Rainer Bonhorst / 28.03.2013 / 05:08 / 0 / Seite ausdrucken

Ein Doktor ist kein dottore

Der Verein deutscher Plagiatsjäger hat wieder einen Politiker mit fragwürdigem Doktortitel aufs Korn genommen. Die Ministerebene scheint ausgeschöpft. Nun ist ein Landrat an der Reihe, immerhin eine Art Oberlandrat, nämlich der Präsident des bayerischen Landkreistags, Jakob Kreidl. Ausgerechnet in dieser heißen Phase der Doktoratsenthüllung gegen den Miesbacher Landrat hatte ich bei meinem Italiener wieder ein beunruhigendes Erlebnis. Praktisch bei jedem Gang, bei der minestrone, bei der saltimbocca, beim Nachgießen des Luganers und beim espresso macchiato, sprach mich der Mann mit „dottore“ an. Dabei habe ich diesen Titel ganz und gar nicht verdient.

Oder vielleicht doch? „Doktor“ ist ja nicht gleich „Doktor“. Der „dottore“ beim Italiener lässt sich am ehesten mit dem Wiener „Herr Baron“ vergleichen. Es handelt sich um einen freundlichen Akt der Ehrerbietung; ein Akt, an dem sonst in der deutschen Sprache ein großer Mangel herrscht. Früher gab es noch die gnädige Frau. Ihr männliches Gegenstück war „der Herr“. Aber die beiden sind verschwunden und ich kenne niemanden, der der gnädigen Frau und ihrem männlichen Gegenstück eine Träne nachweint. Die Briten und die Amerikaner haben sich ihre „madam“ und ihren „sir“ erhalten. Die Franzosen ihren „monsieur“ und ihre „madame“. Das ist klug und praktisch und auch einfacher als die neue deutsche Mode, die das Kassenpersonal dazu verpflichtet, blitzschnell auf die Kreditkarte zu schauen, um mich dann unglaublich persönlich mit Herr Bonhorst anzusprechen.

Mir ist der „dottore“ insofern lieber, als er bei mir den Eindruck erweckt, ich sähe tatsächlich aus wie ein Herr Doktor. Das wäre keine besondere Leistung. Das doktorale Aussehen kommt mit dem Alter wie von selbst. Aber immerhin.

In diesem Zusammenhang drängt sich mir die Frage auf, ob der etwas locker und plagiatsnah erworbene Doktortitel nicht einfach der Versuch ist, die doktorale gravitas vor der Zeit zu erwerben, also ohne eine halbe Ewigkeit auf die Alterswürde zu warten. Eine Art erwünschte ejaculatio praecox also, erzielt mit künstlichen Mitteln.

Aber, ich wiederhole mich, Doktor ist nicht gleich Doktor. Es gibt nach wie vor den Doktor wissenschaftlichkeitshalber und den Doktor ehrenhalber. Aber es gibt eben auch den Doktor karrierehalber, der von Hause aus die Versuchung enthält, auf dem Weg zur Dissertation Abkürzungen zu gehen. Dieser Bereich der doctores kh ist das Arbeitsfeld der Privatermittler im Internet. Deren erste Enthüllungen fand ich durchaus erfrischend, zumal sie hier und da die wunderbar weite Kluft zwischen moralischer Großmannssucht und menschlich, allzu menschlicher Wirklichkeit aufzeigten. Inzwischen gehen mir die Plagiatsschnüffler ein wenig auf die Nerven, wie alle, die sich von ihrer Berufung nach und nach an die Grenze des Fanatischen treiben lassen.

Hier ein Tipp: Vielleicht kann man ihnen einen Teil ihres Jagdgebiets nehmen, indem man auf die Doktorpfuscherei verzichtet und statt dessen einen Image-Berater und einen Visagisten aufsucht. Diese Spezialisten können ihren Kunden sicherlich eine vorzeitige doktorale Optik verpassen, die in Sachen Karriere ebenso förderlich wie ein flotter Doktor. Man schaue sich nur die Vorstände der Dax-Unternehmen an, die ja fast durchweg aussehen – wie Vorstände von Dax-Unternehmen. Die Aura eines „dottore“ umschwebt sie, noch ehe sie die Tür zu ihrem Italiener geöffnet haben. Ja, mancher von ihnen dürfte sogar Anspruch auf den Titel „consigliere“ haben.

Mich lässt die Frage ziemlich kalt, ob der Landrat von Miesbach ein ganz echter Herr Doktor ist oder nur ein halb echter oder gar keiner. Ich hoffe aber sehr, dass er bei seinem Italiener ohne Vorbehalt als „dottore“ wahrgenommen wird. Wenn er diesen „dottore“ nicht schafft, stelle ich mir allerdings die Frage, ob er als „Herr Landrat“ der Richtige ist.   

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