Beda M. Stadler, Gastautor / 14.04.2007 / 09:34 / 0 / Seite ausdrucken

Ein Apfel ist kein Medikament

Die Lebensmittel sind eigentlich dazu da, uns gut und gesund zu ernähren. Doch Marketingstrategen schwatzen uns Nahrung auf, die damit nicht mehr viel zu tun hat.
Gesund essen ist einfach. Verbindet man sich die Augen und gibt blindlings in der Lebensmittelabteilung eines Einkaufszentrums verschiedene Lebensmittel in den Korb, muss man nur eine Regel befolgen: Jedes zweite Mal sollte ein Gemüse oder eine Frucht in den Korb wandern. Diese einfache Regel genügt, um sich gesund zu ernähren…

Natürlich sollte man darauf achten, bestimmte Nahrungsmittel zu essen mit jenen Inhaltsstoffen, die wir selber nicht im Körper herstellen können. Das haben die Ratten nicht nötig; sie können selber Vitamin C herstellen. Daher mag es ihnen in der Kanalisation gefallen, obwohl dort keine Früchte und Gemüse wachsen. Matrosen, die an Skorbut litten, hatten wochen- oder monatelang eine Ernährung fast gänzlich ohne Vitamin C. Eine Peperoni oder eine Orange reicht aber aus, um den täglichen Bedarf an Vitamin C zu decken. Zudem werden heute bei vielen Nahrungsmitteln ohnehin Vitamine zugesetzt. Selbst Kinder, die sich fast ausschliesslich von Fastfood ernähren, werden genügend Vitamin C in ihrem Essen finden.
Unsere Lebensmittel sind derart gesund, dass man sich völlig gesund ernähren könnte, selbst wenn man zufällig und ohne Bedacht einkaufen würde. Der Haken ist, unsere Nahrungsmittel sehen nicht mehr so aus, dass man sie zufällig verspeisen kann. Sie tragen Aufschriften und Konsumenteninformationen, die an Medikamentenbeipackzettel erinnern. Das verunsichert, weil naturbelassene Lebensmittel perfekt mit einer Schale verpackt sind, aber keine Gesundheitstipps draufstehen. Menschen, die lustvoll leben, kümmern sich wahrscheinlich nicht um Konsumenteninformationen und leben vielleicht deshalb gesünder. Es sind die Magersüchtigen, denen die Kalorienangaben nützen, noch kränker zu werden, und es sind die Fresssüchtigen, die Lightprodukte konsumieren, um nachher doppelt so viel Schokolade zu verputzen.
Es ist eigenartig, wir wollen immer gesünder essen und stopfen trotzdem ständig ungesunde Dinge in uns hinein. Die meisten von uns haben ein zielsicheres Händchen im Einkaufsparadies, um genau jene Dinge herauszupicken, die man eigentlich nicht essen sollte. Sind es vielleicht die präzisen Vitaminangaben auf dem Schleckzeug, die uns vorgaukeln, pure Gesundheit zu geniessen?
Man sollte vorsichtig sein, wenn auf einer Nahrungsmittelpackung draufsteht, dass Gesundheit drin ist. Am einfachsten wäre es, man würde nichts essen, von dem behauptet wird, es sei gesund. Ein Nahrungsmittel, das nicht gesund ist, sollte keines sein, basta! Ganz sicher sollte man kein Nahrungsmittel kaufen, von dem behauptet wird, es stärke das Immunsystem. Keine Angst, ein Joghurt tut es nicht! Das Immunsystem kann man schwächen, zum Beispiel, indem man sich falsch ernährt. Es zu stärken ist aber gefährlich, ausser man impft sich.
Es sind die Marketingstrategen, die uns einreden, Genussmittel seien Grundnahrungsmittel. Zerlegt man eine Eiscrème in ihre Bestandteile, so sind Kohlenhydrate, Eiweisse, Fette, Mineralsalze oder Vitamine enthalten. Nur, wer sich mit solchen Grundnahrungsmitteln ernährt, der wird früher oder später eine Tannenbaumfigur haben.
Vielleicht haben die falschen Versprechungen damals angefangen, als man auf die Honigdose schrieb: «Mutter, gib deinem Kinde Honig.» Es brauchte jahrelange Aufklärungsarbeit der Zahnärzte, bis die Mütter bemerkten, dass solche Mutterliebe den Zähnen schadet. Obwohl Honig vor allem Zucker ist, schmeckt er mir auch, und ich will ihn nicht verteufeln. Spass haben am Essen bedeutet auch, ab und zu mal über die Schnur zu hauen.
Wir machen leider keinen Unterschied mehr zwischen Lebensmitteln und Nahrungsmitteln. Ein Lebensmittel ist Essen, in dem alles enthalten ist und das gut schmeckt. Man isst, um damit gut zu leben. Nahrungsmittel sind zu Konsumprodukten geworden, die nicht mehr wie Lebensmittel aussehen, auf denen aber alles Mögliche draufsteht und uns vorgaukelt, dass wir damit gesund werden. Meistens werden wir damit aber nur dick.
Auf unseren Nahrungsmitteln stehen nicht nur Angaben über ihre Zusammensetzung und den Energiegehalt, sondern sie tragen immer öfter Labels, die ein Heil versprechen. Ich frage mich, warum jemand Kaffee kauft, nicht weil er gut schmeckt, sondern weil man damit die Welt retten kann? Das hat doch nichts mehr mit Essen zu tun, es wäre doch einfacher, den Spendenbeleg zu verzehren! Wer Gutes tun will, soll das ruhig, warum will er dies aber mit seinem Einkaufskorb beweisen? Es fehlt nur noch ein Birchermüesli mit integrierter CO2-Abgabe! Früher mussten wir vor dem Essen beten und dankbar sein, dass wir zu essen hatten. So viel Nächstenliebe ist nicht verwerflich, nur frage ich mich, ob ein Biorüebli wirklich besser ist, bloss weil eine Knospe draufklebt? Bisher konnte niemand in einem Blindversuch ein Biorüebli von einem normalen Rüebli unterscheiden. Es reicht heute also nicht mehr, auf den Nahrungsmitteln alle möglichen medizinischen Fakten aufzudrucken, neu brauchen die Produkte einen inneren Wert. Für viele sind die Ökolabel auf den Nahrungsmitteln wahrscheinlich Religionsersatz, für andere ein Weg, das schlechte Gewissen zu beruhigen.
Ich will doch keinen Apfel essen, weil er Vitamine enthält. Mein Kühlschrank soll nicht zum Medikamentenschrank werden! Wenn ich mal über die Schnur hauen will, sei dies mit einem Glas Rotwein zu viel oder mit einem traumhaften Dessert, dann will ich nicht gleichzeitig mit einem pseudoreligiösen Label für Ablass bitten.
Die Bauern haben jahrtausendelang für uns Lebensmittel hergestellt. Es will mir einfach nicht in den Kopf, dass neuerdings nur die zehn Prozent Biobauern richtige Landwirte sind. Hier läuft eine Diskriminierung, über die sich niemand aufzuregen scheint. Langsam bekommt man das Gefühl, die normalen Produkte aus der Landwirtschaft seien qualitativ schlecht oder gar giftig. Die Biobauern sind zu Vorzeigebürgern geworden. Dabei sind es doch die normalen Bauern, die für uns die neunzig Prozent der normalen Lebensmittel herstellen, die kein Label brauchen, wie man sie auf den Medikamenten findet.

(Zuerst erschienen in Schweizer Familie am 12. April 2007)

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