Sehr oft zeigt sich an den kleinen Kuriositäten, was auch im Großen irre ist. Was der linke Nachwuchs im Kindertheater erprobt, findet auch das Republikkasperle, pardon: der Bundespräsident super fortschrittlich. Eine Anekdote aus dem Siegerland und der Postmoderne.
Sich als junger Mensch in linken Gruppen organisieren zu wollen, ist ein Wunsch, der nicht unsympathisch ist. Bis ich selbst irgendwann darauf gekommen bin, dass die Richtigkeit bestimmter Inhalte und Positionen entscheidender ist als die Pflege linker, liberaler oder rechter Selbstidentität, fühlte ich mich „linken Idealen“ doch sehr zugetan, organisierte mich aber kaum in entsprechenden „Zusammenhängen“; etwas, das ich selbst nicht so genau zu fassen bekam, ließ mich auf Abstand gehen. Intuitiv umgab ich mich lieber mit „normalen“ Leuten, die zwar durchaus politisch und auch eher links waren, jedoch ebenso wenig „engagiert“ wie ich. Eine Entscheidung, die ich nicht bereue und auch heutzutage jedem nahelegen würde, der sich in einer ähnlichen Situation befindet.
Denn auch wenn man bestimmte Anliegen und Motive nachvollziehen kann, die sich linke Gruppen zumindest oberflächlich auf die Fahnen schreiben und die doch eigentlich auf eine gewisse Menschenfreundlichkeit hindeuten sollten, werden jene von derart vielen Idioten dominiert, dass man besser daran täte, seine Nase stattdessen in ein paar kluge Bücher oder Zeitschriften zu stecken oder sich mit Literatur zu beschäftigen, um herauszubilden, „was man im Idealfall Geschmack nennen kann“ (Paulette Gensler, Jungle World).
Siegener Kindertheater
Denn ohne Geschmack leidet auch die politische Urteilskraft. Wer beides in Grundzügen entwickelt hat, ist schließlich mit dem Problem konfrontiert, es in derartigen Gruppen nicht lange auszuhalten, handelt es sich bei ihnen doch zunehmend um antirassistische Politsekten, deren geschlossenes und borniertes Weltbild einem freundlichen Menschen genauso zuwider sein dürfte wie der bürokratische Autoritarismus, mit dem gegen Abweichler vorgegangen wird.
Das folgende Kindertheater möge das veranschaulichen. Aufgeführt wurde es von immerhin sechs linken Gruppen aus Siegen: der Linksjugend-Solid (dem Ableger der Linkspartei), Extinction Rebellion, der Internationalen Jugendgruppe Siegen, Students for Future, Fridays for Future Siegen und der SDAJ (dem inoffiziellen Ableger der DKP) sowie Die Linke SDS. Von apokalyptisch gestimmten Esoterikspinnern über altkluge Klimastreber bis hin zu zotteligen Antiimperialisten mit Pali-Tüchern ist also so allerhand von dem dabei, was die Linke an politischer Geschmacklosigkeit derzeit so anzubieten hat – zusammengehalten von jener Ideologie, die so subversiv, rebellisch und gesellschaftskritisch ist, dass sie selbst den Bundespräsidenten in einen Aktivisten verwandelt hat: Antirassismus.
Nur in diesem Weltbild kann zum rassistischen Skandal hochgejazzt werden, über was Martin Luther King sicher nur den Kopf geschüttelt hätte. Was war passiert? Ein junger Linker „aus dem antideutschen Spektrum“ teilte ein proisraelisches Meme, in dem sich über die arabische Unterlegenheit im Sechs-Tage-Krieg lustig gemacht wird, in der „Orga-Gruppe“ der Demonstration „Siegen gegen Rassismus“, die im Zuge der BLM-Proteste durchführt wurde.
Grund für seinen Ausschluss war demnach ein geteiltes Meme.
Postmoderne Sprachpolitik im Endstadium
In einer intern herumgereichten „Erklärung zu rassistischen Vorfällen“ im Rahmen der Demo, die von den genannten Gruppen unterzeichnet wurde, urteilte das Siegener Nachwuchsparteigericht den israelfreundlichen Provokateur dann ab. Aufgrund der „Schwere der Befunde“ (das Meme) sei sein Ausschluss gerechtfertigt, habe er damit doch
„unmissverständlich rassistische Beiträge von rechts extrem-faschistoiden und religiös-fundamentalistischen Seiten [gemeint ist dieses „Shitposting“-Profil] veröffentlicht, die mit rassistischen Karikaturen, Kriegsverherrlichung, staatlichem Militarismus arbeiten und ansonsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie ethnische Säuberungen befürworten & die Vernichtung der Selbstbestimmungs-, Menschen- und Existenzrechte von über Hundert Millionen Menschen [!] sowie ihre koloniale Unterwerfung unter eine rechte, rassistische Regierung fordern.“
Über hundert Millionen Menschen wollen rechte Juden wohl vernichten, vermuten zumindest linke Sektenanhänger. Doch nicht nur Bibi und co. sind bös‘, mit dem Meme habe die „Täter*in“ auch ihren „Rassismus“ und ihre „faschistoiden Vernichtungsfantasien“ offenbart. Drunter macht man's nicht mehr.
Nicht nur dafür, dass der junge Genosse den Antisemitismus der (nach eigenen Angaben) besonders migrantischen Siegener linken Jugend zutage gefördert hat, wäre ihm ein Bier auszugeben, sondern auch, weil er die Gruppen mittels eines ganz und gar rassistischen, sexistischen und arbeiterfeindlichen Facebook-Posts dazu veranlasst hat, folgende Sätze zu unterschreiben. So bezeichnete er
„entweder die AG-Gruppe aus zur Hälfte weiblichen und zur Hälfte männlichen PoCs mit Rassismus- und Sexismuserfahrungen oder die mitorganisierende Internationale Jugendgruppe Siegen, die zum Großteil aus weiblichen, migrantischen Linken mit Rassismus- und Sexismuserfahrungen besteht, als ‚Ottojugend‘.“
Spott statt Verständnis
Und das ging dem antirassistischen Standgericht dann endgültig zu weit.
Denn „damit wurden Menschen mit Rassismus- und Sexismuserfahrungen ihre Unterdrückungserfahrungen abgesprochen und ihnen wurde über den deutschen Männernamen ‚Otto‘ die Identität von weißen, deutschen Männern aufgezwungen. Das war ein weiterer Akt rassistischer sowie sexistischer Gewalt. ‚Otto‘ ist außerdem ein traditioneller Ausdruck des Klassenkampfes von oben, mit dem das Bildungsbürgertum die arbeitende Klasse über ihre vermeintliche ‚Dummheit‘ erniedrigt.“
Dass der Antirassismus über seine Hautfarbenvernarrtheit notwendig gegen das „weiße“ Israel und damit zum Antisemitismus tendiert, zeigt sich hier nochmals in aller Deutlichkeit; dass er verblödete Möchtegern-Stalinos hervorbringt, die aus antifaschistischer „Notwehr“ Abweichler fertig machen wollen, ebenfalls. Menschen, die sich derart fies und in beschämender Selbstgerechtigkeit der Lächerlichkeit preisgeben, ist auch dann nicht mit Dialog und Verständnis beizukommen, wenn sie Diskriminierungserfahrungen geltend machen. Es hilft nur Kritik und Spott.
Und davon abgesehen: Wer seine politische Jugend mit Menschen verbringen möchte, die „Otto“ für einen ewig deutschen und „weißen“ Namen halten, könnte genauso gut in eine x-beliebe Burschenschaft eintreten, wo das Essen immerhin besser sein dürfte und er vielleicht sogar zu fechten lernt.