Archi W. Bechlenberg / 11.03.2020 / 13:00 / Foto: Archi Bechlenberg / 22 / Seite ausdrucken

„Du musst eins werden mit dem Instrument.“ Zum Tode von McCoy Tyner

Der 1938 geborene Alfred McCoy Tyner begann bereits als Jugendlicher, professionell Musik zu machen. Wesentlich für seine weitere musikalische Bedeutung wurde die Begegnung mit John Coltrane, der den Pianisten 1962 in sein neu geründetes Quartett aufnahm, der wohl einflussreichsten und wegweisendsten Gruppe des modernen Jazz, die durch zahlreiche Liveauftritte und einer Reihe von unsterblichen Studioaufnahmen Musikgeschichte geschrieben hat. Das berühmteste dieser Alben ist ohne Zweifel „A Love Supreme“, das vom Magazin Rolling Stone in seiner Liste der 100 besten Jazz-Alben auf Platz 1 gewählt wurde. 

Nach Coltranes Tod und dem damit verbundenen Ende des Quartetts mischte McCoy Tyner bis in unsere Tage überall mit, wo Jazz auf höchstem Niveau gespielt wurde, er nahm Platten mit u.a. Joe Henderson („Number One“, „The Real McCoy“) auf, mit Wayne Shorter, Elvin Jones, mit Sonny Rollins, Ron Carter, Stanley Turrentine, Michael Brecker und George Benson, aber er kannte keine Berührungsängste mit anderen Musikrichtungen und spielte auch mit Carlos Santana (dem er das Stück „Senor Carlos“ widmete), Flora Purim oder Ike und Tina Turner. Meisterhaft sind die Solo-Alben, darunter das seinem verstorbenen Freund John Coltrane gewidmete „Echoes of a Friend“ von 1972/74 und das hymnische „Sahara“ von 1972. In den 1990er Jahren leitete er eine Big Band, mit der er 1995 einen Grammy Award einspielte. Laut Angabe eines Diskografen war der Pianist zwischen 1959 und 2007 an 273 Aufnahmesessions beteiligt.

2012 hatte ich die große Freude, McCoy Tyner bei einem Jazzfestival in Belgien persönlich kennenzulernen. Der in jungen Jahren wie ein muskelstarker Boxer wirkende Mann war schmal und gebrechlich geworden und musste von John Coltrane Sohn Ravi auf die Bühne und zurück geführt werden. Er sprach während unserer Unterhaltung nur leise, und seine Widmung auf einem von mir mitgebrachten LP-Cover fiel schwer lesbar aus. Dennoch spielte er an diesem Abend ein eindrucksvolles Konzert, das mir unvergessen bleibt. Seine Begleiter sorgten durch ausgedehnte Soli dafür, dass McCoy sich nicht verausgaben musste. Wenn ich an Tyners damalige körperliche Verfassung denke, erscheint sein Tod jetzt, immerhin fast acht Jahre später, nicht überraschend. Traurig macht es dennoch. Schön, dass er uns auf Tonträgern erhalten bleibt. Wie schreibt ein Kommentator bei Youtube? „Master McCoy Tyner has left the planet but not our hearts.“

 

McCoy Tyner & Ravi Coltrane – Walk Spirit Talk Spirit – LIVE 2012 

McCoy Tyner – Search For Peace 

McCoy Tyner – Fly With the Wind 

Foto: Archi Bechlenberg

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Zbyněk Šolc / 11.03.2020

Danke Frank (ORF, Trailer???) fuer Tip an „Walk Spirit Talk Spirit“ aus “Enlightenment”. Fuer mich eine gleichzeitig wie energische, so himmlische Musik.

michael gröschl / 11.03.2020

Vielen Dank für den Nachruf. Ich durfte ihn einmal in München im Herkulessaal sehen. Unvergesslich. Und jetzt “live at Newport”, mit Clark Terry, Charlie Mariano, Bob Cranshaw und Mickey Roker

ulla Schneider / 11.03.2020

Danke Herr Bechlenberg. Ach, das waren noch Zeiten. Jazzfestivals in Den Haag. Der Anschlag dieses grandiosen Pianisten. Und ich war noch jung. Und wie habe ich da noch getanzt und und und .......

Bernhard Piosczyk / 11.03.2020

Improvisation ist die höchste Kunst in der Musik. Schon damals zu Bachs Zeiten war es ein Pflichtfach, wer das nicht schaffte, ist durchgefallen. R.I.P Mc CoyTyner

Walter Wittmann / 11.03.2020

Wie schön, dass ein solcher Beitrag auf Achgut erscheint und auch so superb kommentiert wird. Ein Beweis mehr für die Intelligenz der Leser und Schreiber auf dieser Seite. Vielen Dank. Ohne Sie wüßte ich kaum noch, was ich( neben Tichys ) noch lesen könnte, ohne frustriert oder wütend zu werden.

Robert 'Lightnin' Schmidt / 11.03.2020

““Joe Henderson („Number One“, „The Real McCoy“) auf, mit Wayne Shorter, Elvin Jones, mit Sonny Rollins, Ron Carter, Stanley Turrentine, Michael Brecker und George Benson”” ... das geht ja runter wie Öl! Ich konnte ihn in Berlin Mitte der 80er live miterleben, unter freiem Himmel,  beeindruckend und extra klasse, US-Jazz vom Feinsten! R.I.P. Mr. Tyner.

Thomas Taterka / 11.03.2020

Auch nach Jahrzehnten gehört seine unergründliche Leichtigkeit im ” Blue Bossa ” auf ” Page One ” immer noch zu den schönsten Zigaretten, die man auf dieser Welt rauchen kann. Für mich der Inbegriff der solistisch “sparsamen” Erzähltiefe im Zusammenspiel : eine unbekannte Seite für einige Minuten öffnen.

Andreas Mertens / 11.03.2020

Vielen Dank für die Würdigung ... und die Erweiterung meines Horizonts. Manchmal braucht man einfach einen bewanderten Mitmenschen der einen auf das Gute (unter all dem alltäglichen Müll) im Leben hinweist. Chapeau!

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