Meinungen zu löschen. Da helfen im Zweifelsfalle nur ordentliche Gerichte , ohne wenn und aber !

Dr. Gerhard Giesemann / 17.05.2019

Also, um es nur klar zu stellen: Wer sich bei facebook und Konsorten auch nur anmeldet, geschweige denn äußert, der gehört allein deswegen eingelkastelt - ab in den Bau, bei Wasser und Brot. Bis er schwarz wird, der Depp. Wer “google” benutzt, dito. In DE benutzen über 90% “google”, in den USA sind nur etwa 40% genauso blöd. Ich nehme eine Metasuchmaschine, die größte im deutschsprachigen Raum heißt “metager.de”. Dort keine Werbung, kein Ausspionieren, man kann sogar mal eine Fundstelle anonym öffnen, falls gewünscht. Die Suchergebnisse kann Jeder selbst mit google vergleichen - manchmal sogar besser, vor allem bei juristischen Fragestellungen. Sapere aude! Man kann es aber auch bleiben lassen. Bin gespannt, wann sich der erste Moslem selbst anzeigt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung - wahlweise in- oder ausländisch - gemäß mindestens § 130 StGB.

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