Gerd Habermann, Gastautor / 10.08.2021 / 11:00 / Foto: Tomaschoff / 11 / Seite ausdrucken

Eigentum und Freiheit: Was steht in den Parteiprogrammen? (2)

Welche der großen Parteien haben eine eher freiheitliche und welche eine überwiegend kollektivistische Programmatik? Die 6-teilige Reihe nimmt sich die sperrigen Wahlprogramme vor. Heute: FDP

Nie gab es mehr zu tun. Wahlprogramm der Freien Demokraten.

90 Seiten. Gesamteindruck.

Im Wahlprogramm der FDP finden sich im Kontrast zu den drei „linken" Programmen etliche liberale Elemente. Man möchte keinen „Systemwechsel" wie andere Parteien, sondern nur einen „Neustart" der Marktwirtschaft und eine „Energiewende". Das Programm ist eigentumsfreundlich, bietet aber doch keinen Gegenwurf zum Kollektivismus im sozial- und gesellschaftspolitischen Teil, sondern allenfalls – und inkonsequent – eine Verteidigung des Status Quo, Strukturkonservatismus insoweit. Sie ist überdies auch eine Partei des europäischen Zentralismus, eines europäischen Bundestaates und steht in Sachen Gesellschaftspolitik eher links, wenn auch das „Gendern" sich in Grenzen hält. Aber der seltsamen LGBTQI-Propaganda schließt sie sich an. Die Position der „Mitte", die sie für sich in Anspruch nimmt („durch die Mitte nach vorn"), ist nichtssagend, denn der Begriff „Mitte" ist, wie gesagt, ohne konkreten Wertbezug inhaltlich beliebig wandelbar und damit substanzlos. In der Gesellschaftspolitik ist sie häufig links-interventionistisch. Kaum glaublich für eine liberale Partei: „Kultur als Staatsziel" – was immer das bedeuten mag. Sie dämonisiert aber nicht die Klimafrage und hat umweltpolitisch maßvolle Positionen, ein Pluspunkt.

Marktwirtschaft, Eigentum, Unternehmertum

Die FDP fordert – wie die CDU – einen „Entfesselungspakt" für die deutsche Wirtschaft. Das ist vielversprechend. So soll die Unternehmenssteuerlast auf 25% (OECD-Durchschnitt) gesenkt werden. Die steuerliche Stellung der Kommunen soll u.a. durch ein eigenes Hebesatzrecht auf die Körperschafts- und Einkommenssteuer gestärkt werden. Das liest ein Liberaler gern. Auch den Abschnitt über verbesserte Abschreibungsbedingungen. In der Einkommensteuer Spitzenbesteuerung nur für Spitzenverdiener (aber auch schon ab 90.000 Euro Jahreseinkommen). Seit langem kämpft die FDP für die Abschaffung des sog. Mittelstandsbauches in der Steuerkurve und eine Verhinderung automatischer Steuererhöhungen über Inflation. Bisher folgenlos gefordert wird eine Vereinfachung der Steuererklärung und eine Abschaffung von Bagatell- und Lenkungssteuern. Sie wendet sich gegen immer neue Nothilfen und Rettungsschirme. Auch sie fordert mehr überwiegend private Zukunftsinvestitionen (25% vom BIP).

Die Sozialausgaben sollen auf immer noch beträchtliche 50% des Bundeshaushalts begrenzt werden. Sogar eine Schuldenbremse für die Sozialversicherung bringt sie ins Gespräch. Aber auch öffentliche Gründungszuschüsse in allen Lebenslagen! Erfreulicherweise findet auch der Gedanke der Privatisierung Platz in diesem Programm: So sollen die Staatsbeteiligungen an Post und Telecom und auch an den Banken verkauft, der Bahnverkehr privatisiert werden.

Andererseits fordert sie im Interesse des Wettbewerbs Regulierungen für die großen internationalen Digitalunternehmen. Sie tritt für internationalen Freihandel (Reform der WTO) und einen großen transatlantischen Wirtschaftsraum ein. Leider gibt es Vorbehalte gegen eine freien internationalen Steuerwettbewerb („unlauteres Steuerdumping "). Auch ist sie Anhängerin eines europäischen Bundesstaates mit einer echten Verfassung, einem echten Parlament, einer Europäischen Armee und einer teilweise harmonisierten Steuerverfassung. Sie ist auch für eine Bankenunion mit einem europäischen Einlagensicherungsfonds (allerdings erst nach Abbau von Bilanzrisiken). An der Stelle des ESM soll es einen Europäischen Währungsfonds (EWF) geben, während sie gleichzeitig gegen eine Schuldenunion ist. Sie wirbt auch für eine Energiepolitik mit marktwirtschaftlichen Elementen, auch für eine „Europäische Wasserstoffunion" und auf dem Wohnungsmarkt hält sie die marktwirtschaftliche Linie (gegen Mietendeckelung)

Die FDP verteidigt das Bargeld und ist alternativen Kryptowährungen nicht abgeneigt.

Bildungswesen: überwiegend etatistisch

Die FDP plädiert für eine Abschwächung des Bildungsföderalismus (bundesweite Abschlussprüfungen für Mittlere Reife und Abitur). Andererseits plädiert sie für mehr Schulautonomie (Budget, Personalentscheidungen). Von Privatisierung und Entstaatlichung in diesem Bereich ist weniger die Rede. Die Idee der Bildungsgutscheine könnte mehr Wettbewerb bringen, ist aber sozialpolitisch blind. Auch soll es (staatliche) „Talentschulen" geben. Im Übrigen hat sie ein eher technisches Bildungsverständnis. In diesem Abschnitt besonders spricht sie eine bombastische Sprache („weltbeste Schulen" mit „weltbesten Lehrkräften" – geht es nicht auch etwas bescheidener?) Es kommen hier und anderen Stellen unnötige Anglizismen vor („Spacemaker", „Learning Analytics"," „Midlife-Bafög", „Quick freeze Legal Tech"). Schließlich die Idee der Schaffung eines „zweiten Bildungssystems für das ganze Leben", mit einem „Midlife-Bafög von 1000 Euro" – was jedenfalls wenig mit Privatinitiative und viel mit einem weiteren Sektor von Bildungsstaatswirtschaft zu tun hat. Auch sonst viel Bildungssozialpolitik: Persönliche Auslandserfahrung auch für Azubis, dafür einen (staatlichen) Austauschdienst nach Vorbild des DAAD, „Azubi-Botschafter" an Gymnasien, flächendeckende „Jugendberufsagenture ". Das Stipendienwesen des Bafög nun auch elternunabhängig, womit der ursprünglich sozialpolitische Charakter vollends verlorengeht. Ein leerer Begriff ist die „Modernisierung", wo man sich gut über dessen Inhalt streiten kann, auch eine Neigung zum rein Technokratischen fällt auf.

Energiewirtschaft und Digitalisierung

„Technologieoffenheit im Fahrzeugbau" ist gewiss erfreulich, andererseits wieder der übliche Fördersozialismus, sogar für Dinge und Innovationen, denen angeblich die Zukunft gehört (was eine „Anmaßung von Wissen" darstellt). Auch an lächerlichen Kleinstforderungen fehlt es in dem Programm nicht, z.B. die Erhöhung der Höchstgeschwindigkeit von Kleinkrafträdern (von 45 auf 55 Km). Wie kommt so etwas in ein Wahlprogramm?

Der technokratische Zug des Programms zeigt sich auch in der Beschwörung der Digitalisierung. Dies ist eine Errungenschaft der Märkte – nun soll es ein „Ministerium für Digitale Transformation" geben, also mehr Bürokratie. Auch Gigabit-Gutscheine für kleine und mittlere Unternehmen. Im Einzelnen technologische Feinheiten wie „Vorgabe von security-by-design", „KI-Road-Map" und „regulatory sandboxes" – ein Jargon, der nicht zu einem Wahlprogramm passt.

Schwach ist die Position der FDP zum überständigen öffentlichen Rundfunkwesen: Sie fordert ohne weitere Präzisierung eine Auftrags- und Strukturreform. Positiv: die Forderung nach einer Veräußerung der staatlichen Bankenbeteiligung. Sie verteidigt auch das Bargeld und wendet sich gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

Weiteres zur Gesellschaftspolitik: ambivalent

Flexible Arbeitszeiten – gewiss, aber warum überhaupt diese weitgespannten Regulierungen einer Arbeitszeitordnung? „Rechtsanspruch auf Erörterung bei unternehmerischen Entscheidungen" – also schon wieder mehr Staat im Betrieb. Mehr Frauen in Führungspositionen, aber glücklicherweise ohne starre Quoten. Der „Pay Gap" sei zu problematisieren (aber gibt es ihn überhaupt?), „Diversity Management in der Arbeitswelt" eine Anbiederung an die grünrote Linke. Behinderte auf den ersten Arbeitsmarkt („Inklusion")! Und sogar: Altersvorsorgezwang auch für Selbständige (wie bei der KV) – allerdings noch mit Alternativen im WIE. Eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters wird jeder begrüßen, fragwürdig dagegen ist die Forderung nach einer Basisrente, die höher als die Grundsicherung ist. Im Gesundheitswesen wird löblicherweise die Therapiefreiheit und (relative) Freiheit der ärztlichen Freiberufler verteidigt. Sehr positiv ist die Forderung nach mehr Möglichkeiten des Wechsels zwischen GKV und PKV. Recht utopisch und jedenfalls mit sehr viel Kosten verbunden mag das egalitäre Programm für „vollständige und umfassende Barrierefreiheit im öffentlichen Raum" sein.

Auch bei dieser Partei gibt es einen entleerten Familienbegrifff (überall, wo „dauerhaft Verantwortung füreinander übernommen wird"). Familienpolitik jetzt mit „Kinderchancengeld" und „Elterngeldplus". Erstaunlicherweise hält diese Partei aber am Splitting-Verfahren fest. Sie will die Anerkennung von Mehrelternschaften (bis vier) und ein Adoptionsrecht „für alle". Eine liberale Familienpolitik sieht anders aus, z.B. mehr Netto für echte Familien.

Die FDP schließt sich der LGBTQI-Propaganda an, übernimmt den entleerten Rassismusbegriff, ja tritt auch für einen nationalen Aktionsplan gegen „LGBTQI -Feindlichkeiten" ein. Den Extremismus sieht sie nur rechts, nicht links.

Verschiedenes

In Migrationsfragen ist sie für das kanadische Modell – löblich; sie hält Deutschland für ein „klassisches Einwanderungsland", was stark übertrieben ist, es ist eher ein klassisches Auswanderungsland. Gesteuerte Einwanderung sei auch notwendig, um das Rentensystem „enkelfit" zu machen. Sie ist für eine europaweite Verteilung von Flüchtlingen, was bekanntlich bei anderen europäischen Nationen nicht durchsetzbar ist. Verfassungspolitisch ist sie für eine Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers auf 10 Jahre, die Herabsetzung des Wahlrechts auf 16 Jahre. Gut ist die Betonung des Konnexitätsprinzips in der Finanzverfassung: Wer bestellt, bezahlt, etwa im Verhältnis vom Bundesstaat zu den Ländern oder den Ländern zu den Kommunen.

Lesen Sie morgen Teil 3: AfD

Teil 1 finden Sie hier.

 

Prof. Dr. Gerd Habermann ist Wirtschaftsphilosoph, Hochschullehrer und freier Publizist. Er ist seit 2003 Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam und geschäftsführender Vorstand der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft.

Foto: Tomaschoff

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Dr Stefan Lehnhoff / 10.08.2021

Blockflöte! Von den vertretenden Parteien ist nur die AfD wählbar. Alle anderen sind.hochgrafig kriminell. Diese Figuren gibt es auch in der AfD aber da besteht noch Hoffnung. Aktuell sollte wohl doch jeder erst mal die Basis wählen, wenn wir die Schwte im Kopf zulassen, die kommen eh nicht über 5%, dann nennt man das eine Self fullfilling prophecy.

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