Ich muss zum besseren Verständnis die Vorgeschichte erzählen, denn das war so: Dadurch, dass auf dem Häuschen, das ich gekauft habe, noch eine Gebäudeversicherung war, habe ich diese gekündigt und von einer großen und namhaften Versicherungsgesellschaft den überbezahlten Betrag als – Überraschung – Scheck bekommen. Digitalisierung hin oder her, ein derart antikes Zahlungsmittel muss man nach wie vor auf die Bank bringen und am Schalter einlösen. Übrigens sehr zur Freude der Bankangestellten, die so etwas ja auch nur noch selten zu sehen bekommen und dann untereinander Retro-Erlebnisse austauschen, wenn sie älter als 35 Jahre sind.
Jetzt dachte ich, es genügt, dass ich eine Maske aufsetze und jenes Kleinod vordigitalen Zahlungsverkehrs in meine zu den „gesetzlichen Öffnungszeiten geöffnete“ Bankfiliale trage. Aber nicht in Zeiten von Corona in Bayern: Direkt an der nur halb geöffneten, schicken Glastüre erwartete mich ein ganz in schwarz gekleideter Fitnessstudiobesucher, auf dessen Wollpullover, in Silber auf schwarzem Grund, das Wort „Security“ prangte. Ich habe Frankfurter Clubs gesehen, die weitaus schwächere Türsteher haben. Herr Security stoppte mich mit einer eindeutigen Handbewegung: „Entschuldigung, aber wir haben hier Zugangskontrollen“, erklärte er und hob mir ein Gerät im Geldbörsenformat vor die Stirn. „Temperaturmessung“, erläuterte er sein Tun. Sein Arbeitsmittel gab ein kurzes Fiepen von sich und zeigte eine Temperatur von 36,8 Grad an, was ich, als jemand, der eben von der winterlichen Straße hereinkam, als ziemlich gut betrachtete. „Temperatur normal …“ brummelte er.
„Ich wollte auf die Bank, einen Scheck einlösen“
„Haben Sie derzeit oder hatten Sie in den letzten 48 Stunden Symptome wie Husten, Schnupfen, Heiserkeit, Augentränen, Geschmacklosigkeit, Verminderungen des Hör- oder Sehvermögens, Schwindelanfälle oder Übelkeit mit und ohne Erbrechen?“, wollte er dann wissen. Ich musste überlegen: Ich hatte am Montag Fisch zum Abendessen, den ich nicht lange bei mir behalten habe, aber das war schon fünf Tage her und lag wahrscheinlich an dem Fisch. Ich huste außerdem alle halbe Stunde, weil ich Raucher bin, was ich vor allem morgens nach dem Aufwachen merke und was Geschmacklosigkeiten angeht, fand ich bei einer kurzen Revue meiner bisherigen Liebschaften (so viele waren es ja nicht) und meiner derzeitigen Wohnungseinrichtung meinen Geschmack ganz annehmbar.
„Ich kann Rotwein von Weißwein unterscheiden und Augentränen hatte ich das letzte Mal als 11-Jähriger, als die Schweine Winnetous Pferd Ri getötet haben“, antwortete ich brav und fügte „also Nein“ hinzu und wollte an ihm vorbei in die Schalterhalle witschen. Aber Herr Security war noch nicht fertig. „Moment“, sagte er, „wir sind noch nicht fertig. Leiden oder litten Sie in den letzten 48 Stunden unter Brustbeklemmung, Atemnot, Kurzatmigkeit, Schlafstörungen, Hautausschlägen, depressiven Verstimmungen, unkontrollierten Panikattacken, Durchfall oder Verstopfung oder haben Sie bei sich unerklärliche Verschlechterungen des Gesundheitszustandes und des allgemeinen Wohlbefindens vermerkt?“ „Ich wollte auf die Bank, einen Scheck einlösen“, gab ich zwar korrekt, aber an seiner Fragestellung vorbei, zurück. Er bemerkte es: „Sie können den Scheck gerne einlösen, wenn ich sicher bin, dass Sie gesund sind“, bemerkte er streng.
„Brauchen Sie noch Röntgenbilder?“
Okay. Konnte er haben:
„Ich bin 54 Jahre alt, ich habe etwas Übergewicht, bin also leicht adipös, laut Bundeswehr habe ich Senk-, Spreiz- und Plattfüße, was diese aber nicht gehindert hat, mich zu den Fallschirmjägern einzuziehen, vor dem ersten Kaffee morgens bin ich eher schlecht ansprechbar und dementsprechend verstimmt, mein EKG ist für einen Mann meines Alters ganz in Ordnung, die Cholesterinwerte sind so lala, bezüglich der Prostata halte ich es mit dem Sprichwort ‚Fließt es nicht, so tröpfelt es doch‘, ich leide nicht unter Erektionsstörungen, außer gerade vor Ihnen jetzt im Moment, meine Libido ist nicht mehr so wie mit Zwanzig, aber durchaus noch gelegentlich vorhanden, ich habe, wenigstens laut Auskunft meiner Ex-Frau, drei Kinder gezeugt, einen Baum gepflanzt und ein Haus gekauft und deswegen hier einen netten Scheck von meiner Ex-Gebäudeversicherung, den ich gerne einlösen würde, und wenn Sie von mir noch eine Urin- und/oder eine Stuhlprobe haben möchten, dann machen Sie nur so weiter, dann kann ich das instant liefern. Ich muss nämlich langsam auf die Toilette. Ich schließe hiermit meine Beweisführung ab, Euer Ehren!“
„So genau wollte ich es nicht wissen“, gab Herr Security etwas irritiert und erschrocken zurück. „Doch, wollten Sie!“, entgegnete ich patzig. „Darf ich jetzt rein oder brauchen Sie noch Röntgenbilder?“, schob ich nach. „Nein“, gab er mit einem bedauernden Gesichtsausdruck Auskunft. „Aha, und warum nicht?“, fragte ich verärgert nach, als ich das Knirschen der Glastürenmechanik vernahm. „Weil wir jetzt schließen“, erklärte er, „kommen Sie bitte morgen wieder! Und bringen Sie das letzte Blutbild, nicht älter als 48 Stunden, eine FFP2-Maske und einen Arbeitsschutzanzug mit.“ Sprach’s, trat einen Schritt zurück, während sich die Glaswand der Schalterhalle majestätisch zwischen ihn und mich schob und mich bescheckt, zornig und mit rotem Kopf im Eingangsbereich mit hämisch leuchtenden Geldautomaten zurückließ.
Ich habe die Geschichte später meinem besten Freund erzählt, der meinte, ich hätte eine echt kulante Bank. Seine Spaßkasse hätte nämlich eine Virenschleuse mit medizinischem Personal vor die Schalterhalle gesetzt und er sei schon dreimal an einem Antikörpertest gescheitert, weswegen er derzeit keine größeren Beträge abheben könne. Den Scheck habe ich heute noch, dafür hat meine Versicherung noch das Geld in Verwahrung. Ich habe noch sechs Tage Zeit, ihn einzulösen. Genug Zeit für eine eingehende Laboruntersuchung. Wäre sowieso mal wieder so weit.
Wann werden endlich Bankfilialen in Krankenhäusern eröffnet?
(Weitere gesunde Artikel des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.