Dass hinterher immer alle Parteien gewonnen haben, das haben uns die Parteipromis am Abend nach der Wahl zu den drei Landtagen noch einmal eingebläut. Dabei machte es keinen Unterschied, welches Programm man einschaltete. Alle Kanäle waren wie ein einziger Kanal. Überall Sieger und hilflose Interviewer, die die Lügen und Widersprüche widerstandslos durchwinkten.
Den Gipfel an rabulistischer Verklärung lieferte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Die eigentliche Gewinnerin der Wahl, so sagte sie, sei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Wahlsieger von Mainz und Stuttgart, Dreyer von der SPD und Kretschmann von den Grünen, seien beide Befürworter der Merkelschen Flüchtlingspolitik. Ihr Sieg sei deshalb ein Sieg für Merkel.
Schreckliche Vorstellung: Es ist Krieg, und eine solche Verteidigungsministerin soll Deutschland verteidigen. Spätestens nach 14 Tagen stehen die Russen wieder vor der Reichskanzlei, und Frau Ulla reckt im Bendlerblock zwei Finger zum Siegeszeichen in die Höhe. Genau genommen, hätten die Deutschen gewonnen. Denn die Russen hätten mit ihrem Vorgehen gezeigt, dass Sie Berlin besser als Moskau und Buletten besser als Palmeni fänden.
Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, betete dasselbe Mantra herunter wie von der Leyen. Der Wahlsonntag habe gezeigt, dass die Mehrheit der Deutschen hinter Merkels Flüchtlingspolitik stehe. Dito der Sozialdemokrat Thomas Oppermann. Desgleichen der „Stern“-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges bei Maischberger.
So ein Wahlabend ist ein Festival der Heuchelei und der Verlogenheit. Die Kanzlerin schickt eine frohe und verlogene Botschaft aus Berlin: Der Erfolg der AfD sei kein Problem für die CDU. Man denke: Die Christdemokraten verloren zwölf Prozentpunkte und damit Hunderttausende Wähler in Baden-Württemberg, die meisten davon an die AfD. Und Mutti Merkel sieht darin angeblich kein Problem. Angela Pinocchia.
CDU-General Peter Tauber hielt - allen widrigen Fakten zum Trotz – gleichfalls eisern Kurs. Auf die Frage, ob das Wahlresultat Anlass zu der Frage gebe, ob die Flüchtlingspolitik hinterfragt werden müsse, antwortete er lakonisch: "Das sehe ich nicht." In Sachsen-Anhalt hätten immerhin 75 Prozent der Wähler signalisiert, dass sie mit der AfD nichts zu tun haben wollen. Konsequent hätte er anfügen müssen, dass in Baden-Württemberg 73 Prozent der Wähler signalisiert hatten, dass sie mit der CDU nichts zu tun haben wollten.
Thomas Oppermann sah immerhin gewisse Defizite im Koalitionslager als Ursachen für den Trend nach rechts. Aber nur bei der CDU/CSU natürlich. Die Schwarzen seien nicht mehr bürgerlich genug, um bürgerliche Wähler an sich zu binden. Er tat so, als sei die SPD nicht der noch größere Verlierer. Sie hatte in zwei von drei Bundesländern jeweils über zehn Prozent verloren.
Der Linke Gregor Gysi haute in dieselbe Kerbe. Die CDU solle endlich wieder richtig konservativ werden. Gilt der Rat im Umkehrschluss auch für die Linken? Müssen die erst wieder richtig links werden, damit man sie ernst nehmen kann? Sie sind in ihrem Stammland Sachsen-Anhalt immerhin mit 7,4 Prozent Verlust auf die Schnauze geflogen.
Irgendein Nobody von der CDU erläuterte in vorgerückter Wahlnacht die Gewinne der "Alternative für Deutschland" so: Die AfD-Wähler, das seien lauter Hartz-4- und Mindestlohnempfänger. Kurzum: Pack, Präkariat. Die Wahlanalyse sagt genau das Gegenteil: AfD-Wähler sind überwiegend Besserverdiener. Das steht auch im Einklang mit dem AfD-Wahlprogramm, das sich für die drastische Rücknahme der Hartz-IV-Sätze ausspricht.
SPD-Flatulenzenschleuder Ralf Stegner sagte, es sei nunmehr Toleranz geboten. Dann haute er tüchtig drauf auf die Gemeinschaft der entkoppelten Konservativen, mit frenetischer Intoleranz und mit Diffamierungen. Er frage sich, ob man mit denen überhaupt reden solle. Die "demokratiefeindliche Partei von Idioten" könne man sowieso nicht belehren. Sie sei verantwortlich dafür, dass jede zweite Nacht in Deutschland ein Asylbewerberheim brenne.
Roger Köppel, Politiker der "Schweizerische Volkspartei", hat im deutschen Fernsehen davor gewarnt, die Merkel-Gegner zu dämonisieren. Wer sie zu Schmuddelkindern degradiere, treibe sie in die rechte Ecke. Quod erat demonstrandum am 13. März. Aber auf Köppel hört keiner. Er ist ja selbst ein Rechter, und von so einem nimmt das "Kartell der Parteien, die alle die gleiche Meinung haben" (so "Zeit"- Chefredakteur Giovanni di Lorenzo) keinen Rat an. Sie gebärden sich weiterhin als Treuhänder des Volkes, tun aber so, „als wenn es nicht zugegen wäre“ (so Alexis de Tocqueville über Frankreich vor der Revolution).
Warum lassen die TV-Moderatoren den Pöblern und Hohlschwätzern alles durchgehen? Plasberg, Illner, Will, Maischberger trauen sich vor lauter Harmoniebeflissenheit nicht, kritische Fragen zu stellen. Nein, die rachitische Streitkultur der deutschen Talkshows fördert nicht die politische Meinungsbildung. Es wird ein bisschen gestänkert, gegen die Politik, aber kaum gegen die Kanzlerin, die deren Richtlinien bestimmt, wichtige Fragen werden gar nicht erst gestellt.
Plasberg ist der einzige, dem man einen gewissen Biss nicht bestreiten kann. Auch Michel Friedman vom Hessischen Rundfunkt hat sich mit penetrantem Nachhaken Respekt erworben. Er hat es sogar geschafft, den früheren AfD-Chef Bernd Lucke nach einem heftigen Wortgemenge zum vorzeitigen Verlassen des „Studio Friedman“ zu treiben.
Die Vertreibung Luckes war ein rühmlicher Einzelfall. Sonst wird selten insistiert oder nachgehakt. Warum zog etwa Plasberg von der Leyen nicht für Ihre Klittereien die Ohren lang, warum konfrontierte er den kanzlerbesessene Peter Altmeier, der immer noch unrealistisch über europäische Lösungen der Flüchtlingsfrage und über Ursachenbekämpfung schwadronierte, nicht mit der Wirklichkeit? Warum fragte Anne Will Bundeskanzlerin Merkel nicht in ihrer Solo-Show: "Frau Bundeskanzlerin, der Merkelismus ist gescheitert, Deutschland ist isoliert, die Mehrheit der Nation steht gegen Ihre Politik der offenen Tür. Was muss noch passieren, damit sie zurücktreten?“ Stattdessen bot sie ihrem erlauchten Gast devot ein wohlfeiles Forum, um die Politik des Weiterso zu bekräftigen.
Die deutschen Fernsehsender brauchen ihre Ergebenheit gegenüber der Kanzlerin nicht explizit zu artikulieren. Weil die Streiter immer aus demselben Personenkreis rekrutiert werden, steht es in den Talkrunden stets eins bis anderthalb gegen drei bis dreieinhalb für die Regierungspolitik – auch wenn welche aus der bayerischen Permafrostzone darunter sind. Selten, dass man einer aus den Merkel-Fan-Clubs ausschert, die sich zwei- bis dreimal die Woche vor den Kameras versammeln. Deshalb soll man die öffentlichen Sendeanstalten allerdings noch nicht als Regierungsfernsehen verspotten. Denn die Internet-Plattformen und die Printmedien sind in dieser Hinsicht noch affirmativer.
Man muss sich fragen, ob die Diskurs-Direktoren und -Directricen nicht mit Disziplinargewalt auszustatten wären. Dann könnten sie, wenn sie wirklich an der Wahrheit interessiert wären, Teilnehmer, die entgegen besserem Wissen von „europäischen Lösungen“ und von „Ursachenbeseitigung“ fabulieren, mit Nachsitzen bestrafen. Es darf als erhärtet gelten, dass sich alle Europäer – außer Deutschen und im begrenzten Umfang Schweden und Österreicher – nicht an einer gesamteuropäischen Lösung beteiligen wollen. Alle EU-Gipfelkonferenzen zur Sache haben bewiesen, dass sich an diesem negativen Grundkonsens nichts ändern wird.
Fest seht: An den externen Ursachen der Fluchtbewegung, die Merkel beseitigen möchte, können die Deutschen nichts ändern, es sei denn sie würden die Bundeswehr nach Syrien schicken. Die Not in Afrika haben sie nicht mal gelindert, obwohl sie in den vergangenen sechzig Jahren hunderte Milliarden Euro an Entwicklungshilfe in den afrikanischen Sumpf gepumpt haben. Die Perspektiven werden auch nicht besser. Denn die Bevölkerungsexplosion in Afrika macht jeden Fortschritt platt. Die wichtigste Fluchtursache, nämlich die Sogwirkung des deutschen Sozialstaates, bleibt aber parteiübergreifend tabu.
Die Talk-Dirigenten greifen auch nicht ein, wenn Debattierer andersdenkenden Debattierern mit Lügen die Ehre abschneiden. Anne Will ließ es geschehen, daß die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping, in ihrer Sendung dem österreichischen Außenminister Sebastian Kurz anbelllte: „Ihre Politik besteht nur aus Tränengas und Schießen.“ Will wusste natürlich, dass das eine Lüge war, dass in Österreich bisher kein Tränengas eingesetzt und dass schon gar nicht geschossen wurde.
Und warum wies Maybritt Illner nicht den Vorwurf von Sahra Wagenknecht zurück, die desolaten Zustände im griechischen Idomeni seien eine „Schande für Europa“. Sie wusste doch, dass es den Flüchtlingen frei steht, Idomeni zu verlassen und sich in komfortablere Lager zu begeben, dass sie lieber im Schlamm kampieren, als sich freiwillig zurückzuziehen. Stattdessen zeigte sie einen herzerweichenden Film über das Flüchtlingselend und fragte die anwesende Verteidigungsministerin, warum deren Regierung keine Busse nach Idomeni schicke, um die Migranten abzuholen.
Die Talk-Vorsteher stellen selten oder nie wirklich delikate Fragen. Sie fragen natürlich auch nicht, ob die Flüchtlinge vorwiegend verzweifelt oder vorwiegend verantwortungslos sind, wenn sie sich in den Modder von Idomeni begeben.
Ja, doch, hier und da wird vom Publikum und von Gästen auch Kritik vorgetragen, sogar Kritik an der Regierung. Aber die anwesenden Politiker der neuen Blockparteien lassen nie einen Zweifel daran, dass so was keinen Einfluss auf die Berliner Politik haben wird. Solche Gutsherrenallüren werden auch allgemein als gottgewollt akzeptiert.
Der kommunistische Dichter Bertolt Brecht hat vor über sechzig Jahren die Arroganz der politischen Klasse in der DDR mit grandiosem Sarkasmus persifliert. Nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 wurden er auf der Stalinallee Flugblätter mit einem Brecht-Vorschlag verteilt. „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“
Das wäre wohl auch heute für die Bundesrepublik die beste Problemlösung.