Zwei Dinge habe ich gelernt, als ich letzte Woche Schellis Buch bekam. Einerseits weiß ich jetzt, wie man ihn dazu bekommt, eine Einladung auch anzunehmen. Und andererseits ist mir nun endlich klar, warum man Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber überhaupt einlädt.
Wie Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok in seiner Laudatio erläuterte, ist Schelli ein vielbeschäftigter Mann. Der um den ganzen Erdball jettet und deswegen nie die Zeit hatte, diverse örtliche Vereine, Verbände und Initiativen trotz intensiven Nachfragens mit seiner Anwesenheit zu beehren. Aber der Begriff „Laudatio“ deutet schon auf den Trick hin, den man letztlich erfolgreich anwendete. Man verleihe dem Leiter des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung einfach einen Preis. Dann kommt er garantiert. Und wenn es nur der „enercity-Energie-Effizienzpreis für Norddeutschland 2016 in der Kategorie Wissenschaft“ ist. „Enercity“ – das sind schlicht die Stadtwerke Hannover, deren Preis tatsächlich genau so heißt und auch genau so geschrieben wird.
Geehrt wurden übrigens eigentlich zwei Unternehmen – ein großes und ein kleines – für durchaus handfeste technische Innovationen. Logisch wäre nun gewesen, in der Kategorie Wissenschaft einen Forscher aus den zahlreichen ortsansässigen ingenieurtechnischen Fakultäten auszuzeichnen. Würdige Arbeiten aus Bereichen wie Maschinenbau oder Antriebstechnik hätte es genug gegeben. Welche Beiträge aber Schellnhuber zur Verbesserung der Energieeffizienz leistete, blieb den Rest der Veranstaltung über unklar.
Namedropping und ein Nobelpreisträger der keiner ist
Stattdessen bezeichnete ihn die neue Vorstandsvorsitzende der Stadtwerke, Susanna Zapreva, in ihrer Begrüßungsrede als Nobelpreisträger. Was er nicht ist, denn der Friedensnobelpreis des Jahres 2007 ging an die Organisation IPCC und genau nicht an die für die Berichte zuliefernden Autoren. Der Wissenschaftler und Unternehmensberater Friedbert Pflüger, Ex-CDU-Politiker, wiederholte diese falsche Zuschreibung trotzdem in seiner Anmoderation. Schelli widersprach nicht.
Vielmehr begann er seinen, der Übergabe des Preises (ein gravierter Plexiglasklotz zum Hinstellen) folgenden Vortrag mit intensivem Namedropping. Wen der Mann nicht so alles schon getroffen und gesprochen hat! Von Obama bis zum Papst, von Nelson Mandela bis zur Queen reichte das Spektrum, das da minutenlang vor dem Publikum ausgebreitet wurde, bevor Schelli schließlich in das eigentliche Thema einstieg. Die Zukunft stünde auf dem Spiel, schleuderte er den Zuhörern entgegen, das „Projekt der Moderne“ wäre an einem Scheideweg angekommen. Der Wärmetod drohe dem Planeten, da die anthropogenen Kohlendioxid-Emissionen durch den Treibhauseffekt die unteren Atmosphäreschichten in gefährlicher Weise aufheizen würden.
Die Klimakatastrophe entfaltete sich in bunten Folien, die von der bevorstehenden Apokalypse kündeten. Die Zeit reichte natürlich nicht, alle Endzeitideen, vom Untergang der Regenwälder und Korallenriffe bis hin zu Stürmen und Dürren ungekannten Ausmaßes im Detail auszuarbeiten. Deswegen konzentrierte sich Schelli auf das Abschmelzen der grönländischen und antarktischen Eispanzer, das zu einer Meeresspiegelerhöhung von 80 Metern führen könnte. Dies zu verhindern verlange nun „Solidarität mit der Natur“. Der Mensch müsse aufhören „die Schätze der Erde auszuplündern“. Einzig die von ihm konzipierte „Große Transformation“ der Gesellschaft biete Rettung.
Der Meister verbreitet einen wohligen Schauer des Entsetzens
Die Litanei ist bekannt, der religiöse Eifer des Klimaforschers auch. Trotzdem bleibt festzuhalten: Es war unterhaltsam. Überaus unterhaltsam. So unterhaltsam, wie ein Apokalypse-Blockbuster aus Hollywood. Den man nicht in der Erwartung ausgefeilter Dialoge oder präziser Charakterzeichnungen anschaut, sondern aufgrund der Spezialeffekte, mit denen Metropolen durch Feuer, Erdbeben, Fluten oder Godzilla in Schutt und Asche gelegt werden. Schellnhuber verschaffte 150 geladenen Gästen aus Unternehmen, Vereinen, Verbänden und der Politik diesen wohligen Schauder des Entsetzens angesichts der in ihrer Phantasie entstehenden Bilder versinkender Zivilisationen. Den sie auch ohne Kinokarte genießen konnten, wenn sie sich seinem neuzeitlichem Atlantis-Mythos hingaben.
Und genau aus diesem Grund lud man ihn ein. Schelli wußte faszinierende Geschichten zu erzählen, die aus dem Alltag entführten. Er predigte die fleischlose Ernährung. Das Publikum wurde schon bei der Ankunft mit Schnitzeln und Buletten versorgt, denen sich ein feiner Braten nach dem Ende des offiziellen Teils der Veranstaltung anschloß. Er forderte ein weltweites Verbot von Verbrennungsmotoren innerhalb der kommenden fünfzehn Jahre. Für die Gäste standen gleichzeitig drei schwere Limousinen bereit, damit sie nicht im Regen zum 300 Meter entfernten Parkplatz laufen mußten. Er bezeichnete die fortschreitende Digitalisierung als riskant, da sie nur den Konsum ankurbele (vor allem wegen des Lieferverkehrs, den Onlinehändler auslösen). Man selbst zückte zwischendurch das Smartphone, weil man seine Mails lesen und auch sonst keine Entwicklung in der wirklichen Welt verpassen wollte.
Verschwörungstheorie kann er auch
Schelli interpretierte derweil die Geschichte neu. Zum Ende seiner Ausführungen leitete er auf das Thema der anschließenden Podiumsdiskussion über, das da lautete „Zukunft der Mobilität in der Energiewende“. Was ihn zu einer handfesten Verschwörungstheorie bewegte. Nicht ihre Unzulänglichkeit angesichts realer Mobilitätsbedarfe, sondern John D. Rockefeller habe dereinst das Ende der Elektromobilität herbeigeführt. Der Beleg: Er wollte sein Öl verkaufen. Wie er diesen perfiden Plan nun im Detail umsetzte, blieb zwar offen, aber es könne sich nicht anders zugetragen haben. Schließlich sei der Elektromotor vor dem Ottomotor erfunden worden und die Elektromobilität sei außerdem noch 1910 mit damals 13.000 zugelassenen Fahrzeugen in New York marktführend gewesen.
An diese argumentative Brillanz knüpfte der große Potsdamer Denker in der folgenden Debattenrunde nahtlos an. Die Größe der Herausforderung sei von den wenigsten Entscheidungsträgern begriffen worden, dramatische Schritte wären erforderlich und deswegen habe er höchstpersönlich im Jahr 2007 die Kanzlerin auf die Idee mit der Elektromobilität gebracht, so Schellnhuber. Bis es Kay Lindemann, dem Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie VDA, dann doch genügte. Eine Gesellschaft habe schließlich noch andere Ziele als nur den Klimaschutz. Wohlstand und die Sicherung von Arbeitsplätzen zählte er dazu. Nun war Schelli aus dem Spiel und das Podium kehrte in die Normalität zurück, in der Unternehmen Gewinne erzielen müssen, auch wenn ihnen staatliche Markteingriffe Knüppel zwischen die Beine werfen.
Immerhin durfte man sich sein neues Buch noch mitnehmen. Der Veranstalter hatte einfach für jeden Teilnehmer eines erworben. Ich habe schon darin geblättert, es ist gut und lesbar geschrieben. Ein Thriller über den Weltuntergang mit autobiographischen Zügen, der im Gewand eines Sachbuches daherkommt. Leider konnte ich aufgrund eines anschließenden Termins die Möglichkeit nicht mehr wahrnehmen, es mir vom Autoren persönlich signieren zu lassen. Das bedaure ich wirklich, denn großen Illusionisten gehörte schon immer meine Wertschätzung.