Roger Letsch / 06.05.2017 / 12:00 / Foto: Annavavrova / 4 / Seite ausdrucken

Ein diplomatisches Genie im Porzellanladen

Man will nicht lockerlassen. Dabei gäbe es sicher tausend oder mehr Themen, über die man als deutscher Bundespräsident auf Antrittsbesuch in Israel sprechen könnte. Zum Beispiel über die Anstrengungen die Israel unternehmen muss, um mit der starken Zuwanderung von Juden aus aller Welt fertig zu werden, die sich in ihren Heimatländern leider nicht mehr sicher fühlen können. Vielleicht hätte das Staatsoberhaupt des Einwanderungslandes Deutschland sich Tipps vom Staatschef des Einwanderungslandes Israel holen können.

Oder vielleicht redet man über die gute Zusammenarbeit im Bereich High-Tech oder darüber, wie israelische Waren von eifrigen BDS-Kämpfern aus deutschen Regalen gezerrt werden. Oder man spricht über die Gefahren, die vom nahen Krieg in Syrien, der Hisbollah und dem IS für Israel ausgehen. Aber Steinmeier könnte natürlich auch – wie üblich – über die „Siedlungspolitik“ sprechen und darüber, dass die Zwei-Staaten-Lösung „alternativlos“ sei, denn das tun ja sowieso alle unentwegt, während sich Israel brav dafür bedankt, dass es sich von Politikern, die ihre Informationen über die Lage in Israel vorwiegend von dessen Todfeinden beziehen, über die eigenen Probleme aufgeklärt wird. Schön, wenn man solche Verbündeten hat!

Nun ist über Steinmeiers Parteifreund Gabriel und dessen Geschick in der Auswahl seiner Gesprächspartner in Israel schon einiges gesagt worden, gutes insbesondere von Vertretern der deutschen Politik fast aller Couleur, während man das in Israel doch etwas kritischer sah. Denn Gabriels Gesprächspartner waren nicht die Vertreter der Opposition – wozu ja zum Beispiel auch die Oppostitionspartei „Merez“ hätte gehören können, eine Sozialdemokratische Partei in Israel mit Sitzen in der Knesset, die sicher ein idealer Gesprächspartner für Gabriel bei seiner Suche nach Kontakten zur Zivilbevölkerung hätte sein können.

Nein, Gabriel wollte unter anderen mit BtS (Breaking the silence) sprechen, einer NGO, die schon mehrfach beim Verbreiten von Lügen und israelfeindlicher Propaganda erwischt wurde. Es war, als würde sich ein Außenminister auf Staatsbesuch in Deutschland zunächst mit Beate Tschäpe und den „Reichsbürgern“ unterhalten wollen, deren Arbeit als Friedensbeitrag loben und dann im Kanzlerinnenamt auf einen warmen Empfang hoffen – absurd!

 "Deeskalation" à la Steinmeier

Nun macht sich also unser Bundespräsident auf den Weg zu diesen eigensinnigen Israelis, um ihnen höchstselbst gütige deutsche Belehrung zuteilwerden zu lassen! Steini wird sich jedoch, ganz Profi, nicht mit der zumindest umstrittenen NGO BtS („Breaking the Silence“) treffen, er möchte stattdessen in seiner Antrittsrede die lobenden Worte des israelischen Schriftstellers Amoz Oz dafür verwenden, welcher BtS schon mal mit den großen biblischen Propheten verglichen hat und nur wenige bis gar keine kritischen Worte zu BtS verloren hat. Aus dem Munde Steinmeiers werden die lobende Worte von Oz, den die israelische Regierung konsequent schneidet, weil sie ihn für einen linken Spinner hält, sicher lobendener Honig in Netanyahus Ohren sein, dessen steinernes Herz gegenüber BtS erweichen und in Tränen der Rührung und des Verständnisses ausbrechen lassen. Oz ist schließlich Jude und wenn Netanyahu schon nicht auf Gabriel hören wollte, wird er doch sicher erfreut sein, von „seinesgleichen“ belehrt zu werden! Denn merke: Wenn Juden andere Juden kritisieren, liegen sie immer richtig!

Ich verfüge leider nicht über die politische Expertise eines Genies wie Steinmeier, weshalb ich eher darauf wetten würde, dass – falls Steinmeier der Ankündigung von SPON entsprechend handelt – er lediglich versucht, denselben unbeugsamen Nagel schwungvoll mit dem Hammer zu treffen wie Gabriel, obwohl er wie dieser den Daumen darüber hat. Fingerschmerzen geh’n zu Herzen, sagt das Sprichwort. Das gilt leider nicht für deutsche Diplomatie, die in israelischen Angelegenheiten neuerdings auffallend schmerzlos agiert. Noch schmerzbefreiter agiert allerdings Spiegel Online, wenn man dort mutmaßt, die Bundesregierung könnte mutmaßen, dass Netanyahu mutmaßen würde, er könne sich die „Deeskalation“ Steinmeiers als persönlichen Sieg anheften. Und so würde man sich aus einer diplomatischen Unverschämtheit gegenüber Israel zuhause gern noch ein großes, ehrenvolles Opfer zimmern. Mit Steinmeier und Gabriel als Heilige, die unter den Wundmalen der Nägel zu leiden haben, die sie sich selbst ins Fleisch schlugen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt hier.

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Leserpost

netiquette:

Wilfried Cremer / 06.05.2017

Ob Herr Netanjahu bei seinem nächsten Deutschlandbesuch auch mal bei den Antideutschen vorbeischaut?

Karla Kuhn / 06.05.2017

“Mit Steinmeier und Gabriel als Heilige, die unter den Wundmalen der Nägel zu leiden haben, die sie sich selbst ins Fleisch schlugen.” Ein herrlicher Vergleich. Das diplomatische Personal ist schon hervorragend. Aber wenigstens wird Steinmeier Netanyahu keinen “Hassprediger” nennen, wie er es bei Trump getan hat. Gabriel hat Le Pen als “Rattenfängerin” bezeichnet.  Wie gesagt, hervorragend. Übrigens, mit Belehrungen erreicht man das Gegenteil von dem, was man anstrebt und beliebt macht man sich auch nicht.

Jürgen Dannenberg / 06.05.2017

Zitat: um ihnen höchstselbst gütige deutsche Belehrung zuteilwerden zu lassen!  Deutsche Belehrung? Wohl eher nicht. Eine links/grüne Belehrung, Weltenerklärung würde eher zutreffen.

Clemens Hofmeister / 06.05.2017

Genial: Eine Zweistaatenlösung für Deutschland. Nicht jetzt, aber sicher in 20 Jahren.

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