Ulrich Sahm, Gastautor / 09.01.2015 / 23:06 / 5 / Seite ausdrucken

Ein blutiger Weckruf

Ulrich Sahm

„Der Feind kann nicht bekämpft werden, wenn man ihn nicht einmal beim Namen nennen will.“ So der Haaretz-Kommentator Ari Schavit im israelischen Fernsehen. Europäische (wie auch israelische) Linke seien unfähig, islamischen Faschismus, der das Ziel habe, die liberale Ordnung Europas aus den Angeln zu heben, als „Faschismus“ zu bezeichnen. Das sei ein gesamt-europäisches Problem. Aus Angst, Moslems auszugrenzen, werde versucht, selbst den „Islamischen Staat“ nicht mit dem Islam in Verbindung zu bringen.

Die Unfähigkeit der Franzosen, die Attentäter der vergangenen Tage in Paris rechtzeitig auszumachen, liege an der französischen Verfassung, sagte der israelische Botschafter in Paris, Jossi Gal. Die französische Verfassung verbiete es, nach der Religionszugehörigkeit zu fragen. Der Botschafter erzählte von israelischen Geheimdienstleuten, die ihren französischen Kollegen vorschlugen, ein sogenanntes „Profiling“ einzuführen, also verdächtige Personen gemäß bestimmten Kriterien herauszufiltern.

So betrachten die Israelis Flugpassagiere als besonders verdächtig, wenn sie männliche Einzelreisende, Araber oder Moslems sind oder Stempel arabischer Länder im Pass haben. Ähnlich gehen auch die Amerikaner vor. Doch die Franzosen hätten die Israelis wegen dieses Vorschlags „hochkantig rausgeworfen“.

Ein „Pauschalverdacht“ gegen religiöse oder ethnische Gruppen widerspreche französischen Grundrechten und Vorstellungen von Freiheit und Menschenrechten. So sei es in Frankreich „verboten“, von Moslems, Islam oder Islamisten zu sprechen. Deshalb sei in der französischen Berichterstattung über die Ereignisse in der Redaktion von Charlie Hebdo, dem Mord an einer Verkehrspolizistin sowie beim Überfall auf den Supermarkt Hyper Cascher mit keinem Wort erwähnt worden, dass die Täter einen islamistischen Hintergrund hatten.

Aus amerikanischen Quellen kam der Hinweis, dass Saïd Kouachi im Jemen war und dort in einem Camp von EL Kaeda an Waffen ausgebildet worden sei. Gleichzeitig wurde bekannt, dass er und sein jüngerer Bruder Chérif auf der amerikanischen no-fly-Liste standen, dass ihm ein Flug in die USA verboten sei.

Der französische Geheimdienst habe die Augen verschlossen und Saïd Kouachi nicht nach Absitzen einer Gefängnisstrafe beschattet. Der IS-Prediger Abu Saad al-Ansari hatte in Mosul behauptet: “Wir haben mit der Operation in Frankreich begonnen, für die wir die Verantwortung übernehmen.” Und weiter: “Morgen werden es Grossbritannien, die USA und andere sein.” Diese Behauptung sollte wohl mit Vorsicht genossen werden, zumal andere Quellen einen Zusammenhang mit El Kaeda aus dem Jemen herstellen. Dennoch muss hier vermerkt werden, dass im Gazastreifen und anderswo im Nahen Osten die Attentäter auf Charlie Hebdo bejubelt wurden.

In Europa weigert man sich, einen Zusammenhang zwischen den Terroristen und jenen zu sehen, die ihnen zujubeln. Erst kürzlich hat das Europäische Gericht die EU aufgefordert, die Hamas von der europäischen Terror-Liste zu streichen. Gleichwohl bestätigen Aussagen der Attentäter und frühere Interviews mit ihnen, dass es Verbindungen zu dem Geflecht islamistischer Organisationen gab, zu IS wie zu El Kaeda.

Das Charlie-Hebdo-Massaker könnte für Frankreich ein „Weckruf“ sein, heißt es in israelischen Berichten. Die geheiligte Pressefreiheit sei ins Herz getroffen worden. Doch der Überfall auf den Supermarkt reihte sich wieder in den „üblichen“ Terror aus Nahost ein: Anschläge auf jüdische Einrichtungen, wie zuvor schon in Toulouse oder auf das jüdische Museum in Brüssel.

In der großen jüdischen Gemeinschaft in Frankreich gehe die Angst um. Während 2014 etwa 7.000 nach Israel ausgewandert seien, könnten es in diesem Jahr doppelt so viele werden.

Erstmals seit dem 2. Weltkrieg sind die Synagogen in Paris verschlossen geblieben. Fromme Juden haben die Gebete zum Sabbatbeginn in ihren Privathäusern gesprochen. Inhaber von Geschäften im Marais, dem traditionellen jüdischen Viertel von Paris, wurden von den Behörden aufgefordert, ihre Läden zu schließen. Wie der Reporter Boaz Bismut aus Paris berichtete, haben selbst Rabbiner und fromme Juden an diesem Freitagabend den Fernseher laufen lassen. Denn erst am Abend kamen Berichte über Opfer bei der Geiselnahme im Hyper Cacher Supermarkt. Neben vier Toten habe es auch mehrere Schwerverletzte gegeben, vermutlich Juden. Noch ist unklar, wann und wie sie ums Leben gekommen sind, ob der Terrorist Amedy Coulibaly, 32, aus Mali sie erschossen hat oder die Polizisten.

Dieser Terrorist war ein enger Freund der Kouachi-Brüder und hat sich mit ihnen offenbar abgestimmt. Der Supermarkt war ein Anziehungspunkt für Juden. In großer Zahl machten sie dort ihre Einkäufe vor dem Sabbat. Unverständlich ist, wieso es vor dem jüdischen Supermarkt keine Polizei oder Kontrollen am Eingang gegeben hat.

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Leserpost

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Ralf Grosfeld / 10.01.2015

Wer behauptet, wie jetzt unisono CDU, SPD und Grüne hier und Hollande in Frankreich es tun, dass die Terroranschläge nichts mit dem Islam zu tun hätten, schwächt freiwillig seine Denkoptionen dem Terror zu begegnen und verabreicht gleichzeitig kollektiv eine Schlaftablette. Wer es schafft, die schon müden Augen dennoch aufzuhalten stellt fest, dass in allen europäischen Ländern die mit “Integration” ein Thema haben, dies überwiegend ein islamisches Thema ist und keines von “Ausländern”. Wird dann noch auf undurchsichtigen Weisen Forderungen nachgegeben, wie extra Öffnungszeiten in Schwimmbädern für Burkinischwimmerinnen, Schweinefleichsfrei für alle in öffentlichen Kantinen oder läßt man im Land des Vermummnungsverbotes und der rechtlichen Gleichstellung der Frau die Burka im öffentlichen Raum zu, dann macht man sich zu einem gut funktionierenden Instrument des politischen Islam - oder eben einfach des Islam. Denn schaut man auf islamische Staaten ist der Islam in letzter Konsequenz politisch. Und haben dann diejenigen Muslime hier, die eine frei Welt wollen noch eine Wahl?  Wofür sind unsere amtierenden Politiker gewählt worden - für den Zusammenhalt einer freien Welt oder was?

Sebastian Brant / 10.01.2015

Die Kritik an der französischen Vorgehensweise, wie die Pseudodiskussionen bei uns über neue vorbeugende Strategien im Kampf gegen Terrorismus, sind geistige Fehlleistungen. Sie entlasten in der Tat alle Tagesschwätzer in Politik und Medien, dem “Feind” einen Namen zu geben, wie Eingangs schon in diesem Artikel formuliert wird. “Die eigentliche politische Unterscheidung” sei die “Unterscheidung zwischen Freund und Feind” schrieb der “umstrittene” Verfassungsrechtler Carl Schmitt. Mit Feind ist dort der existenzielle Feind gemeint, nicht der politische Gegner oder Konkurrent.

Christian Speicher / 10.01.2015

Es ist kein “Frankreich Bashing”, wenn man das Vesagen der französischen Justiz und der Sicherheitsbehörden kritisiert, EU Bürger (sind wir das nicht?) vor islamistischen Terroristen zu schützen.

Andreas Mertens / 10.01.2015

.... Erstmals seit dem 2. Weltkrieg sind die Synagogen in Paris verschlossen geblieben. Fromme Juden haben die Gebete zum Sabbatbeginn in ihren Privathäusern gesprochen ...... Mit anderen Worten ... der Faschismus ist zurück aus seinem Grab. Nur diesmal marschiert er im Janitscharen Hüpfschritt durch frankreichs Straßen

Robert Bond / 10.01.2015

Ehrlich gestanden geht mir das Frankreich Bashing, das man heute aus Deutschland, den USA, dem UK und offenbar auch Israel hören konnte, gehörig auf die Nerven. Als ob die dortigen Dienste immer jeden Anschlagsplan vereitelt hätten. Es sind in den vergangenen Tagen in Paris viele unschuldige Menschen gestorben. Schlechter Zeitpunkt für hämisches Hinhacken auf französische Besonderheiten.

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