Anabel Schunke / 11.09.2021 / 06:12 / Foto: Achgut.com / 36 / Seite ausdrucken

Die Twin Towers – weit weg und dann immer näher

Als das erste Flugzeug am 11. September 2001 um 14.46 Uhr mitteleuropäischer Zeit in den Nordturm des World Trade Centers krachte, telefonierte ich gerade mit einem Schulfreund in meinem Kinderzimmer.

Als das erste Flugzeug am 11. September 2001 um 14:46 Uhr mitteleuropäischer Zeit in den Nordturm des World Trade Centers krachte, telefonierte ich gerade mit einem Schulfreund in meinem Kinderzimmer. Wenig später lief Andreas Türck. Ich ging die Treppen hinunter in die Küche, um mir etwas zu essen zu machen. Mein Vater hatte ausnahmsweise frei und bügelte einen Raum weiter im Wohnzimmer. „Guck mal, das World Trade Center brennt“, war der Satz, den ich nie vergessen werde. Für den Rest des Tages standen wir vor dem Fernseher und verfolgten die Berichterstattung aus den USA. Ich sah live, wie beide Türme einstürzten und wie Peter Klöppel, damals noch mit dunklen Haaren, mehrere Stunden durchmoderierte.

Ich war gerade frisch 13 Jahre alt geworden, und bis dato hatte sich mein Leben nicht annähernd um Politik gedreht. Um ehrlich zu sein, hatte ich zuvor noch nicht einmal etwas von einem World Trade Center gehört. Auf Platz 1 der Charts in Deutschland standen die No Angels mit einer Cover-Version des Eurythmics-Klassikers „There must be an Angel“. Das Idol meiner Freunde und mir war eher 2Pac. Der, Eminem und all die anderen Rap-Ikonen, deren Musik wir damals in den verkifften Kinderzimmern der älteren Freunde hörten, waren für viele von uns vor 20 Jahren das Einzige, was uns mit den Staaten verband. 

Dementsprechend komisch wirkte die Schweigeminute am nächsten Tag in der Schule auf mich. Man wusste, dass etwas ganz Schlimmes passiert war und dass man nun Anteilnahme und Bestürzung zeigen musste, aber wirklich gefühlt habe ich wenig. Nicht, weil mir die Opfer oder die Amerikaner an sich egal waren, sondern weil ich die Dimension dieses Anschlags überhaupt nicht realisierte. 

Für gewöhnlich reagiert man emotionaler, je zeitlich näher ein Unglück liegt. Bei mir verlief es in diesem Fall umgekehrt. Der 11. September erscheint mir wie ein pointillistisches Bild. Je weiter man weggeht, desto klarer wird es. Und je weiter ich mich zeitlich von den Anschlägen bewegte, desto bewusster wurde ihre Bedeutung für die westliche Welt für mich. Der 11. September 2001 war ohne jeden Zweifel eine historische Zäsur. Er war jedoch vor allem auch für meine Generation, die nie etwas anderes kennen gelernt hatte als Frieden und Freiheit, ein Wendepunkt. Danach liefen die Uhren anders. Das Zeitalter des islamischen Terrorismus begann. 

Freiheit und gefühlte Sicherheit, die nie wiederkehrte

3.000 Menschen verloren damals ihr Leben. Viele Tausende erkrankten in der Folge der Anschläge durch giftige Dämpfe schwer. Die No Angels wurden kurze Zeit später von Enyas „Only Time“ an der Spitze der Charts abgelöst. Im Song geht es passenderweise darum, dass nur die Zeit zeigen wird, was passiert. Heute, 20 Jahre später, hat sie das. Die Konsequenzen des 11. September sind spürbarer denn je für den Westen und für Deutschland in Form der anhaltenden Migration aus dem Nahen Osten. Der westliche Irrglaube, den Nahen Osten demokratisieren zu können, nahm seinen Anfang im Afghanistan-Einsatz. Der Irak-Krieg, der seine Rechtfertigung ebenfalls in der angeblichen Vergeltung fand, destabilisierte die Region unwiderruflich. Der IS wurde geboren. Auch die europäischen Verbündeten blieben in der Folge nicht von Anschlägen verschont. Am Schlimmsten traf es in den letzten Jahren Frankreich. 

„Freedom isn’t free“, besagt ein amerikanisches Sprichwort. Und sie ist nie wieder dieselbe geworden, wie vor dem 11. September. Heute weiß ich, dass das kurze Jahrzehnt der 1990er zwischen dem Ende des Kalten Krieges und den Anschlägen vom 11. September eine Art von Freiheit und gefühlter Sicherheit bot, die nie wiederkehrte. 9/11 hat nicht nur die USA verändert, sondern uns alle. 

Heute habe ich Menschen in meinem Freundeskreis, die nur wenige Jahre jünger sind als ich, sich aufgrund dessen aber nicht mehr daran erinnern können, wo sie waren, als die brennenden Türme von New York City die Welt veränderten. 20 Jahre später verfügen wir über eine Generation junger Erwachsener, die nicht mal mehr weiß, wie sich Freiheit vor 2001 anfühlte und die vielleicht gerade deshalb so wenig für sie übrig hat.

Sich an 9/11 erinnern zu können, ist ein Privileg und keine Bürde. Das mag zunächst grotesk klingen, aber wenn wir schon nicht ändern können, was passiert ist, dann ermöglicht uns das Schicksal, diesen Teil der Geschichte bewusst miterlebt zu haben, zumindest ein tieferes Verständnis von Freiheit. Ja, 9/11 ist Teil meiner ganz persönlichen Erinnerungen und nicht nur eines abstrakten kollektiven Gedächtnisses. 

Verblasste Erinnerung einiger Ewiggestriger?

Vielleicht ist meine Freiheitsliebe deshalb größer als die der nachfolgenden Generation, die sie nur noch in Teilen kennen und als unerschütterlichen Ist-Zustand wahrnehmen, den man auch gerne einmal im Namen einer neuen Vorstellung von allumfassender Toleranz verraten kann. Dass sie einmal viel mehr konnte und wollte als heute, wird allenfalls als verblasste Erinnerung einiger Ewiggestriger wahrgenommen.

Ein angemessenes Erinnern und eine fundierte historische Auseinandersetzung schon in der Schule könnten daran etwas ändern. Aber auch die Älteren vergessen allmählich oder ergießen sich, wie auch die heranwachsende muslimische Jugend, wahlweise in religiösen oder linken Ideologien oder Verschwörungsnarrativen. Der Kampf für die Freiheit genießt 2021 keinen hohen Stellenwert in der westlichen Welt, weil der Scherbenhaufen, der durch die Halbherzigkeit, mit der dieser Kampf geführt wurde, entstand, mittlerweile für jeden ersichtlich ist. Und weil Freiheit so wenig greifbar ist. Weil die meisten von uns sie erst wirklich spüren, wenn nichts mehr von ihr übrig ist.

Am Ende, so viel steht fest, werden wir auf diesem Weg alles verlieren. Die Freiheit vor, genau wie die Freiheit nach 2001. Aber vielleicht bedarf es genau jenes ideellen Ground Zeros, um sich der Bedeutung des materiellen Ground Zeros und des daraus resultierenden Einsatzes für den Erhalt der Freiheit nach westlichem Vorbild wieder gewahr zu werden. 

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HaJo Wolf / 11.09.2021

Reiheit, echte Freiheit, die werden wir allenfalls nach einem schrecklichen Krieg erreichen können, wenn danach alle Ideologie und jede Religion ausgerottet sein werden. Aber das ist eine unerreichbare Utopie. Also nehmen wir das bißchen Freiheit, das man uns gewährt, hegen und pflegen es und verteidigen es konsequent gegen alle Feinde.

Michael Hinz / 11.09.2021

Heute werden überall Impftürme errichtet. Sie sind schon jetzt höher als die Twin-Towers. Babylon reloaded.

Detlef Rogge / 11.09.2021

9/11 ist mir gut erinnerlich geblieben. Hätte der Tag sein können, an dem mein Lieblingsminister, Rudolf Scharping, hätte vorzeitig demissioniert werden können. Der skandalumwitterte Verteidigungsminister sowie Minister für den komischen Gang - im preußischen Offiziersjargon, „läuft, als hätte er einen Ladestock verschluckt“ - schien am 9.11. überreif zur medialen Hinrichtung. Alles live bei ntv, einfach herrlich. Scharping, hoch erhobenen Kopfes, in bester Ribbentrop-Manier, stolziert durch einen engen Flur, während die ihn umlagernde Journaille, Reporter mit Mikros und Kameras, rücksichtslos um beste Plätze heischend, tumultartig übereinander purzelt. Ein Knäuel blutrünstiger Hyänen im Kampf um die bereits gerissen geglaubte Beute; etwas Besseres in Sachen Schlagzeilengeilheit habe ich seither nicht mehr gesehen. Für den Nachmittag war noch eine Pressekonferenz mit Scharping angesetzt, auf der sein Rücktritt erwartet wurde. Die Kommentatoren von ntv setzten keinen Pfifferling mehr auf Scharping. Plötzlich dann Cut, qualmende Twin Towers live. Ab sofort interessierte sich kein Mensch mehr für den deutschen Verteidigungsminister. Ob die Pressekonferenz stattfand, bezweifle ich. Tja, so war sie, die wundersame Errettung des Rudolf Scharping.

Christian Feider / 11.09.2021

ich weiss nicht,ob es Ihnen entgangen ist,aber die Täter dieses Anschlags studierten nahezu allesamt in Hamburg…und die neunziger waren keineswegs eine “freiheitliche Wohlfühlzone”. Nun habe ich den Vorteil,etwas aelter zu sein und kann deshalb sagen,das das Ende der bundesrepublikanischen “Freiheit” eigentlich mit dem Mauerfall zusammen fällt. Ab da ging es los mit den Bürgerkriegen auf dem Balkan(wo schon durchaus vergleichbare Greuel islamistischer Art(Bosnien inklusive Köpfungen durch Mudjahedin,wird nur zu gern wegen Srebreniza nicht mehr erwaehnt)auftraten). Die Positionierungen im Jugoslawienkonflikt führten dann direkt in die Positionen an der Seite der USA nach 2001,was uns mittelbar zu eigentlich indirekten Zielen machte. Ironie der Geschichte, Genschers Vorpreschen bei der Anerkennung Sloweniens als unabhaengiger Staat löste erst den Bürgerkrieg auf dem Balkan aus…und damit die erste Welle von “Flüchtlingen” Nein,die neunziger waren KEIN Hort von Frieden und Freiheit

Klaus Gerber / 11.09.2021

Ich bin seit 18 Jahren zahlendes Mitglied von 9/11 Truth, die für eine korrekte Aufklärung kämpfen. WTC-7 soll angeblich wegen einen Feuers in einem Büro eingestürzt sein. Die Universität von Alaska hat die NIST in einem wissenschaftlichen Gutachten diesbezüglich widerlegt. WTC-7, nein das ist keiner der beiden großen Türme, 60% der Amerikaner wissen nicht einmal dass drei Wolkenkratzer eingestürzt sind. WTC-7 viel schlagartig in “freefall speed” in sich zusammen. Er wurde schlicht gesprengt. Jeder, der sich die Mühe macht, hier kurz zu recherchieren und in Physik keine Dauerabo auf eine 5 hatte, kann dies überprüfen… Man kann einfach die beiden großen Türme ignorieren und sich fragen, was wirklich mit WTC-7 passiert ist. Das Feuer in einem Stockwerk kann, wissenschaftlich belegt, nicht die tragende Struktur eines Wolkenkratzers aus Stahlbeton schlagartig zerstören… Wikipedia: ... Das National Institute of Standards and Technology (NIST) stellte im November 2008 die Wärmeausdehnung einiger Stahlträger infolge der Brände und die folgende Überlastung von drei benachbarten Stützpfeilern als Hauptursache des Gebäudeeinsturzes fest und entkräftete verbreitete Verschwörungstheorien dazu. Summary des Reports des Institute of Northern Engineering | University of Alaska Fairbanks: It is our conclusion that the collapse of WTC 7 was a global failure involving the near- simultaneous failure of all columns in the building and not a progressive collapse involving the sequential failure of columns throughout the building. Despite simulating a number of hypothetical scenarios, we were unable to identify any progressive sequence of failures that could have taken place on September 11, 2001, and caused a total collapse of the building, let alone the observed straight-down collapse with approximately 2.5 seconds of free fall and minimal differential movement of the exterior. Ich kann jedem nur empfehlen sich die Präsentation und den Report dazu durchzulesen.

Thorsten Lehr / 11.09.2021

Geehrte Frau Schunke, es gibt den Satz, dass man Freiheit aushalten können muss. Ich persönlich interpretiere dies derart, dass die Freiheit, Entscheidungen zu treffen die Verpflichtung mit sich bringt, die Verantwortung für die Folgen zu tragen. Genau dieser Kausalzusammenhang ist der heutigen Gesellschaft in diesem Land völlig abhanden gekommen. Ich stimme Ihnen zu, die Generation nach 9/11 hat wirkliche Freiheit nie kennengelernt, aber dies liegt eben daran, dass ihre Eltern im Nachgang der Anschläge eben auch eines nicht akzeptiert haben: Das man um Freiheit kämpfen muss, ggf. auch mit Gewalt. Freedom is not free!

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