Im Berliner „Tagesspiegel“ kam es kürzlich zu einem besonders krassen Zusammenstoß zwischen Realität und Ideologie. In der letzten Woche durfte die 66-jährige Leserin Carmen Schiemann unter dem Titel „Willst du eins auf die Fresse?“ ihre alltäglichen Erfahrungen mit Belästigungen und Vandalismus im öffentlichen Nahverkehr schildern: pöbelnde Jugendliche, die ganze Bahnhöfe mit Handy-Musik beschallen, Gruppen von Trinkern, die ungeniert auf den Bahnsteig pinkeln, überforderte oder sich wegduckende BVG-Mitarbeiter. Dabei verschwieg sie nicht, dass etliche der von ihr beobachteten Akteure offenbar einen arabischen oder osteuropäischen Migrationshintergrund besaßen. Diese offensichtliche Tatsache stand jedoch keineswegs im Vordergrund ihres Artikels. Entsprechend lautete die zentrale Forderung an Politik und BVG: „Mehr Personal auf die Bahnhöfe!“, um der grassierenden Verwahrlosung und Verrohung der Sitten Einhalt zu gebieten.
Schiemann beschrieb Beobachtungen, die jeder teilt, der wachen Auges die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin nutzt und muss damit einen Nerv getroffen haben, vermutlich weil solch authentische Darstellungen in den Medien eher selten zu finden sind. Jedenfalls war ihr Erfahrungsbericht der meistdiskutierte Beitrag der Woche im „Tagesspiegel“ und wurde in hunderten User-Kommentaren diskutiert und um eigene Erfahrungen ergänzt.
In dieser Woche kam nun ein anderer „Tagesspiegel“-Leser mit einer Art Gegenrede zu Wort. Was wie ein guter demokratischer Brauch klingt – vielleicht hatte dieser Leser den vorwiegend negativen Erfahrungen von Frau Schiemann ja andere, positivere entgegenzusetzen – entpuppte sich als Mogelpackung. Denn der von der „Tagesspiegel“-Redaktion als normaler Leser ausgegebene Autor war in Wirklichkeit ein grüner Lokalpolitiker namens Matthias Oomen. Sein Beitrag enthielt keinerlei persönliche Erfahrungen, sondern strotzte vor Ressentiments, Unterstellungen und Verdrehungen, mit einem einzigen Ziel: die Erlebnisse von Carmen Schiemann kleinzureden und diese in die rechte Ecke zu schieben.
„Früher war alles besser, bis die Osteuropäer und Araber kamen“ legt Oomen der Leserin etwas in den Mund, was sie weder gesagt noch gemeint hatte. Mit krampfhafter Ironie bemüht er „meine Kindheitserinnerungen an das Berlin früherer Tage… Der Hardenbergplatz war für uns Kinder vom Bahnhof Zoo so toll, dass wir jedes Wochenende unsere Eltern anquengelten, mit uns dahin zu gehen… Und dann kamen die Osteuropäer und Araber und nahmen uns dieses Paradies weg.“
Gefühlte Berliner Kindheit
Ein kurzer Blick auf die Biografie des grünen Nachwuchspolitikers Oomen zeigt, dass er 1981 in Baden-Württemberg geboren wurde, dort auch Abitur gemacht hat und frühestens 2008 nach Berlin gezogen sein kann. Sein „Rückblick“, mit dem er den Eindruck zu erwecken versucht, er habe frühere Berliner Verhältnisse gut gekannt und könne zwischen damals und heute vergleichen, ist somit frei erfunden.
In demselben arroganten Duktus geht es weiter. Während Carmen Schiemann konkrete Erlebnisse einer einzigen Fahrt zwischen drei Bahnhöfen der U-Bahnlinie 8 beschreibt, schwadroniert Oberlehrer Oomen über den U-Bahnhof Leopoldplatz (Linien 6 und 9), lässt den Soziologen heraushängen und klatscht dann der Leserin in der Rolle eines Pegida-Sympathisanten ironischen Beifall: „Die linksversifften Gutmensch*innen behaupten, dass das, was am Leo(poldplatz) passiert, typische Armutserscheinungen sind… Was bitte sollen Armut und Kriminalität gemeinsam haben?... Heute, seitdem die Osteuropäer und Araber da sind, ist die Jugend plötzlich verdorben… Hört nur noch laut Hüpf-Hopf-Musik statt Heino.“
Platter und dümmlicher kann man „Satire“ nicht simulieren! Es steht zu befürchten, dass der grüne Alles-Checker, der auch schon bei anderer Gelegenheit von sich reden machte, den Erfahrungsbericht von Carmen Schiemann gar nicht gelesen hat, sondern – getriggert durch das Reizwort „arabische Jugendliche“ – sofort zum blindwütigen Rundumschlag gegen „Rassismus“ ausholt. Dass er dies auf dem ihm eigenen Niveau im Tagesspiegel tun darf, ist das eigentlich Erschreckende. Fake- und Hate-News sind in diesem Blatt offenbar dann salonfähig, wenn sie nur dem „richtigen“ Zweck dienen.
Wie inflationär und unreflektiert Mitglieder der „Tagesspiegel“-Redaktion die Nazikeule schwingen, zeigte sich letzte Woche auch im Beitrag von Caroline Fletscher, die sich in ihrem Artikel über die von Uwe Tellkamp, Henryk M. Broder und vielen anderen unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung 2018“ zu folgendem Satz verstieg: „Um hellhörig zu werden, muss man beim Begriff „Wiederherstellung“ nicht an das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ denken, das 1933 Juden und Oppositionelle aus ihren Posten warf.“
Was für ein erbärmlicher Taschenspielertrick, nur um einem Text, mit dem man nicht übereinstimmt, NS-Geruch anzuhängen. Offenbar gibt es so wenig sachliche Argumente gegen die „Erklärung“, dass deren Gegner ihr einziges Heil in Denunziation und Diffamierung sehen. Nach dem Motto: Wer es wagt, Kritik an der unkontrollierten Massenzuwanderung oder an Auswüchsen der real existierenden multikulturellen Gesellschaft zu üben, den drängen wir mit allen Mitteln in die rechte Schmuddelecke!
So stellt sich in der Nachbetrachtung auch der scheinbar demokratische Dialog zwischen zwei „Lesern“ als volkspädagogische Maßnahme heraus: Dafür, dass eine Vertreterin der Bevölkerung etwas gesehen hat, was sie nicht sehen sollte, darf ein Vertreter der Elfenbeinturm-Eliten ihr öffentlichkeitswirksam „auf die Fresse“ hauen.