Gunter Weißgerber / 22.03.2017 / 06:00 / Foto: Tomaschoff / 9 / Seite ausdrucken

Ein Fall für Schwesig: Aufklärung für Deutschtürken

Von Gunter Weißgerber.

Erdogan macht in Deutschland türkischen Wahlkampf mit türkischen Mitteln. Es scheint sein Land zu sein, welches er von seiner Fünften Kolonne bewohnt wähnt. Deshalb auch seine Abwehr jeglicher Assimilation. Der explosive Zustand in Deutschland soll nach seinem Willen aufrecht erhalten bleiben. Mit dem Doppelpass haben ihm sogar noch einen Teil der Grundlage frei Haus mitgeliefert. 

Wären die meisten der hier lebenden Deutschtürken "nur" deutsche Staatsbürger, Erdogan würde hier keinen Wahlkampf machen wollen. Es wäre eh nix an Stimmen zu holen.

Mein Freund Ernst Eichengrün machte vor einiger Zeit einen Vorschlag, den ich an mir gute Bekannte Bundestagsabgeordnete von SPD, CDU und Grünen weiterleitete. Bisher gab es keine Reaktionen. Ich hoffe, das bleibt nicht so. Ich möchte seine Anregung hier deshalb noch einmal aufgreifen. Es geht um eine dringend notwendige:

Politische Aufklärung für Deutsch-Türken

Aus den Medien-Berichten über die Yildirim-Kundgebung in Oberhausen geht hervor, dass etliche Türken - egal, ob gut oder weniger gut integriert – gar nicht wissen, worüber sie demnächst abstimmen.

Dem müsste dringend abgeholfen werden. Da viele Türken deutsche Medien nicht nutzen, etliche zudem nicht genügend Deutsch können, um komplexe Sachverhalte zu verstehen. Vorschlag deshalb: Auf einer in Türkisch gehaltenen Kurzinformation wird das Thema allgemeinverständlich abgehandelt. Sie sollte den örtlichen Anzeigenblättern so wie die Angebote von Lidl und Aldi beigelegt werden.

Hier wartet also eine sinnvolle gemeinsame Aufgabe für die Stiftungen der demokratischen Parteien. Vielleicht kann auch die "Türkische Gemeinde" das Blatt herausgeben. Die Finanzierung sollte der Bund übernehmen - direkt oder indirekt. Oder beispielsweise das Familienministerium mit seiner Aktion „Demokratie Leben“, die in diesem Jahr 104 Millionen Euro für solche Zwecke ausschüttet. Das wäre zugleich ein sinnvoller Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus. Und was den Inhalt betrifft:

Viele Türken sehen die Abstimmung als eine für Erdogan, für die Stabilität und für den wirtschaftlichen Aufschwung an. Darum geht es bei dem Referendum aber gar nicht. Es geht um eine Verfassungsänderung, die dem Präsidenten eine absolutistische Machtfülle bescheren würde und dem undemokratischen Missbrauch Tür und Tor öffnet. Es muss klar gemacht werden, dass es sich nicht um eine Abstimmung über aktuelle Personen oder Parteien handelt.

Wir können voraussetzen, dass viele der angesprochenen Personen generell für die Demokratie sind. Bei vielen fehlt es jedoch an der Erkenntnis, worin die Grundvoraussetzungen dafür bestehen: Meinungsfreiheit, unabhängige Justiz und vor allem Gewaltenteilung. 

Um nicht einseitig zu erscheinen, müsste das Flugblatt nicht nur das Für, sondern auch das Wider darlegen. Dabei sollten die üblichen schiefen Vergleiche der Erdogan-Truppe,  etwa mit den Ämtern des amerikanischen oder des französischen Präsidenten, geradegerückt werden.

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

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Dietrich Martin Schilling / 22.03.2017

Herr Weissgerber, glauben Sie im Ernst,dass ein absolutistischer Herrscher wie E.,in dessen Macht es liegt Hunderttausende von Menschen von der Bildfläche verschwinden zu lassen,es darauf ankommen lässt,dass eine Wahl zur VerfassungsÄnderung nicht in seinem Sinne ausgeht? Ich garantiere Ihnen,dass das Wahlergebnis bereits feststeht. Ich freue mich sogar darüber,weil sich damit endgültig diese widersinnigen Beitrittsverhand- lungen erledigt haben. Schönen Tach noch Dieter S.

Jürgen Albrink / 22.03.2017

Ich glaube nicht, dass das mit den Flyern funktioniert. Gerade die Anhänger Erdogans, die diese Kampagne ja erreichen soll, haben sich nie wirklich integriert und mißtrauen uns Deutschen. Wenn wir Kritik am Inhalt des Referendums üben, dann empfinden sie das als Kritik an Erdogan - und der ist für sie der Größte. Gestern hab ich einen Bericht über Vertreter der Nein-Fraktion im TV gesehen. Die haben versucht, Türken auf der Straße (Frankfurt, Zeil) anszusprechen und mit ihnen zu diskutieren. Die Meisten sind nicht mal stehen geblieben oder haben lautstark ihr Mißfallen über die Nein-Sager ausgedrückt. Also das wird nichts.

Ronald Rimbach / 22.03.2017

Herr Weissgerber, auf der einen Seite halte ich dies für eine gute Idee, auf der anderen Seite würde ich Sie gerne mal fragen, warum der deutsche Staatsbürger Geld für die Bildung und Aufklärung von Türken über das türkische Staatswesen ausgeben soll? Nur um zu verhindern, dass in Deutschland lebende Türken sich radikalisieren lassen? Aussderdem können deutsche Medien nur eingeschränkt Aussagen über die Informiertheit der Türken machen, da die türkischen Minister ihre Reden sicher nicht auf deutsch halten. Abschliessend halte ich Ihre Einschätzung für richtig, dass es hier um eine Verfassungsänderung, und nicht um Köpfe geht. Und doch ist diese Verfassungsänderung auf Erdogan zugeschnitten, und die nationalistischen Türken wollen einen starken Führer. Ihr Ansatz lauft m.E. somit ins Leere. Freundliche Grüsse, Ronald Rimbach

Klaus Klinner / 22.03.2017

Ich habe hin und her überlegt, finde den Vorschlag aber nicht gut. Mit einer solchen Aktion würden wir uns, genauso wie Schwesig und Co. auf die “Erziehungsschiene” begeben, uns letztendlich die Probleme der Türkei zu eigen machen. Nein, die Türken, egal wo lebend, sind für sich, ihr Land und die gesellschaftliche Entwicklung dort selbst verantwortlich. Ich zumindest möchte mich nicht auf das niedrige Niveau der selbsternannten Volkserzieher begeben.

Reinhard Lichti / 22.03.2017

Menschen aus der Türkei, die in Deutschland leben, erhalten die deutsche Staatsbürgerschaft, weil sie sich dem Staat in dem sie leben, mehr verbunden fühlen als dem Staat aus dem sie herkommen. Die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten sie zusätzlich zur türkischen Staatsbürgerschaft, weil der türkische Staat grundsätzlich niemanden aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlässt, auch wenn er sich einem anderen Staat mehr verbunden fühlt. Ist es dann nicht ein Widerspruch, dass solche Menschen plötzlich doch zu einer Wahl/Abstimmung eines Staates gehen, dem sie doch mit dem Wunsch nach der deutschen Staatsbürgerschaft “entsagt” haben? Könnte es dann sein, dass der Wunsch nach dem deutschen Pass gar nichts mit der Verbundenheit zu der neuen Heimat zu tun hat und der Bezug zur “alten Heimat” viel größer ist? Ist da nicht im Nachhinein die Grundlage für die doppelte Staatsbürgerschaft für die Teilnehmer an Wahlen/Abstimmungen des türkischen Staates entfallen?

Wilfried Cremer / 22.03.2017

Im Rahmen der Heranführungshilfen an die EU müssten solche Aufklärungskampagnen doch auch direkt in der Türkei stattfinden dürfen.

Bärbel Schneider / 22.03.2017

Offenbar ist die an Größenwahn grenzende Überzeugung, dass Deutschland für die ganze Welt verantwortlich wäre, immer noch weit verbreitet. Nein, Herr Weißgerber: Wenn wir nicht wünschen, dass ausländische Regierungen sich in unsere inneren Angelegenheiten einmischen, dürfen unsere Politiker es in ihrer offiziellen Funktion auch nicht tun. Erdogan würde daraus Nutzen ziehen: Er könnte es als Beweis dafür präsentieren, dass “der Westen” sich wieder einmal gegen ihn stellt und nach Kolonialherren- bzw. “Kreuzfahrer”-Art in die Angelegenheiten der Türkei einmischt. Das würde ihn eher stärken. Den hier lebenden Türken dürfte ohnehin bewußt sein, dass Deutschland die politische Entwicklung in der Türkei mit zunehmender Sorge begleitet.  Wenn ihnen nach Jahrzehnten in Deutschland immer noch nicht klar ist, was Demokratie bedeutet, wird man es ihnen in einer Zwei-Wochen-Aufklärungsaktion auch nicht beibringen können. Zumal der Zusammenhang zwischen Demokratie, Meinungsfreiheit, wirtschaftlicher Stärke und Sozialleistungen ohnehin schwer zu erklären ist. Und der Intellekt politische Entscheidungen oft weniger beeinflusst als Gefühle. Für ein “Nein” zum Referendum können allenfalls türkische Vereine oder Privatpersonen werben. Selbst dafür dürfte es inzwischen fast zu spät sein.

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