Wolfram Weimer / 21.06.2018 / 17:00 / Foto: Reto Klar / 40 / Seite ausdrucken

Ein bedenkliches Maß an moralischer Hybris

Angela Merkel war viele Jahre eine gute Bundeskanzlerin. Doch ihre Fehler in der Migrationspolitik haben leider dramatische Dimensionen. Europa ist darob zerrissen, Deutschland wirkt seit 2015 tief erschüttert und hoch polarisiert. Die Wahlerfolge der AfD sind wie ein Notruf eines ungehörten Bürgertums. Diesen Notruf will die CSU nun aufnehmen und reagieren. Dabei zeigt der aktuelle ARD-Deutschlandtrend: Die Mehrheit der Deutschen unterstützt demnach den Kurs von Innenminister Horst Seehofer. Sowohl eine konsequentere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber (86 Prozent) als auch die Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an der Grenze (62 Prozent) haben deutliche Mehrheiten.

Von solchen Mehrheiten können die CSU oder Seehofer ansonsten nur träumen. In dieser Sachfrage aber gibt es über Parteigrenzen hinweg in der Bevölkerung ein feines Gespür für Rechtsstaatlichkeit.

Rechtsstaatlich halten es die Menschen schlichtweg für einen Skandal, dass Menschen, für die eine Einreisesperre gilt, bislang einfach so, als sei nichts gewesen, wieder nach Deutschland einreisen, nochmal Asyl beantragen und voll durchfinanziert werden, selbst wenn sie in einem ersten Verfahren gescheitert sind. Dass Merkel sich weigert, diesen dreisten Asyltourismus zu unterbinden, widerspricht dem gesunden Rechtsempfinden. Wenn Seehofer nun auch endlich diejenigen abweisen will, die bereits in einem anderen EU-Staat Asyl beantragt haben, vollzieht er eigentlich nur das, was jeder Bürger ohnedies von seinem Staat erwartet: offensichtlichen Missbrauch unterbinden.

Die Bundeskanzlerin könnte in dieser Detailfrage leicht zustimmen und die Regierungskrise sofort beenden. Denn ihr Argument von 2015 war ja, dass es sich um eine historische Ausnahmesituation handelte. Die Ausnahme, dass man manchen Missbrauch vorübergehend stillschweigend akzeptiert, kann nun aber unmöglich zur Regel werden. Dass die Kanzlerin aber derart stur an der radikalen Form der Grenzöffnung festhalten will, wirft ein bedenkliches Licht auf ihr Maß an moralischer Hybris. Das ist nur damit zu erklären, dass sie unbedingt Recht behalten will mit ihrer Migrationspolitik. Doch das hat sie nicht.

Das Land innerlich verwundet und politisch destabilisiert

Merkels damaliger Handstreich, das geltende EU-Recht außer Kraft zu setzen und lieber freie Regeln der Moralität gelten zu lassen, war gut gemeint und wird von vielen positiv anerkannt. Doch es hat eben auch eine negative Kettenreaktion ausgelöst. Erst wurden Grenzregeln außer Kraft gesetzt, dann wurde das Aufenthalts- und Asylrecht massenhaft gebrochen, zigtausendfach galt hernach auch in Alltagssituationen kein “normales” Recht mehr für Flüchtlinge. Diese Politik lockte viele tausend junge Männer herbei, die überhaupt nicht aus Kriegsgebieten kamen. In Großstädten entstanden zusehends größere Parallelgesellschaften islamischer Prägung, die Polizei warnt heute offen vor gefährlichen No-Go-Areas im Land.

Die Migrationspolitik Merkels hat das Land mittlerweile innerlich verwundet und politisch destabilisiert und das in einer Boomphase der Wirtschaft, mit der es den Deutschen eigentlich so gut geht wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn warnt zu Recht: “Wir erleben in vielen Bereichen eine Art Staatsversagen”. Seine Analyse: “Die Grenze kann nicht gesichert, Recht nicht durchgesetzt, Tausende von Asylanträgen nicht bearbeitet werden.” Und weiter: “Keine Gesellschaft erträgt es, wenn nicht definiert ist, wer unter welchen Bedingungen ein Teil von ihr werden kann. Deutschland als komplexe moderne Gesellschaft mit den höchsten Sozialleistungen der Welt kann nicht funktionieren, wenn sich quasi jeder durch Betreten des Staatsgebietes selbst zuweisen kann.”

Die Kettenreaktion von Rechtsbrüchen findet in den massenhaften Übergriffen auf Frauen und den vielen Messerattacken ihren traurigen Tiefpunkt. Von höheren Terrorrisiken ganz zu schwiegen. Das Sicherheitsempfinden der Deutschen ist jedenfalls erschüttert. All das bedarf entschiedener Korrekturen. Denn die staatlichen Behörden wissen im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr, wer wo seine Grenzen überschreitet. Der Bamf-Skandal legt die unfassbaren Dimensionen des Staatsversagens offen.

Ein durchschaubares Manöver zum Zeitgewinn

Es wird daher hohe Zeit, dass der Rechtsstaat wieder Grenzen setzt und das beginnt an den Außengrenzen. Die Bundeskanzlerin müsste Seehofers Plan nur akzeptieren und die Willkommenskultur um eine Wahrheitskultur ergänzen. Und diese Wahrheit lautet: Mit einer wilden, illegalen Masseneinwanderung von Hunderttausenden muslimischen Männern aus dem gesamten Raum von Marokko bis Bangladesch kann es unmöglich weiter gehen. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio bringt es auf den Punkt: “Die Staatsgrenzen sind die tragenden Wände der Demokratien. Wer sie einreißt, sollte wissen, was er tut. Es mag schwer sein, Grenzen in einer wirksamen und zugleich humanen Weise zu schützen, aber dieser Aufgabe kann keine Regierung entgehen.” Zwischen Schießbefehl und Tore-Auf gibt es einen dritten Weg: den der rechtsstaatlichen Vernunft und gezielter Kontrolle.

Merkels Argument, sie wolle aber lieber europäische Lösungen, ist ein durchschaubares Manöver zum Zeitgewinn und zur Stigmatisierung ihrer Kritiker als Nationalisten. Tatsächlich hatte sie drei Jahre Zeit für eine europäische Lösung. Doch sie hat keine bekommen, weil ihre eigene Politik Europa vergiftet hat. Es war just ihr einseitiges, unabgestimmtes, moralisch hochfahrendes Aufreißen der Grenzen, das Europa in eine Zerreißprobe trieb. Der Brexit wäre ohne diese Politik wahrscheinlich nicht gekommen. Die Spaltung Europas in identitäre Osteuropäer und multikulturelle Westeuropäer wäre ausgeblieben, der rasante Aufstieg des Rechtspopulismus hätte sich nicht derart beschleunigt. Von Rom bis Warschau, von Wien bis Kopenhagen wird Merkel für ihre Migrationspolitik heute regierungsoffiziell scharf kritisiert. Manches an der Kritik mag überzogen sein. Doch fühlen sich viele Staaten Europas von ihr schlichtweg übergangen und hernach noch belehrt, sie müssten jetzt die Migranten gefälligst aufnehmen.

Doch Europa rettet man nicht, indem man es vom moralisch hohen Ross herumkommandiert. Wenn Merkel jetzt nach europäischen Lösungen sucht, dann wird sie die sehr teuer erkaufen müssen, mit vielen Milliarden Ersatzleistungen wie man im Falle Macrons bereits sehen kann. Einfacher wäre es, dem geltenden Recht Geltung zu verschaffen und Illegale an den Grenzen zurückzuweisen. Seehofer hat einfach Recht, im doppelten Sinne des Wortes.

Dieser Beitrag erschien zuerst in The European.

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Thomas Weidner / 21.06.2018

“Angela Merkel war viele Jahre eine gute Bundeskanzlerin”. Herr Weimer - für Leute mit dieser Meinung sollte es Sondersteuern geben als Kompensation für die Milliarden Euros, welche mit der Euro-/Griechenlandrettung und der Energiewende verbrannt wurden! Nicht zu vergessen, die annäherd 1000 Mrd. Euros aus Target II, die Deutschland auch abschreiben kann…

Arno Besendonk / 21.06.2018

achgut gehört zu den letzten, die gegen den Wahnsinn anschreiben. Meine Lokalzeitung, füher mal die 4. Gewalt im Staat, habe ich bereits aufgegeben und kündige sie nur deshalb nicht, weil meine Frau die Werbung darin lesen will. Selbst der Lokalteil ist uninteressant geworden, man erfährt nichts mehr darüber, warum denn gestern wieder Sirenengeheul zu hören war und was die bunten Farbmarkierungen auf der Landstraße zu bedeuten haben, statt dessen werden in diesen Tagen wieder “Brieftaschenartikel” geschrieben. Gut, dass es wenigstens noch dieses blog gibt.

Leo Anderson / 21.06.2018

“Angela Merkel war viele Jahre eine gute Bundeskanzlerin.”  Sie meinen es aber wirklich gut mit Frau Merkel, Herr Weimer.

Corinne Henker / 21.06.2018

Merkel war noch nie eine “gute Kanzlerin”, bestenfalls Durchschnitt zu Beginn ihrer Amtszeit. Sie profitierte lediglich von den unpopulären, aber wichtigen Reformen ihres Vorgängers. Danach folgte ein Fehler dem nächsten: Ausstieg vom Ausstieg aus dem Atomausstieg, Energiewende, Euro- und Banken-“Rettung” und als Krönung die Merkel’sche Migrationskatastrophe. Ihr Rezept war von Beginn an immer dasselbe: Konflikten ausweichen und/oder mit deutschem Steuergeld zukleistern. Sie hat kein einziges Problem gelöst, aber viele neue geschaffen. Diese Frau ist die größte Katastrophe für Deutschland seit Ende des 2. Weltkrieges. Und dabei schließe ich Pieck, Ulbricht und Honecker ausdrücklich ein. Diese haben ein kaputtes Land zu Tode verwaltet und dann immerhin friedlich übergeben. Merkel hat ein blühendes Land in 13 Jahren demontiert und ob das Ganze friedlich endet, ist noch sehr fraglich. Diese Frau muss weg!

Karla Kuhn / 21.06.2018

“Angela Merkel war viele Jahre eine gute Bundeskanzlerin.” Wirklich ??  “Dass Merkel sich weigert, diesen dreisten Asyltourismus zu unterbinden, widerspricht dem gesunden Rechtsempfinden. Wenn Seehofer nun auch endlich diejenigen abweisen will, die bereits in einem anderen EU-Staat Asyl beantragt haben, vollzieht er eigentlich nur das, was jeder Bürger ohnedies von seinem Staat erwartet: offensichtlichen Missbrauch unterbinden.”  HOFFENTLICH setzt er seinen gesunden Willen auch durch.  “Das ist nur damit zu erklären, dass sie unbedingt Recht behalten will mit ihrer Migrationspolitik. Doch das hat sie nicht.”  Für mich ist diese Frau einfach machtgeil. Ihre Rechthaberei hat sie doch schon mehrmals öffentlich bewiesen, z. B. als sie einer besorgten Rentnerin zur Antwort gab, sie solle es doch als “Bereicherung” nehmen. Ja, wie wir bis heute “bereichert” werden,ist geradezu buchstäblich. Wie viele “schlaue” Aussagen gibt es zu Merkel, sie scheint bis heute krampfhaft, wider jeglicher Vernunft, an ihrer “Überzeugung” festzuhalten. Nicht nur die Visegradstaaten, auch andere europäische Länder wollen sich nicht mehr von der ” mächtigsten Frau der Welt” ( wer hat ihr eigentlich diesen Titel verliehen?) bevormunden lassen. Gerade habe ich auf t-online gelesen ” Merkel muß auf Druck Italiens Entwurf für EU Gipfel zurückziehen.” Ich hoffe so sehr, daß noch viele andre EU Staaten nicht nur nicht mitmachen, sondern Druck auf Merkel ausüben. Alleine scheint dies Frau nicht zur Vernunft zu kommen.  Wenn man mal die bundesdeutsche Politik seit 1949 Revue passieren läßt, SO ein Politikversagen gab es noch nie. Dabei waren auch damals etliche Politiker keine Waisenknaben. “Doch Europa rettet man nicht, indem man es vom moralisch hohen Ross herumkommandiert.” In erster Linie DEUTSCHLAND, denn wie bereits erwähnt, etliche andere Länder haben die Reißleine bereits gezogen. Wenn Merkel untergeht, dann hoffentlich zusammen mit Macron.

Monique Basson / 21.06.2018

Spätere Generationen werden zu Recht die Frage stellen, warum niemand einen ernsthaften Versuch unternahm um die muwillige Zerstörung des europäischen Vorzeige-Landes zu stoppen. Als Kanzlerin mimt sie noch die große Europa-Architektin und versucht noch möglichst viele Fakten zu schaffen, wie politische Souveränitätsabgabe und Geld für das EU-Modell von Macron und Juncker

Elke Albert / 21.06.2018

Öhm - bitte wann genau soll Frau Merkel eine “gute Bundeskanzlerin” gewesen sein? Diese Frau hat niemals etwas anderes, als “Scheckbuchdiplomatie” betrieben und sich ihr persönliches Ansehen in Europa und der Welt - auf Kosten des Steuerzahlers - teuer erkauft! Ich kann mich da noch gut an die Lästereien irischer Freunde erinnern…“Thanks a lot, Germany!”. Es ging ihr immer nur darum, SELBST gut dazustehen. Die Bevölkerung war ihr immer schon gleichgültig, sonst wäre sie nicht permanent durch die Weltgeschichte gejettet, sondern hätte sich zunächst um ihr eigenes Land gekümmert, das zusehends und nachhaltig verkommt!

Oliver Förstl / 21.06.2018

Überall verteilt sie Milliarden, nur um ihre unsinnige Politik und eigene Position zu retten. Wer stoppt sie? Sonst verscherbelt sie neben unseren Werten auch noch unser ganzes Tafelsilber.

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