Roger Letsch / 13.04.2024 / 16:00 / Foto: Pixabay / 28 / Seite ausdrucken

Das Ende einer Ökophantasie

Ein modellhaftes Öko-Wohnprojekt in Hannover ist gescheitert  – ein grüner Wohntraum zerschellt an der Realität.

Versuchen Sie ein unterhaltsames Quiz in einer Runde mit Freunden, die sich selbst das beste Zeugnis in Sachen ökologisches Bewusstsein ausstellen würden. Ich rede nicht vom Typ Jan-Malte Dinkelkleie, der nur Second-Hand im Nachbarschaftsladen kauft, sondern vom gut situierten Studienrat, der aufs eigene Auto verzichtet und seinen etwas zu großen CO2-Fußabruck gern mit Ablasszertifikaten zudeckt. Fragen Sie solche Freunde, wie wohl für sie die ideale Wohnsituation aussehen müsste, um dem Klimawandel ein Schnippchen zu schlagen und dem eigenen Moralkonto möglichst viele Karmapunkte gutzuschreiben.

Jede Wette, dass Begriffe wie diese fallen: ökologisch nachhaltig bauen, Bescheidenheit bei Wohnungsgröße, viel Platz für Gemeinschaft, erneuerbare Energie, Solar, autofrei, Wärmepumpe, Holz, viel Grün, naturnah… vor den Augen Ihrer Freunde – und jetzt auch vor den Ihren – entsteht ein paradiesischer Ort voller sympathischer, lächelnder Menschen ohne Autos, die Straßenbahn wartet gleich hinter der Biegung, um Sie in Nullkommanix ins Stadtzentrum zu bringen, eine Fahrradklingel ertönt, ein Kind lacht und dort, sehen Sie nur, ein Schmetterling! Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. So enden Märchen bekanntlich gern.

Es sei denn, sie enden wie das der Marie-Antoinette, die ihren ruinösen Traum von der ländlichen Idylle in ihrem Kulissendorf „Hameau de la Reine“ wegen revolutionärer Halsabschneiderei nicht lange genießen konnte. Der Vergleich, den ich gleich machen werde, ist etwas unfair und überspitzt, das gebe ich zu. Aber Hameau, das aus einer romantisierenden Mode heraus entstand, kam mir nun mal als erstes in den Sinn, als ich vom Scheitern eines modellhaften Wohnprojektes in Hannover hörte. Die Genossenschaft „Ecovillage“ musste die Insolvenz in Eigenverantwortung abbrechen und ist nun, wie der DLF berichtet, wirklich pleite und in Regelinsolvenz. Bei allen spitzfindigen Vergleichen ist das nichts, worüber man sich freuen sollte.

Ecovillage, das müssen Sie wissen, hätte die Erfüllung des ökologischen Träumchens aus unserer Freundesrunde weiter oben werden sollen: autofrei, CO2-neutral und natürlich mit sozial verträglichen Mieten. Gestartet war die Genossenschaft im Jahr 2019 mit dem Ziel, bezahlbaren, klimaneutralen Wohnraum zu schaffen. 500 Wohnungen sollten entstehen, organisiert in einem dörflichen Ambiente mit viel gemeinschaftlichem Raum und 70 Prozent Grünflächen. Wärmepumpe, Geothermie, Solar aufs Dach, Fahrradständer vor dem Haus… hach, wie schön! Rasch kamen 900-mal die 1.000 Euro Genossenschaftsanteile zusammen, bald konnte man auch die Fertigstellung des ersten Gebäudes verkünden. Doch dann rechnete eine der beteiligten Banken noch mal nach, und die GLS-Bank sagte nein zur Finanzierung. Unter anderem sei die Eigenkapitalquote zu gering, und man sei nun mal in erster Linie den Eigentümern der Bank verpflichtet und dann erst den Zielen des Projektes Ecovillage. Die GLS-Bank ist selbst auch eine Genossenschaft. Offenbar im Gegensatz zu Ecovillage mit einem tragfähigen Konzept.

Häuschen im Grünen

Dazu muss man wissen, dass Insolvenzen von Genossenschaften eigentlich sehr selten sind. Nur etwa 0,1 Prozent der Unternehmensinsolvenzen entfielen 2019 und 2020 auf Genossenschaften, was auch daran liegen könnte, dass die Mitglieder stets eigenes Kapital im Feuer haben, der Geschäftszweck sich meist auf wertschöpfende Infrastrukturprojekte richtet, Beschlüsse abseits des Tagesgeschäfts von der Generalversammlung gefasst werden müssen und die überschaubare Größe für direktere Verantwortlichkeiten sorgt. Diese deutsche Besonderheit namens „Genossenschaft“ mag begrifflich an Sozialismus erinnern, in Wirklichkeit ist diese Form der Schaffung und Bewirtschaftung einer Allmende das Liberalste, was unsere Marktwirtschaft zu bieten hat. Und das Stabilste. Warum also ging das in Hannover so spektakulär schief?

Der Traum vom Häuschen im Grünen ist auch von Grünen nicht tot zu kriegen. Es ist schon merkwürdig, wie zuverlässig es Städter aus ihren Betonhabitaten zieht, wenn sie ihre Fantasie spielen lassen. Ein Projekt wie Ecovillage ließe sich ja auch auf irgendeiner Industriebrache mitten in Hannover realisieren, doch es sollte der Stadtrand sein. Von „Dorf“ ist immer wieder zu lesen auf der Website des Projekts. Man versuchte, das Beste aus allen Welten zu verwirklichen.

Kleinteilige Bauweise mit viel Grün – aber doch noch irgendwie Stadt. Dörfliche Idylle – aber autofrei dank Stadtbahnanbindung. Progressive Energiebilanz, Holzbauweise und Architekten mit Sendungsbewusstsein – aber sozial verträgliche Mieten. Geothermie und Wärmepumpen – aber energetisch Selbstversorgung zum Sparpreis. Irgendwie hat sich wohl auch die These von Björn Vedder noch nicht bis nach Hannover herumgesprochen, der zu wissen glaubt, dass Landleben reaktionär macht – und wer will das schon, im grün-roten Hannover! Doch während die Politik den Berufspendlern in der Peripherie Landleben und Auto-Mobilität madig macht, träumt der energiegewendete Großstädter vom Weiler mit dörflichem Charme.

Hitzeinseln

Der DLF lieferte zu diesem scheinbar widersprüchlichen Trend der Stadtflucht gleich zu Beginn die allein gültige Erklärung. Der Leser ahnt es sicher: Es treibe die Menschen aus den Städten, weil der Klimawandel diese zu sehr aufheize! Da haben wir’s! Dass Städte Hitzeinseln sind, liegt aber nicht am Klimawandel, sondern an Bauweise, Flächenversiegelung, Enge, Energieverbrauch und Beton. Außerdem wandelt sich das Klima bekanntlich stets und weltweit und macht auch vor Dörfern und Klimavorstädten nicht halt. Nicht mal dort, wo im Sommer auf einer Kreuzung ein Klimakleber sitzt, ist es kühler! Aber das Framing im DLF möchte uns vermitteln, dass da ein Klimaprojekt gescheitert sei – und für diese gelten ökologische, aber keine ökonomischen Gesetzmäßigkeiten. Oder sollten es zumindest. Tun sie aber nicht. All die energetisch-ökologischen Verstiegenheiten des Projekts, welches gleichzeitig das Klima retten, die Wohnungsnot beenden und eine dörfliche Gemeinschaft in der Stadt schaffen sollte, war schlicht unbezahlbar.

Der Vorstandssprecher von Ecovillage, Gerd Nord, dazu im DLF: „Der Bau von kostengünstigem Wohnraum wird nicht ausreichend gefördert.“ Es ist offenbar verdammt teuer, billigen Wohnraum zu schaffen, wenn Sugardaddy Staat oder Onkel Dagobert nicht einspringen und das Endergebnis auch noch Häuptling Große Wärmepumpe Habeck, Luisa Neubauer und Schrumpfologinnen wie Ulrike Herrmann gefallen soll. Für Minister, Abgeordnete unserer Parlamente und grüne Parteivorsitzende sind durch ökologische Standards in die Höhe getriebene Baukosten vielleicht erschwinglich, doch an Ecovillage waren auch Menschen beteiligt, deren Einkommen zu 22 Prozent nur auf dem Niveau der Berechtigung für B-Scheine* liegt, weitere 14 Prozent liegen nur knapp darüber. Für all diese Zeichner von Genossenschaftsanteilen sind die zu erwartenden 1.000 Euro Verlust der Einlagen ein verdammt harter Schlag.

Dabei hätte ich dem Projekt wirklich gegönnt, dass es letztlich funktioniert und finanziell darstellbar ist. Meinetwegen sogar all die energetischen Verstiegenheiten, die man plante. Doch der Traum vom Landleben am Rande der Stadt ist geplatzt und wird auch weiterhin nur in einiger Entfernung vom grünen Hannover gelebt, weit draußen, abseits von der Stadtbahn, wo Gülle und demonstrierende Traktoren herkommen. Dolly Parton wird das Bonmot zugeschrieben, es sei sehr teuer, so billig auszusehen. Für die reihum scheiternden Leuchtturmprojekte der deutschen Energie-, Verkehrs-, Heiz-, Wohn- und all der andere Wenden gilt einmal mehr: Dass Sonne, Wind und grüne Ideen uns so recht und billig sind, kommt uns letztlich verdammt teuer zu stehen.

 

Roger LetschJahrgang 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.dewo auch dieser Beitrag erschien.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Friedrich Richter / 13.04.2024

Dann ziehen sie jetzt wohl in den Plattenbau um. Was ist das überhaupt für eine Anmassung zu glauben, die grünen Lebensträume seien für die schnöden Normalverdiener und Steuerzahler bestimmt? Immerhin haben die jetzt was gelernt und werden in Zukunft immer dran denken und entsprechend handeln.

Gerhard_F_Mossmayr / 13.04.2024

Böse Realität auch! “Es ist offenbar verdammt teuer, billigen Wohnraum zu schaffen, …” Chapeau, Herr Letsch, damit ist mein Tag gerettet. Viel zu Lachen gibt es ja nicht mehr. Aber da hätte ich mich beinahe nass gemacht. Vermutlich ging es nach dem Prinzip Hoffnung, dass für dieses “Leuchtturmprojekt der Guten” schon irgendeine Förderstelle die Taschen aufmacht, bevor das den Bach runtergeht. Und solchen Realitäts- und Dreisatzleugnern vertrauen wir unser Land an. Wo wird Deutschland dereinst seine Insolvenz anmelden?

S.Buch / 13.04.2024

Kindgebliebene Erwachsene müssen eben ihre eigenen Erfahrungen machen. Und das obendrein mit dem Handicap schlechter Rechenkünste, was sie der linksgrünen Bildungspolitik zu verdanken haben. Dumm, dümmer, deutsch.

Gabriele Kremmel / 13.04.2024

Die Wirklichkeit ist aber auch lästig, besonders wenn sie einen so schnell einholt. Könnte man sie nicht einfach verbieten?

Steffen Schwarz / 13.04.2024

Aber schön mit Deppen Doppelpunkt sind sie selbst bei der Insolvenz mit dabei. Es war halt schon immer etwas teurer grüner zu sein .Fazit. ..  Diese verdammte Ökonomie.

Arnold Balzer / 13.04.2024

Dazu passt ein anderer Öko-Traum, der gerade jetzt an der Realität zerschellt: Wie heute die WELT (hinter Bezahlschranke) und die Junge Freiheit berichten, geht Oranienburg, einer Stadt im nördlichen Speckgürtel Berlins, der Strom aus: “Hilferuf aus Brandenburg: Erster Stadt geht der Strom aus”. Die Stadt ist in 10 Jahren um 16% gewachsen, aber die Infrastruktur ist nicht angemessen mitgewachsen. Investitionen verpennt? Oder zu teuer? Das geht nicht so klar aus dem Artikel hervor. Ladesäulen für E-Karren und Wärmepumpen erfordern zu viel Strom, der nicht lieferbar ist! Die Lösung für den unterschätzten Nachfrageschub: Die Stadtwerke installieren keine neuen Stromanschlüsse mehr. Ob Privathaushalt oder Betrieb - es gibt für die Neuen keinen Strom, basta! (Man will ja nicht sehenden Auges in einen Blackout schlittern.)  Ein neues Umspannwerk, das den Engpass beheben soll, wird frühestens in fünf (!) Jahren fertig sein. Bis dahin ist Schluss mit Wärmepumpe.

Ralf.Michael / 13.04.2024

Leider wird es auch hier und diesesmal nicht lehrreich sein ! Man schnallt es nicht ! Lauter Theoretiker ohne jeden Bezug zur Realität. Das kommt hauptsachlich daher, dass man in der Schule nicht aufgepasst hat. Das kann doch nicht so schwierig sein, dass muss doch irgendwie funktionieren, schliesslich können Andere es doch auch, oder ? Traumtänzer und Tagträumer…..Die universellen Parameter und Konstanten lassen sich nicht verbiegen und ändern.

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