Henryk M. Broder / 06.12.2020 / 13:00 / Foto: Imago / 19 / Seite ausdrucken

Du Maxim, ich Modest

Das Telefon klingelte, am anderen Ende der Leitung war eine weiche, melodische Männerstimme, die wie die Moldau unter der Karlsbrücke dahinfloss. "Ich bin in der Stadt, wollen wir uns treffen und zusammen etwas essen?" Das muss Anfang der achtziger Jahre gewesen sein, ich selbst war noch nicht lange in Jerusalem, gab aber gern mit meinen Ortskenntnissen an.

"'Philadelphia'", sagte ich, "es gibt nichts Besseres. Oder das 'Dolphin'". Beide Lokale lagen in Ostjerusalem. "Das ist mir zu gefährlich", sagte Maxim, "bleiben wir lieber im Westen." Der Westen der Stadt war damals kulinarisch noch nicht weit entwickelt, man ging entweder in das "Atara" oder zu "Fink's". Ich ging lieber in eine der Kaschemmen auf "Mahane Jehuda", dem Jerusalemer Markt, wo man gut und billig essen konnte, allerdings in einer recht anspruchslosen Umgebung. "Ich würde gern zu einem Italiener gehen", sagte Maxim.

Auf so eine Idee konnte nur ein Tourist kommen. Man musste entweder vollkommen ahnungslos oder ein fanatischer Zionist sein, der alles, was in Israel angerichtet wurde, automatisch gut fand, um in Jerusalem italienisch essen zu gehen. Außerdem gab es nur einen Italiener in der Stadt, das "Mamma Mia". Aber ich wollte nicht unnett sein und gab nach.

Mit Maxim und Itzig bei Mamma Mia

Ein paar Stunden später saßen wir im "Mamma Mia", Maxim, Itzig und ich. Itzig war mein Hund, ein Mischling, schlank, kurzhaarig, mittelgroß, den ich bei einem Spaziergang in einem arabischen Dorf gefunden und vor dem Tod durch Erhängen gerettet hatte. Itzig war ein extrem lieber Hund, der nur eine Macke hatte. Er konnte Araber und orthodoxe Juden nicht ausstehen und bekam Tobsuchtsanfälle, wenn er in deren Nähe kam. Deswegen konnte ich ihn weder nach Ostjerusalem noch nach Mea Schearim mitnehmen, dem Viertel der frommen Juden. Aber "Mamma Mia" war in Ordnung, Itzig legte sich unter den Tisch und wartete ab.

Maxim bestellte Lasagne, ich schloss mich aus Solidarität an, obwohl ich wusste, dass eine gute Lasagne nicht koscher und eine koschere Lasagne nicht gut sein kann. Während wir auf das Essen warteten, erzählte Maxim, dass er für ein paar Tage nach Israel gekommen war, um Freunde zu besuchen. Er berichtete, wie sehr er München und vor allem das "Schumann's" vermisste und dass er sich nicht vorstellen konnte, unter Juden zu leben, das wäre so, als "wäre man den ganzen Tag mit seinen Eltern und Geschwistern zusammen", einfach unerträglich.

Ich versuchte ihm zu erklären, dass es umgekehrt sei. Für einen Juden aus der Diaspora sei Israel der einzige Ort, an dem er vergessen kann, dass er Jude ist, weil alle anderen es auch sind. Es sei gut für das Gemüt, nicht darüber nachdenken zu müssen, ob man den Antisemiten Auftrieb gibt, wenn man sich schlecht benimmt; gut, einfach nicht als Jude wahrgenommen zu werden, egal was man tut oder lässt.

Dann kam die Lasagne. Sie war, wie ich befürchtet hatte, ungenießbar.

Ich schnitt ein Stück ab, wartete, bis es abgekühlt war, schaufelte es vom Teller in die rechte Hand und summte die ersten Takte der "Hatikwa", der israelischen Hymne. Itzig kannte das Signal, richtete sich auf, seine lange Schnauze kam unter der Tischdecke zum Vorschein. Er beroch das kleine Stück Lasagne in meiner Hand und zog sich sofort wieder unter den Tisch zurück.

Maxim aber machte sich über die Lasagne her, als wäre er gerade aus einem Lager für "displaced persons" entlassen worden und erzählte dabei, wie er sich freue, bald wieder in München zu sein, bei "Schumann's".

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Foto: Imago

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Leserpost

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Alexander Schilling / 06.12.2020

Leider bin ich nicht weiter als bis zum Ende des Titels gekommen, glaube aber, trotz anhaltender Lachkrämpfe, damit auch den Saft des Folgenden extrahiert zu haben…

Stephan Bender / 06.12.2020

Von Maxim Biller habe ich um die Jahrtausendwende in einer für für mich extrem wichtigen Orientierungsphase, (also ich jetzt hier in der Rolle des offen aggressiv psychologisierenden Feiglings),  das “Deutschbuch” gelesen, in der er das Phänomen Gutmensch anhand von deutschen Gymnasiasten schon damals analysiert hat.  Biller hat ja überhaupt viele Probleme sehr früh erkannt und beschrieben, also jedenfalls viel früher als dieser komische andere Dingsda, ... ähm ..., Modest ... oder wie der gleich hieß... - Ah ja, jetzt fällt’s mir ein: dieser Broder!

Frances Johnson / 06.12.2020

Alle Juden, die ich getroffen habe, haben erzählt, dass ihre Eltern über diese Jahre nicht sprachen. Alle, insbesondere eine Künstlerin, sagten, sie hätten darunter gelitten. Zurück zur Parallele im Gefühl: Florence Ismay, immerhin New Yorkerin, verbot im gesamten Familien- und Freundeskreis, dass über den 15.April 1912 gesprochen wurde. Diese Regel brach eines Tages der Enkel. Er war begeistert von Schiffen und wusste, dass GrandPa mit Schiffen zu tu gehabt hatte. Er fragte, ob GrandPa jemals auf einem untergehenden Schiff gewesen sei. “Ja”, sagte Ismay, “ich war auf einem Schiff, das als unsinkbar galt, und es ging unter.” Kinder sind gut. Das war das erste Mal, dass Ismay darüber sprach.

Frances Johnson / 06.12.2020

@ Judith Panther: Über Geschmack lässt sich schwer streiten. Neutral, wie ich sein kann, sage ich, dass beide gut aussehen, Maxim und Modest. Pat und Patachon. Btw: Broder verträgt Kritik. Kein Wehleid. Das hat seine Mom aufgebraucht, nach dem, was er so über sie schrieb. War keins mehr da. Sorry, @ H.M. Broder, habe etwas Interessantes gelesen: Dass niemand, der gefragt wurde, der Überlebenden der Titanic jemals wieder ganz glücklich wurde, weil sie nie wieder die Bilder und die Schreie der im Wasser Treibenden loswurden. Manche hatten schwere Schuldgefühle, dass sie überlebt hatten und die Anderen nicht. Jack Thayer beging schließlich Selbstmord, Archibald Gracie, der selbst im Wasser getrieben hatte, bekam eine herabgesetzte Immunität, sein Diabetes verschlimmerte sich, und er starb 1920. Egal wen man nachforscht, das Lebensglück war für immer zerstört.

Jörg Nestler / 06.12.2020

@lutzgerke: Meine Stimme für den Leserbrief des Monats haben Sie. Zum ersten Mal ist mir so richtig klar geworden, dass auch auf dem Teller der Deutschen Ordnung herrscht. Ich selbst backe gern Pizza. Jetzt raten Sie mal, wie ich die Zutaten auf dem Pizzateig verteile… Ja, so ist es.

Markus Mertens / 06.12.2020

Es wird immer unverständlich bleiben, warum für ein Treffen ein/der “Italiener” gewählt werden musste - in Jerusalem, einer Stadt,  in der sich kulinarische Kulturen vieler Herren Länder begegnen. Um so erstaunlicher und erfreulicher ist, dass es gelang, den Artikel beim SPIEGEL zu platzieren. Denn letztlich sind es nicht nur jüdische, sondern genauso deutsche Befindlichkeiten, die da uns allen vorgehalten werden. Die “Qualitätsmedien” haben an diesen Befindlichkeiten erheblichen Anteil.

Werner Arning / 06.12.2020

Es sind die gebrochenen, die gespaltenen, die zweifelnden, die suchenden Existenzen, die den Anderen möglicherweise etwas voraus haben. Nicht dass sie glücklicher wären, oder das große Los gezogen hätten. Welch bessere Spaltung als „Jude in Deutschland“ kann es geben? Die Spaltung schärft die Sinne ungemein. Zu nichts gehören, kein Kissen, auf welches man den Kopf legen könnte, keine Wurzel fassen zu können. So wurde es vorgefunden. Nicht ausgesucht. Und doch bildet diese vorgefundene Bedingung vielleicht die allerbeste Möglichkeit zu dem Selbst zu finden. Zu dem „Erkenne dich selbst“. Jede Medaille hat zwei Seiten. Drehen wir sie um, die Medaille.

Dr.Wilhelm Dierkopf / 06.12.2020

Da fällt mir heue alternativ das Oskar-Maria-Graf-Stüberl in Berg am Starnberger See ein. So eine Begegnung heute : Sehr gerne ist unser Freund aus Tel Aviv bei uns Bayrisch- Nur momentan dürfen wir alle hier im “Frei”-Staat gar nichts.

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