Georg Etscheit / 10.04.2023 / 11:00 / Foto: Beercha / 22 / Seite ausdrucken

Ein Bauerngarten vor der Bayerischen Staatsoper

Immer öfter sieht man auf Straßeninseln oder in städtischen Parks in München und andernorts agrarisch anmutendes Blumengewimmel. Das Motto lautet: „Mehr Stadtnatur wagen“.

Vor allem in Südbayern findet man mancherorts noch echte Bauerngärten. Meist ist das ein nicht allzu großes Geviert vor oder neben dem Hof, das mit einem Staketen- oder Flechtzaun umfriedet und allerlei bunten Blumen und Gemüse bepflanzt ist. Wicken, Tränendes Herz, Kugeldistel, Stockrose, Margerite, Flocks, Ringelblume und Sonnenblume sind typische Gewächse eines Bauerngartens, außerdem Akelei, Fingerhut, Kornblumen und Dahlien, im Herbst Astern. Dazwischen Essbares wie Tomaten, Gurken, Bohnen, Erbsen, Blumenkohl, Kohlrabi und diverse Küchenkräuter. Selbst ein vorbildlich gepflegter Bauerngarten macht mitunter einen recht wilden Eindruck, weil eben alles in verschiedenen Höhen und Formen durcheinander wächst, durcheinander blüht und verblüht, durcheinander reift. 

Leider werden die Bauern immer weniger und damit auch die Bauerngärten. Außerdem tendiert die Landbevölkerung dazu, den Lebensstil der Städter zu adaptieren. Das Wilde, Ungeordnete ist hier oft verpönt, weil es an die glücklich überwundene Armut früherer Zeiten erinnert. Im Zweifelsfall dann lieber eine akkurat gestutzte Taxushecke oder ein modischer Schotter- statt eines Bauerngartens. Wenn man heute irgendwo einen besonders schönen Bauerngarten entdeckt, kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dessen Besitzer aus der Stadt „zugereist“ ist.

Während also auf dem Land Bauerngärten zur Rarität werden, gewinnen sie ausgerechnet dort an Beliebtheit, wo es nie Bauern gegeben hat, abgesehen von „Millionenbauern“, die das Glück hatten, ihre Felder und Äcker als Siedlungsflächen vergolden zu können: in der Großstadt nämlich. Immer öfter sieht man auf Straßeninseln oder in städtischen Parks in München und andernorts agrarisch anmutendes Blumengewimmel. Entweder von städtischen Grünämter hochoffiziell angelegt oder von ökologisch bewegten Bürgern, die Zeichen gegen das „Insektensterben“ setzen wollen. Neuerdings vergibt die Stadt München auch Grün-Patenschaften für den Umgriff neu gepflanzter Bäume, für die immer mehr Parkplätze weichen müssen. Bienenfreundliche Stauden zum Bepflanzen gibt dafür umsonst.

Ein Schrebergarten vor Residenz und Oper?

Nach dem Motto „Mehr Stadtnatur wagen“ sind ungezügelt wuchernde Staudenbeete selbst an Orten angesagt, wo innerstädtische Bauerngärten so passend sind wie ein barockes Blumenparterre vor dem Kuhstall. Auf dem Max-Joseph-Platz vor der Bayerischen Staatsoper beispielsweise, mitten im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt. Die trapezförmige Fläche macht selbst nicht viel her mit ihrer Pflasterung mit Flusskieseln aus der nahen Isar, die Damen in Stöckelschuhen auf dem Weg in die Oper meiden sollten. Doch das soll der Platz auch nicht, denn nichts soll ablenken von der Pracht der ihn säumenden Architektur: der Residenz im Norden, Oper und Residenztheater im Osten, dem sogenannten Opern-Palais im Süden und nach dem Krieg teilweise wieder aufgebauten Renaissance-Bürgerhäusern im Westen. Nicht zu vergessen der Kurfürst selbst, seit 1806 als Maximilian I. König von Bayern, der mittendrin über Löwen auf einem Bronzesockel thront. Einmal im Jahr dient der Max-Joseph-Platz als Bühne für die Münchner Opernfestspiele, wenn dort Freiluft-Konzerte und Gratis-Übertragungen aus dem Nationaltheater zu erleben sind. 

Doch der graue Platz ist grünen Stadtpolitikern schon lang ein Dorn im Auge, nicht zuletzt deswegen, weil sich darunter eine Tiefgarage befindet, unverzichtbar für Opern- und Theaterbesucher von außerhalb, aber verhasst bei den Verfechtern der autofreien Innenstadt, die mittlerweile im Stadtrat den Ton angeben. Nun sollen zunächst als Interimslösung die Zufahrten zur Garage schmaler gestaltet und die dadurch gewonnene Fläche vor Residenz und Oper mit Pflanzkübeln begrünt und mit Stühlen ausgestattet werden. Das 2.000 Quadratmeter große Denkmalrondell soll zudem „entsiegelt“ werden und sich mit arten- und blütenreichen Gräsern und Wildstauden laut Rathausvorlage in eine „Bienen- und Augenweide“ verwandeln. Ein Ansinnen, das wenigstens bei der CSU-Opposition im Stadtrat auf Widerstand stößt, die dort keinen „Schrebergarten“ sehen will „Und die Welt retten werden wir mit den paar Quadratmetern Gräser auch nicht“, sagte der CSU-Stadtpolitiker Alexander Reissl.

Schutz vor gefräßigem Biber

Verfechter von mehr „Wildnis in der Stadt“ werden sich davon kaum beeindrucken lassen. Die breitet sich derweil recht ungeniert aus, etwa in Gestalt diverser Biberfamilien im Englischen Garten. Damit die gefräßigen Nager noch etwas stehen lassen, wurden alle Bäume im näheren Umfeld der zahlreichen Wasserläufe im Englischen Garten im unteren Stammbereich mit Drahtgittern geschützt. Ein teures Unterfangen. Außerdem wurden die bislang akkurat eingefassten Ufer des durch den Garten führenden Eisbachs, eine künstlich geschaffene Ableitung der Isar, mit Schotterbänken „naturnaher“ gestaltet, was der Biber vermutlich mit noch größerer Fertilität danken wird. 

Geschaffen wurde der größte Münchner Park, eines der bedeutendsten Gartenkunstwerke Europas, im frühen 19. Jahrhundert im Stile eines Englischen Landschaftsgartens als romantisches Gegenbild zu den streng gezirkelten barocken Schlossparks, die die Macht der absolutistischen Fürsten auch über die Natur symbolisieren sollten. Jetzt droht sich die absichtsvoll gestaltete Natur im Sinne der „Stadtökologie“ wieder in eine Wildnis zu verwandeln, diesmal allerdings nicht eine romantisch idealisierte, sondern eine echte. 

Leider ist Wildnis im ästhetischen Sinne notwendigerweise weder „schön“ noch vielfältig. Gerade hat sich in den Ammergauer Alpen südlich des Staffelsees bei Murnau ein Wolfspaar angesiedelt, was Bauern und Touristiker um den Fortbestand der Almwirtschaft fürchten lässt. Die offenen Hochweiden für Rinder, Schafe und Ziegen, potenzielle Beutetiere des Wolfs, sind nicht nur für Wanderer attraktiv, sie beherbergen auch einen weit größeren Artenreichtum als er in jenen von Fichten- und Tannen dominierten Wäldern anzutreffen wäre, die sich in Gebirgslagen ohne menschliche Eingriffe ausbreiten würden. 

Doch der streng geschützte Wolf ist, ähnlich dem Biber, das gehätschelte Symboltier einer angeblich ökologisch so wünschenswerten Rückkehr der Wildnis in einem extrem dicht besiedelten und intensiv genutzten Land. Da muss man im Zweifelsfall bereit sein, auf die Almwiesen mit Enzian, Alpenrosen und Silberdistel zu verzichten. Als Ausgleich gibt’s ja bald Wildkräuter vor der Bayerischen Staatsoper. 

 

Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung.

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M. Wolke / 10.04.2023

Man kann aber auch alles problematisieren, Herr Etscheit. Nicht hinter jedem Strauch steckt ein Feind.

Ulrich Jäger / 10.04.2023

  Solche blühenden „Wildwiesen“ sehen nur im ersten Jahr „schön“ aus. Unser kommunaler Gartenbetrieb war der Meinung, einmal durchgegrubbert und gesät reicht für Wildnis aus. Im Jahr darauf hatten sich dann nichtblühende Kräuter durchgesetzt.  „Natur sich durchsetzen lassen“ klappt weder in der Innenstadt noch in den Landschaftsparks hierzulande. Der Traum schlicht-grüner Gemüter vom Yellowstone-Park an der Elbe platzt spätestens, wenn das Ganze ein Raub der Flammen wird. Die Gebiete von Nationalparks andernorts sind geschützt worden, bevor man sie in Kulturland umwandelte. Der Wunsch, hier in Deutschland den herzynischen Wald wie zu Cäsars Zeiten wieder entstehen zu lassen, ist genauso illusorisch wie eine Wiederbewaldung Kretas.

A. Ostrovsky / 10.04.2023

Merkelsche Symbolpolitik vom Feinsten. Ein richtig stinkender Misthaufen gehört vor die Staatsoper, schon wegen dem Staat! Aber obendrauf ein “Reiter”-Denkmal! Haha, der Valentin war gar kein Komiker, der war ein Zukunftsseher. Holzinger hat er gheiß‘n. Oder doch Eisele?

Wolfgang Feldhus / 10.04.2023

Der Biber darf auch Bäume im Naturschutzgebiet fällen. Und das auch unter Missachtung des Bundesnatursctutzgesetzes,,

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