Ein Ballettabend der Extraklasse

Es gibt zwei Möglichkeiten, sich dem Ballett „Friedrich“ zu nähern: Man schaut ins Programmheft, in dem die Gemälde mit kurzen Erläuterungen abgebildet sind, oder man macht es wie ich und lässt das Geschehen auf sich wirken.

Kürzlich feierte das Theater Nordhausen das 70-jährige Bestehen seiner Ballett-Compagnie. Dabei stand es Spitz auf Knopf für die Ballett-Sparte, die während der großen Theaterfusion in Thüringen beinahe eingespart worden wäre. Wie gut, dass dies abgewendet werden konnte, denn heute ist die Truppe unter Ballettdirektor Ivan Alboresi eine wahre Perle hoher Ballett-Kunst geworden. Davon konnte man sich bei der Premiere von Friedrich – Le Sacre du Printemps am 18. Oktober 2024 erneut überzeugen.

Bei „Friedrich“ handelt es sich um eine besondere Würdigung des Malers Caspar David Friedrich, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr mit mehreren großen Ausstellungen gefeiert wurde. Kann man Friedrichs Bilder in Tanz umsetzen? Man kann, wenn man Ivan Alboresi ist, der die 4. Symphonie von Ludwig van Beethoven als Musik zu seinem Ballett wählte. Acht Gemälde boten die Inspiration für Alboresi, der Friedrichs Werke als Kompositionen begreift, in die man förmlich hineingezogen wird. So will Alboresi das Publikum in seine Interpretation der Bilder hineinziehen:

„Generell habe ich versucht, die Dynamik des Bildes aufzugreifen und diesem einen neue Interpretation zu geben. Auch die politischen Aspekte haben mich interessiert. Die deutsche Tracht ist ja ganz wichtig bei ihm als ein politisches Statement gegen die französische Besatzung. Das spiegelt sich bei uns in den Kostümen  (Yoko Seyama) wider.“

Hohe Kunst

Es gibt zwei Möglichkeiten, sich dem Ballett zu nähern: Man schaut ins Programmheft, in dem die Gemälde mit kurzen Erläuterungen abgebildet sind, oder man macht es wie ich und lässt das Geschehen auf sich wirken, um herauszufinden, ob man die Bilder erkennt.

Ich habe die meisten erkannt, wobei das Bühnenbild (Yoko Seyama) eine Hilfe war. Zwei Jalousien wurden in das Licht getaucht, das Friedrich jeweils als Leitmotiv gewählt hat. Ein durchscheinendes zartes Blau, als es um die „Kreidefelsen auf Rügen“ ging, ein ins Grünliche spielendes Grau beim „Mönch am Meer“. Rot-Orange bei „Abendlandschaft mit zwei Männern“. Grandios ist das Schlußbild in blau, grau, zartlila, weiß, grünlichen Pastelltönen. “Wanderer über dem Nebelmeer”. Nur bei „Mondaufgang über dem Meer“ war ich nicht sicher, und „Die Schwestern auf dem Söller“ kannte ich nicht. Fasziniert war ich vom hohen Tempo der Darbietung. Das Lohorchester jagte förmlich durch Beethovens 4. Symphonie. Aber trotz der rasanten Abfolge der Tanzszenen waren sie so exakt, wie man sich nur wünschen konnte. Hohe Kunst eben. Balettfreunde sollten diese Aufführung auf keinen Fall verpassen. Wer noch kein Ballettfreund ist, wie meine Begleiterin, wird es an diesem Abend.

Dazu trägt auch die zweite Aufführung „Le Sacre du Printemps“ von Igor Strawinsky bei, der sich von einem düsteren Gedicht „Jarilo“ von Sergei Grordezki inspirieren ließ. Ein archaisches Ritual, bei dem von einem uralten Priester ein zehnjähriges Mädchen dem Frühlingsgott geopfert wird. Als das Ballett 1913 in Paris uraufgeführt wurde, kam es zu einem gewalttätigen Skandal. Zu neu waren Musik und Tanz. Das Stück übte dennoch eine große Faszination aus. In einer Datenbank sind 185 Versionen erfasst. Ich weiß nicht, ob die dabei ist, die Anfang der Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts in der Deutschen Staatsoper Berlin aufgeführt wurde. Damals wurde vor allem das Grauen eines Menschenopfers thematisiert. Ich erinnere mich gut an meine Erschütterung.

Alboresi jedenfalls hat sich von dieser Härte abgewandt. Für ihn ist nicht klar, ob es wirklich zum Opfer kam  oder nicht. Er ist frei mit Strawinsky umgegangen, um dem heutigen Empfinden näher zu sein. Er lässt zum Beispiel Frauen tanzen, zu einer Musik, die für Männer bestimmt war. Die Stellung Mann gegen Frau, die zu Strawinskys Zeiten noch bestimmend war, gibt es heute so nicht mehr. Die Gemeinschaft beim Frühlingsopfer ist auch deutlich individualisierter, als es in früheren Vorstellungen der Fall gewesen sein muss. Die Egalisierung durch die Kleidung wird durch die tänzerische Bewegung aufgehoben. Es gibt den Anführer, die Mitläufer, die ängstlichen Neugierigen. Zum Schluss ist das Opfer mit Fäden an den Priester gebunden, aber es bleibt offen, was mit ihm geschieht.

Mit „Le Sacre du Printemps“ schließt Alboresi seinen Strawinsky-Zyklus ab, zu dem noch „Petruschka“, „Les Noces“ und „Der Feuervogel“ gehört haben.

Das weckt den Wunsch, den gesamten Zyklus hintereinander sehen zu können.

Hier ein Vorgeschmack.

Die nächsten Vorstellungen: 30. Oktober, 15. November, jeweils 19:30 Uhr; 24. November, 18.00 Uhr

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Vera Lengsfelds Blog.

 

Vera Lengsfeldgeboren 1952 in Thüringen ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.

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Leserpost

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Olaf Dietrich / 27.10.2024

Siehste, ich dachte es hätte mit unserem Blackrock - Botschafter zu tun. nix da. Es war ein Augenschmaus. Danke!!

Sabine Heinrich / 27.10.2024

Danke, liebe Frau Lengsfeld, für Ihren Beitrag, der in einem wohltuenden Kontrast zu dem über abartige Vampire steht. Artikel über wirkliche Kunst - die sauge ich auf wie eine Biene den Nektar aus einer Blüte - um mich einmal sehr bildlich auszudrücken. Es darf auch gern geschmunzelt werden!

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