Die Sachsen-SPD mit ihren – laut Umfragen – nur noch drei Prozent Wählerzuspruch sollte den Landtagswahlkampf zugunsten der CDU aufgeben, um einen AfD-Ministerpräsidenten zu verhindern. Ist es das, wozu Genosse Gabriel aufrufen wollte? Sollte die SPD nicht lieber für die Abschaffung der Fünfprozenthürde kämpfen?
Die Zeit ist so schnelllebig, dass sich manche Jüngeren kaum noch an Sigmar Gabriel erinnern können. Der Mann hatte schon viele Ämter in seinem Leben inne: Er war niedersächsischer Ministerpräsident, SPD-Pop-Beauftragter, Bundesumweltminister, Bundeswirtschaftsminister, Vizekanzler, Außenminister und SPD-Vorsitzender. Der Genosse Gabriel konnte aber nicht nur viele Ämter übernehmen, er war auch bekannt dafür, innerhalb kürzester Zeit seine öffentlich vorgetragenen Positionen und Meinungen zu wechseln. Und so witzige Begründungen für einen Amtswechsel wie er kann sich auch kaum einer ausdenken. Als der Wirtschaftsminister 2017 überraschend verkündete, auf den SPD-Vorsitz zu verzichten und Außenminister werden zu wollen, erklärte er allen Ernstes, das tue er auch, um mehr Zeit für die Familie zu haben.
Mittlerweile hört man nur noch recht selten vom Genossen Gabriel, was seiner Partei wahrscheinlich ganz recht ist. Andererseits verklärt sich das Bild des Ex-Vorsitzenden sicher auch angesichts der Qualität der gegenwärtigen Personals an der SPD-Spitze.
Gestern nun ist er wieder einmal mit einem Interview in der Öffentlichkeit aufgetaucht und hat gleich einen Knaller gezündet. Eigentlich ging es ihm in dem Gespräch mit dem WDR um die Gefahr, die Deutschland durch eine AfD droht. Die Machtübernahme in Sachsen scheint schon in Reichweite, wenn die Partei inzwischen in Umfragen bei 37 Prozent landet. Die eigenen Genossen sind derweil im Freistaat zur Dreiprozent-Partei geschrumpft.
Seine Nach-Nach-Nachfolgerin im SPD-Vorsitzenden-Amt, Saskia Esken, hat aus dieser Position nun gefordert, man müsse ein AfD-Verbot prüfen. Das kam öffentlich allerdings nur mäßig gut an, und auch viele Wohlmeinende aus dem SPD-Umfeld wiesen darauf hin, dass solche Gedankenspiele jetzt eher kontraproduktiv seien und der AfD nützten.
Was nun aber der Genosse Gabriel im WDR-Interview ins Spiel brachte, klingt noch origineller: „SPD-Gabriel wirbt für Wahl von CDU-Kretschmer" hieß es in einer Bild-Schlagzeile. Wirklich? Das soll der Genosse Gabriel vorgeschlagen haben?
Der „coolste Landesverband“ ohne Chance?
Immerhin hätte das eine innere Logik. Wenn die SPD mit drei Prozent an der Fünfprozent-Hürde scheitert, sind die Stimmen verloren. Wenn diese drei Prozent aber CDU wählen würden, also zu dem gegenwärtigen Umfrage-Wert von 33 Prozent hinzu kämen, dann wären das ja schon 36 Prozent für die CDU, also fast Gleichstand mit der AfD. Wenn die SPD ohnehin erstmals durch Wahlen aus einem deutschen Parlament fliegt, dann kann sie auch gleich aufgeben, hieße das. Also kein Kampf um etwas Zuwachs mehr, um vielleicht doch noch etwas Zuwachs zu schaffen?
Solche Zuversicht zu finden, ist für sächsische Sozis in der Tat nicht leicht. Die Spitzenkandidatin Petra Köpping hat nicht gerade die Zugkraft-Qualitäten, die man bräuchte. Die Staatsministerin für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt (das Amt heißt wirklich so) war im Freistaat u.a. das Gesicht des Corona-Ausnahmezustands, was nicht gerade zu überbordender Beliebtheit führte. Allerdings kann die sächsische SPD wahrscheinlich auch kaum Publikumslieblinge aufbieten.
Bei der letzten Landtagswahl 2019 – die SPD erzielte mit 7,7 Prozent ihr bis dato schlechtestes Wahlergebnis und zog als kleinste Fraktion in den Landtag ein – konnte sie immerhin mit einem eindrucksvollen Auftritt des damaligen Spitzenkandidaten Martin Dulig glänzen, der am Wahlabend mit folgendem Satz auftrat:
„Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, wir haben das schlechteste Wahlergebnis, wir sind aber der coolste Landesverband.“
Doch zurück zu Sigmar Gabriel. Ob der sich bei seinen Überlegungen noch an den damaligen Spruch vom „coolsten Landesverband“ erinnert hat, ist nicht bekannt. Für ihn ging es, wie gesagt, um den Kampf gegen die immer stärker und stärker werdende AfD. Und da sagte er nun im Interview:
„Und es fällt mir schwer, zu glauben, dass es in Deutschland keine Menschen mehr mit Mut gibt, die sich dem entgegen stellen. Der einzige, den ich kenne, für den ich sogar als Sozialdemokrat Wahlkampf machen würde, ist der CDU-Ministerpräsident in Sachsen. Der hat Mumm, der geht da in den Straßenwahlkampf, in den Nahkampf mit der AfD, lässt sich nicht verscheuchen und nicht einschüchtern. Solche Typen brauchen wir jetzt! Aber nichts passiert."
Was Originelles für die Partei
Also war das jetzt der Aufruf des Ex-SPD-Vorsitzenden zur CDU-Wahl oder nicht? Immerhin ruft er zu dessen politischer Unterstützung auf:
„Ich bin, ehrlich gesagt, entsetzt darüber, dass trotz dieser offensichtlichen Entwicklung keiner etwas macht. Weder überlegen die Parteien in Berlin, wie sie zum Beispiel dem Ministerpräsidenten in Sachsen helfen können. Es wäre ein Leichtes, im Bundestag mal zu überlegen, was wir eigentlich für ihn tun können, damit er zeigen kann, dass er Erfolg hat und dann auch gewählt wird. Dazu müsste man aber das parteipolitische kleine Karo überspringen."
Wenn es gegen die AfD geht, kennt Gabriel offenbar keine Parteien mehr:
„Bei den Parteien habe ich die Sorge, dass das eigene Interesse immer noch wichtiger ist, als gemeinsam mit den anderen zu überlegen, wie man diese Welle bricht."
Wenn Gabriel damit seine sächsischen Genossen wirklich zur CDU-Wahl hat auffordern wollen, um einen AfD-Ministerpräsidenten zu verhindern, dann sollte auch ihm jemand sagen, wie kontraproduktiv das ist. Einheitsfront-Wahlkämpfe gegen die AfD helfen ihr nur, sich als einzige Alternative zu einem Parteienkartell zu präsentieren.
Sicher werden wir hören, dass Genosse Gabriel seine Partei in Sachsen nicht zum Aufgeben auffordern wollte. Man solle halt nur gegen die AfD zusammenstehen. Aber das haben die Parteien in den letzten zehn Jahren schon bei jeder Wahl getan, mit zunehmender Erfolglosigkeit. Was helfen würde, wäre eine Politik, die Probleme klar benennt, ohne Tabus debattiert und die auch zum Umsteuern bereit ist, beispielsweise der verfehlten Asyl- und Migrationspolitik oder der gescheiterten Energiewende-Politik.
Und wenn die Genossen Esken und Gabriel noch was Originelles für ihre Partei tun wollen, dann könnten sie sich, statt Verbote oder Einheitswahlkämpfe zu fordern, für die Abschaffung der Fünfprozenthürde einsetzen.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.